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Solch exemplarische Fälle filmischer Adaptionen sowie literarisch-cineastischer Welt- oder Serienerfolge untersucht ein soeben auf Italienisch erschienener, akademischer Sammelband, dessen Cover ein Porträt des filmenden Schriftstellers Pier Paolo Pasolini ziert: “Letteratura e cinema”, herausgegeben von Alberto Bianchi und Dagmar Reichardt, widmet sich ganz der transmedialen Vermischung von Wort, Ton und bewegtem Bild. Das Buch besteht aus zwölf Beiträgen von internationalen Fachautoren, die aus verschiedenen Blickwinkeln Italien-spezifische und europäisch kontextualisierte Fallstudien und Phänomene literarischer und filmischer Erzählbarkeit analysieren. Zu beobachten ist jenseits der einzeln vorgestellten, film- und literaturgeschichtlichen Fälle, dass sich das Kino insgesamt als ein – historisch gesehen – relativ junges ästhetisches Ausdrucksmittel auf der Suche nach kultureller Legitimation im Laufe des 20. Jahrhunderts vom ‘Parasiten’ – wie Virginia Woolf den Film 1926 nannte – zum Tyrannen wandelt und die kollektive Vorstellungskraft in trautem Nebeneinander mit der Literatur tiefgreifend formt.

Die Vermischung beider Medien führt im Italien der Nachkriegszeit zu langjährigen und produktiven Kooperationen zwischen Filmemachern und Buchautoren und schließlich zu ganzen Generationen von Schriftsteller-Regisseuren (z.B. Mario Soldati oder Pier Paolo Pasolini). In den letzten Jahren hat sich die Diskussion um die Intersektionsfelder von Literatur und Film zunehmend interdisziplinär geöffnet. So betrachten die Autoren des Bandes nicht nur die Formen und Resultate ausgewählter Adaptionen (wie Gabriele Salvatores Verfilmung von Nicolò Ammanitis Roman “Ich habe keine Angst” von 2003), sondern auch paratextuelle, metatheatralische und intermediale Bezüge. Sie erforschen soziolinguistische und kulturwissenschaftliche Umsetzungen von Themen wie Italiens nationale Einigung im 19. Jahrhundert oder die Funktion der Figuren sardischer Banditen im Film und Gewaltdarstellungen in der Schnittmenge von Literatur und Kino aus Sizilien.

Seit den kritischen Anmerkungen des strukturalistischen Filmtheoretikers Christian Metz, der Film und Sprache als unmittelbar zusammengehörig betrachtete, oder Pasolinis, der davon ausging, dass das Kino eine eigene ‘von der Realität geschriebene Sprache’ sei und das Genre des Drehbuchs eine Struktur darstelle, die sich nach einer ‘anderen Struktur’ sehne, fokussieren Filmbesprechungen auch heute noch oft das vermeintliche Ideal der Treue eines Films gegenüber dessen literarischer Vorlage. In Wahrheit benutzt das Kino häufig von der Literatur entliehene narrative Techniken und bemüht sich unentwegt um Pluralismus, Diversität und Legitimierung, stehen doch auch vierzig Jahre nach Pasolini nach wie vor die Fragen im Raum, nach welchen Wertesystemen das Kino zu beurteilen ist und wie sich die Würde eines kulturellen Produktes überhaupt misst?

Alberto Bianchi und Dagmar Reichardt (Hrsg.):
LETTERATURA E CINEMA
Florenz, Italien: Franco Cesati Editore
2014, 8°, 163 S.
17.00 €
978-88-7667-501-0
https://www.francocesatieditore.com/testovis-349.html

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