Pageturner – ohne Turn
- Geschrieben von Fee Isabelle Lingnau -
Der Begriff „Pageturner“ kann sich zukünftig auf eine neue KulturPort.De-Rubrik anwenden lassen.
In diesem November startet ein neues Format namens „Follow Book“: In regelmäßigen Abständen werden Neuerscheinungen des Buchmarkts, „vergessene“ Bücher oder die persönlichen Highlights der KulturPort.De-Autoren vorgestellt. Beginnen wir mit Dave Eggers Roman „Der Circle“, der seit Ende August in den Buchläden zu finden ist.
Wir alle werden Opfer des Internets. Wir werden unfrei durch all die Technologien, die unser Leben leichter eigentlich machen sollten. (Sind wir es nicht eigentlich schon?) Die Demokratisierung, die die globale Vernetzung verspricht, ist eine Illusion – die Vernetzung wird sich offenbaren als direkter Weg in die Tyrannei durch einzelne Konzerne! (Ist es nicht schon längst zu spät?)
Ja, Dave Eggers Roman „Der Circle“ passt in diese Vorstellungswelt. Und wer so denkt, mag ihn als würdigen Nachfolger von Orwells 1984 sehen. Doch das sind oft dieselben Leute, die ohne Bedenken an der Supermarktkasse ihre Payback-Karte zücken und die der Kassiererin sofort ihre Postleitzahl nennen – beim Kauf einiger Dübel oder eines Kabels.
Hier offenbart sich das große Manko des Romans: Die Figuren sind so plakativ, dass der Leser sich nicht mit ihnen auseinandersetzen muss. Da gibt es keinen Identifikationspunkt. Sie können niemand anderes sein als der naive, gefährliche Andere. Oder sie sind Sprecher einer flachen Rede für die Freiheit.
Eggers erzählt den Weg der jungen Mae Holland in die Fänge des Konzerns „Der Circle“ – von ihrem ersten Arbeitstag bis zur Vollendung der tyrannischen Machenschaften der Firma. „Der Circle“ ist vornehmlich Entwickler für Social Media-Werkzeuge. Zudem entwickelt er mehr und mehr technische Zusatzgeräte – und en passant eine neue gesellschaftliche Ordnung.
Mae ist von Beginn an vollkommen unkritisch und folgt allen Neuerungen mit totaler Begeisterung. Tiefe hat diese Figur nicht. Innere Konflikte auch nicht – jedenfalls keine, die man ihr abnimmt. Tatsächlich ist sie ein sehr blasses, wenig emanzipiertes Mädchen. Und so sind es vor allem vier Männerfiguren, die den Roman dominieren: Bailey, die Vaterfigur, einer der Drei Weisen des Circle.
Er lenkt und leitet Mae auf seinem Weg der Tugend. Francis, ein Geliebter und unbedingter Vertreter der Ideologie des Circle: Er entwickelt ein Implantat für Kinder, das sie stets auffindbar macht um sie gegen Verbrechen zu schützen. Sein Gegenpart ist Kalden, Geliebter zur gleichen Zeit – und der große Unbekannte. Er ist ebenfalls Teil des Circle, warnt Mae allerdings ausdrücklich vor dessen Vollendung. Und schließlich ist da noch Mercer, der Ex-Freund, der Repräsentant der analogen Welt. Der fleischliche Vertreter der Freiheit, in deren Namen er zwei flammende Monologe halten darf.
Zwei Männer für den Circle – und zwei dagegen. Ihre Aktionen und Reden, ihre Charakterisierung sind schmerzlich platt. Das geht so weit, dass Francis ein furchtbarer Versager im Bett ist – während der Sex mit Kalden sensationell gut ist.
Wenn dieser Roman nun so plakativ ist – warum dann eine Kritik zu ihm? Weil das Thema höchst relevant ist! Denn Überwachung und Übertransparenz sind große Gefahren unserer Zeit.
Was bringt uns denn eigentlich dazu, so leichtfertig unsere Daten zu präsentieren? Staaten und Konzernen gleichermaßen! Was bringt uns dazu, es in Ordnung zu finden, dass unsere Verbindungsdaten gespeichert werden? Unsere E-Mails gescannt? Unsere Bewegungen aufgezeichnet? Und wie kann eine Zukunft vor diesem Hintergrund sich entwickeln?
In Nuancen! Und nicht als plakative Anti-Utopie.
Dave Eggers - Der Circle (Roman)
Gebundene Ausgabe: 560 Seiten
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 3462046756
ISBN-13: 978-3462046755
Abbildungsnachweis:
Header: Detail aus "Der Circle". Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Portrait Dave Eggers: © Michelle Quint
Buch-Cover
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