Elena Chouzouri: „Die lügnerische Sonne der Kinder“. Über Heimat und Verlust
- Geschrieben von Fee Isabelle Lingnau -
Denken wir an Griechenland: Wirtschaftskrise, Sommerurlaub, Antike, Gastarbeiter, „griechischer Wein...“.
Und neben diesen plakativen gibt es manche Assoziation mehr in den Vorstellungen von Griechenland. Doch wer im Hier und Heute denkt an den Bürgerkrieg? Und wer an die Menschen, die Griechenland verlassen mussten, Unterschlupf in Usbekistan fanden und doch immer nur in ihre idealisierte Heimat wollten? Die schlicht ausgelöscht wurden in ihrer Heimat und erst Jahrzehnte später zurückkehren, sich repatriieren durften?
Offenbar ist uns das Thema fremd. Beim Lesen von Elena Chouzouri „Die lügnerische Sonne der Kinder“ aber rückt es nahe, denn Chouzouni erzählt so, dass fremde Ereignisse und Erlebnisse fremd sein dürfen, die Gefühle und Gedanken hingegen vertraut werden. Und en-passant behandelt sie vieles anderes, das auch ganz eng verknüpft ist mit den erst spät repatriierten Griechen und ihren Kindern. Heimat, Lebenssinn und Aufgaben für die Liebe sind Themen die mitklingen – so, dass wir sie hören müssen.
Veronika ist die Tochter eines Griechen, der nach Usbekistan geflohen ist. Sie wächst auf in Taschkent, lernt das Leben kennen in einem sowjetischen Land. Dort geht sie zur Schule, wird – unter Auszeichnungen – ausgebildet, liebt. Doch immer in der vom Vater eingegebenen Hoffnung in ein idealisiertes Griechenland zurückzukehren. In der Gegenwart des Romans lebt sie bereits seit mehr als zwanzig Jahren in Athen. Die Hoffnung anzukommen ist lange schon tot. Nun liegt ihr Vater im Sterben – und in ihr erwacht die Frage nach ihrem eigenen Leben. Dabei offenbart sich die vielfache Gebundenheit an ein Leben, das nicht ihres ist: An die Unmöglichkeit, Heimat zu finden, an das Bild Griechenlands und an die Ideen der kommunistischen Gruppe während des Bürgerkriegs. Der Bürgerkrieg in Griechenland schloss sich direkt an den Zweiten Weltkrieg, er ging bis 1949.
Zwei Gruppen bekämpften sich: Die linke Volksfront auf der einen Seite und die konservative Regierung und Monarchisten auf der anderen Seite. Die Volksfront wurde unterstützt von Albanien und Jugoslawien, die Konservativen von England und später den USA. Gen Ende des Bürgerkrieges flüchteten sich zehntausende kommunistische Griechen über Albanien in die Sowjetunion, viele von ihnen kamen in die usbekische Hauptstadt Taschkent. In der Hoffnung, bald zurückzukehren,
blieben sie unter sich, kultivierten Sprache und Idealbild ihrer Heimat, vor allem auch in ihren Kindern. Die große Rückkehr wurde erst in den 80er-Jahren möglich – in ein ganz verändertes Land.
Im Roman schreibt ein Freund von Veronikas Vater, dass er nun, in Griechenland, seinem Leben nur noch hinterher humpele. Und Veronika, die Frau mir der hervorragenden Ausbildung und der großen Berufserfahrung, kann beruflich nicht Fuß fassen. Sie bleibt überall nur „die Russin“ und kann höchstens einige Putz-Jobs erledigen. Nützliches Glied der Gemeinschaft will sie werden, um sich als vollwertiger Mensch zu fühlen – das kann sie aber nicht. Dieser Strang der Erzählung zeigt zugleich auf Probleme, die Flüchtlinge meist, Migranten sehr oft haben: Die Schwierigkeit ihr Selbst in einer neuen Gemeinschaft zu etablieren. Anerkannt zu bekommen, was sie können. Sich durch Arbeit integrieren zu dürfen. Nicht nur die Fremden zu sein. Ein weiterer Strang der Erzählung liegt im Heute, in unserer unmittelbaren Gegenwart: Die junge, sehr begabte Journalistin Danae recherchiert für eine Reportage über die Kinder der repatriierten Griechen. Sie wurde von der Athener Zeitung, für die sie schreibt, seit Monaten schon nicht bezahlt. Sie weiß, dass ihre Zeitung wahrscheinlich schließen muss, bevor ihre Reportage erscheinen kann. Ihre Freunde wandern aus, in der Hoffnung auf Arbeit, auf ein anderes Leben, auf Zukunft. Sie aber will das nicht. Sie ist ihrer Heimat zu verbunden – ohne dass sie genau sagen könnte, was das eigentlich ist: Heimat.
„Als könnten sie ihr Dort und ihr Hier nicht unter einen Hut bekommen“, heißt es über die Kinder der repatriierten Griechen. Dieser Satz gibt eine Vorstellung von Migration. Wie wäre es für uns, fremd in einem Land zu leben? Könnten wir Heimat finden? Und was ist das dann: Heimat?
Elena Chouzouri: Die lügnerische Sonne der Kinder
Größenwahn Verlag
Gebundene Ausgabe: 154 Seiten
ISBN: 978-3-942223-96-6 | E-Book ISBN : 978-3-942223-97-3
Abbildungsnachweis:
Alle Fotos: Größenwahn Verlag
Header: Cover-Titel
Portrait Elena Chouzouri
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