Claude Gellée, der wegen seiner Herkunft aus dem damals unabhängigen Lothringen „le Lorrain“ genannt wurde, ließ sich Mitte der 1620er-Jahre in Rom nieder um zu malen. Zehn Jahre später ist er zu einem gesuchten und teuren Maler geworden, der zu seinen Auftraggebern Päpste, Kardinäle, große römische Familien und den spanischen König zählte. Wohlhabende Engländer brachten von ihrer „Grand Tour“ seine Bilder in ihre Güter und Landsitze und versuchten, ihre Gartenanlagen nach den Bildern Claude Lorrains umzugestalten. Die an die klassische Vergangenheit erinnernden Landschaften versetzten später Bewunderer von Goethe bis zu Dostojewski oder Nietzsche in Erstaunen.
Der Künstler widmete sich in seiner Malerei ausschließlich Landschaften in denen sich, von Ruinen überragt, Bäume, Bäche, Teiche und Weiden ausbreiten, auf denen Herden dahinziehen und die Hirtenflöte erklingt. Berge laufen beruhigend und sanft aus. Über allem liegt schwimmendes Licht. Aus ihnen sprach die Sehnsucht eines Entfremdeten nach dem Glück einer unberührten Natur. Seiner humanistisch geprägten römischen Klientel waren solche Bilder des gedehnten Zeitablaufs zu gewöhnlich und deshalb begann Claude Lorrain nach 1640 die pastoralen Landschaften mit mythologischen und biblischen Personen aufzuwerten.
Um die Mitte der 1630er-Jahre hatte der Meister begonnen, seine Gemälde nach ihrer Vollendung in einem „Liber veritatis“, dem „Buch der Wahrheit“, festzuhalten. Es sollte ihn vor Fälschern schützen, nützte ihm aber auch zur Speicherung von Motiven. Im 18. Jahrhundert wurde das Buch auseinander genommen und diente wohl auch als Vorlage für eine Folge von Stichen. Der Künstler selbst hatte schon mit Flächenätzungen experimentiert und dabei den Ehrgeiz gezeigt, mit tonalen Abstufungen eine geradezu malerische Wirkung zu erzielen.
Claude Lorrains Zeichnungen sind Spiegelungen seiner Gemälde und „zeichnerische Überlegungen“; außerdem sind sie sehr genaue, meisterhafte Studien zu seinen mit Licht erfüllten Kompositionen. Denen lagen eingehende Betrachtungen in der freien Natur zugrunde, denn nur dort ließen sich Stimmungen und der Wechsel des Lichts erfassen. Der Künstler fügte sie in der Werkstatt phantasievoll mit lavierendem Pinsel, der Feder und dem Kreidestift zu arkadisch-paradiesischen Bildern, zu einer Spur des Schönen.
Der Meister reduzierte seine Zeichnungen auf das Hell und Dunkel, setzte dabei alles gegen das Licht. Die Schatten treten aus dem Hellen hervor, weite Räume mit Bergen, Ebenen und Wäldern bauen sich auf aus Reflektionen und Spiegelungen. Claude Lorrain erreichte solche Wirkung, indem er etwa graue Kreide gegen Tusche und Feder über einer Pinsellavierung setzte oder braune Flecken gegen das weiße Papier. Diese durchleuchtete und darum leuchtende Welt lädt geradezu ein zum kontemplierenden Wandeln.
Die Ausstellung Claude Lorrain: "Die verzauberte Landschaft"
ist zu sehen bis zum 6. Mai 2012 im Städel Museum Frankfurt, Schaumainkai 63 in 60596 Frankfurt am Main.
Der Katalog, erschienen im Hatje Cantz Verlag, kostet im Museum 34,90 Euro.
Bildnachweis Claude Lorrain:
Header: Detail aus Ansicht von Karthago mit Dido und Aeneas, 1675/76, Öl auf Leinwand, 120 x 149,2 cm. © Hamburger Kunsthalle
Galerie:
01. Ausstellungsansicht. Foto: Norbert Miguletz
02. Landschaft mit Ascanius, der den Hirsch der Silvia erlegt, 1682, Öl auf Leinwand, 120 x 150 cm. © Ashmolean Museum, University of Oxford
03. Landschaft mit Christus, der Maria Magdalena erscheint („Noli me tangere“), 1681, Öl auf Leinwand, 84,5 x 141 cm. Städel Museum, Frankfurt. Foto: Städel Museum, Frankfurt - ARTOTHEK
04. Landschaft mit der Taufe des Kämmerers, 1678, Öl auf Leinwand, 88 x 142,2 cm. © National Museum of Wales, Cardiff
05. Landschaft mit dem Urteil des Paris, 1633, Öl auf Leinwand, 97 x 122 cm. © Trustees of the Ninth Duke of Buccleuch's Chattels Fund
06. Ein Seehafen, 1644, Öl auf Leinwand, 103 x 131 cm. © The National Gallery, London
07. Landschaft mit der Anbetung des Goldenen Kalbes, 1653, Öl auf Leinwand, 147 x 248 cm. © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
08. Zwei Figuren, eine mit einer Angelrute, unter einem Baum sitzend, um 1650, Schwarze Kreide mit Feder und brauner Tinte, braune Lavierung, 19,2 x 25,4 cm. © Ashmolean Museum, University of Oxford
09. Hafen bei Sonnenaufgang, um 1635/36, Radierung und Kaltnadel, 13,1 x 19,9 cm. © Ashmolean Museum, University of Oxford
10. Der runde Turm bricht auf und die Reiterstatue erscheint, um 1637-40, Radierung, 19,4 x 14,0 cm. Städel Museum, Frankfurt am Main © Städel Museum, Frankfurt am Main - ARTOTHEK
11. Ausstellungsansicht. Foto: Norbert Miguletz
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