William Kentridge: Schlüsselbilder im Kopf - Gesamtkunstwerk auf der Bühne
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Er war der Star der Documenta 13, einer der wenigen ganz großen Namen und Lieblingskünstler von Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev: Der südafrikanische Zeichner, Animationsfilmer, Puppenspieler und Regisseur William Kentridge zählt heute fraglos zu den wichtigsten Künstlern weltweit.
Nun kommt er – Dank Unterstützung der ZEIT-Stiftung – nach Hamburg und stellt an drei Tagen hintereinander am Schauspielhaus sein komplexes Schaffen vor: „Drawing Lessons I, II, III“, gefolgt von den Lektionen IV, V, VI, sowie der Kammeroper „Refuse the Hour“ mit zwölf Tänzern, Sängern und Schauspielern, geben umfassend Einblick in Kentridges künstlerische Methoden, zeigen auf, wie der Künstler über Kultur, Politik und Geschichte denkt – und wie er es schafft, Zeichnung, Film, Schattenspiel, Performance, Tanz und Musik so mühelos zu einem Gesamtkunstwerk zu verbinden.
Erbärmliche Gestalten mit qualvoll aufgerissenen Mündern. Ein grauenvoller Menschenzug im fahlen Licht der Scheinwerfer, ausgespuckt aus einer gottverlassenen Landschaft, in der die Gerippe alter Fördertürme in den rauchverhangenen Himmel ragen. Unwillkürlich drängen sich die Bilder von Konzentrationslagern auf. Doch die Szene stammt nicht aus Auschwitz oder Treblinka. Sie stammt aus „Johannesburg, zweitgrößte Stadt nach Paris“ (1989), dem ersten Film von William Kentridge. In der heißen Phase der Freiheitskämpfe erschienen dem Künstler zwei Gestalten im Traum, die seitdem immer wieder auftauchen: Der Großindustrielle Soho Eckstein und sein Gegenpol Felix Teitlebaum. Der eine ein skrupelloser Ausbeuter im Nadelstreifenanzug, der nach dem Zusammenbruch des Systems und seines Imperiums komatös am Tropf hängt und von seinem erwachten Gewissen gequält wird (History of the Main Complaint, 1996), der andere ein schwacher Mensch. Immer nackt gezeichnet. Ein Tagträumer, ein Liebhaber - ein Künstler. Teitlebaum ist Kentridges Alter Ego. Mit ihm bespiegelt er sich selbst, übt Kritik an der eigenen Unzulänglichkeit und lässt den Zuschauer an seinen innersten Ängsten und Hoffnungen teilhaben.
Der jüdische Name ist kein Zufall: William Kentridge ist jüdischer Abstammung. Sein Großvater mütterlicherseits floh vor den Pogromen aus Litauen nach Südafrika. „Eine unbequeme Ironie“ des Schicksals für den engagierten Künstler, dass sich ausgerechnet die Juden am Kap der guten Hoffnung zu Herrenmenschen und Unterdrückern aufschwangen.
Seit frühster Jugend prägt Politik, das menschenverachtende Regime der Apartheid, Leben und Werk des 58-jährigen Johannesburgers. Die Eltern, beide prominente Anwälte und Apartheid-Gegner, öffnen dem Jungen früh die Augen für das Unrechtsregime in dem strickt antikommunistischen Land. Als Schüler kämpft er für Gleichberechtigung, als Politikstudent spielt er Agitprop-Theater und liest Bücher aus dem „Giftschrank“: Kant, Marx, Hegel, Adorno, Piscator. Schließlich landet er an der gemischtrassigen Johannesburger Art Foundation, entdeckt die Tusche- und Kohlezeichnungen des Südafrikaners Dumile, die sozialkritischen Werke von Max Beckmann, Käthe Kollwitz und Otto Dix, die russischen Avantgardisten Majakowskij und Sergej Eisenstein, sowie die großen Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts, William Hogarth und Francisco des Goya. Kentridges Maßstäbe hängen hoch. Umso unzufriedener ist er mit sich. 1981 schmeißt er erstmal alles hin, geht mit seiner Frau, einer Ärztin, nach Paris, studiert bei Jacques Lecoq Akrobatik, Maskenspiel und Pantomime – und lernt bei dem legendären Theatermann „mehr übers Zeichnen, als in acht Semestern an der Kunsthochschule in Johannisburg“: Die Sprache des Körpers, die Kraft der Gesten, die Kunst der Improvisation. Vor allem aber das Vertrauen, aus sich selbst heraus zu schöpfen, ohne Vorbehalte und Schere im Kopf.
„Als ich noch jung war, fiel es mir schwer, mich für den Film oder das Theater zu entscheiden, oder einfach Künstler zu sein“, bekennt der dreifache Vater. „Es dauerte viele Jahre, bis ich verstand, dass es meinem Naturell entspricht, so zu arbeiten. Ich brauche diesen Wechsel zwischen den verschiedenen Welten von Zeichnung, Theater und Film, weil sie sich gegenseitig befruchten“.
In eindringlichen Bildern, Installationen und Bühnenspektakeln erzählt William Kentridge von Terror und Tyrannei, von Knechtung und Ausbeutung, von Verbrechen, Trauer, Verlust und Vergessen. Aber auch von dem unbändigen Vergnügen zu Zeichnen und zu Träumen. Den Gedanken freien Lauf zu lassen, ein Telefon in eine Katze und eine Espressokanne in eine Goldmine zu verwandeln. Kein anderer schafft es, so phantastisch und spielerisch leicht Politik und Poesie miteinander zu verschmelzen wie der 1997 auf der documenta X „entdeckte“ Südafrikaner. Seine seltsam altmodische, von Weltschmerz und Melancholie durchtränkte Bildersprache wurde seitdem immer komplexer: Mit der „Black Box“ für das Berliner Guggenheim 2006 schuf der Träger des Kaiserrings der Stadt Goslar (eine seiner vielen Auszeichnungen) das erste begehbare Gesamtkunstwerk aus Bühne, Schattenspiel, Zeichenfilmprojektionen und Maschinentheater. Für viele war Kentridge damals noch ein Geheimtipp. Sechs Jahre später, auf der documenta 13 in Kassel, war sein Werk Highlight der Schau: stundenlange Warteschlangen nahmen die Besucher in Kauf, um durch das irrwitzige Universum namens „The Refusal of Time“ zu wandern. Wer wissen will, wie das aussah, braucht den Titel nur einmal bei YouTube einzugeben.
Kunst als Selbstzweck war William Kentridge jedoch immer fremd. Er ist bestimmt durch die „enormen sozialen Umwälzungen“ seines Landes. „Nicht fähig, Teil dieser Umwälzung zu sein, ebenso wenig fähig, so zu arbeiten als gäbe es sie nicht“. Immer noch werden die Opfer des Staatsterrorismus exhumiert, immer noch kommen Verbrechen aus der Zeit der Rassentrennung ans Tageslicht. Perverse Folter- und Todesarten, wie den mit Sprengstoff gefüllten Kopfhörer, den ein schwarzer Anwalt aufsetzen musste.
In „Ubu and the Truth Commission“ nach Alfred Jarrys Groteske „Ubu Roi“ griff Kentridge diesen Fall auf. In dem Stück, das in Zusammenarbeit mit der Handspring Puppet Company entstand – mit der Company arbeitet er seit 1992 regelmäßig zusammen - ist Ubu ein lächerlicher, feiger, feister Tyrann. Inbegriff der krankhaften Apartheid-Politik. Die Szenen erscheinen als animierte Hintergrundbilder. Keine Illustration des Grauens, das ist nicht seine Art. Eher ein assoziativer Reigen aus Bild und Musik, der nicht selten ins Burleske driftet. Ubu kaspert über Leichen, um die Erinnerung erträglich zu machen.
Erinnerung ist Kentridges großes Thema. Eine Lebensaufgabe, der er in jeder Arbeit aufs Neue nachspürt. Ihn interessiert, „wie das Gedächtnis der Menschen funktioniert“. Wohl deshalb sind die Gegenstände in seinen Zeichnungen, das Bakelit-Telefon oder die alte Rechenmaschine, immer Überbleibsel aus einer anderen Zeit.
In seinem Film „Felix im Exil“ (1994), kurz nach den ersten freien Wahlen in Südafrika gezeichnet, sieht man einen erschlagenen Schwarzen am Boden. Aus seinem Kopf sickert Blut. Nach und nach wird sein Körper von angewehten Papieren eingehüllt, nimmt amorphe Formen an, verwandelt sich in eine Felsenlandschaft. Erde zu Erde – alles vergeht mit der Zeit.
Kentridge liebt solche Erzählkurven. Oft gleitet er aus den Niederungen des Alltags ins Absurde, folgt einer sprunghaften Traumlogik oder Assoziationskette. Am Anfang des Films fliegen zahllose Zeichnungen wie eine Schar Vögel aus Felix’ Koffer hervor und legen sich auf die kahlen Zimmerwände. Eine wunderschöne Metapher für den Künstler, der die Welt nicht abbildet, sondern selbst erschafft. Oder – wie in diesem Fall – mit den Augen anderer sieht. Die Zeichnungen stammen von einer schwarzen Frau, später blickt sie Felix aus dem Spiegel heraus an und zieht ihn in ihre Gedankenwelt. Felix sieht, was sie erlebt hat, Mord und Totschlag. Eine wunderbare Szene, vielleicht inspiriert durch Jean Cocteaus Film „Orphée“, in dem der Held seiner Geliebten durch den Spiegel ins Reich der Toten folgt. Solche Anleihen quer durch die Film- und Literaturgeschichte finden sich immer wieder in seinen Filmen. Schließlich durchbricht ein Wasserfall die Scheibe, flutet den Raum: Felix versinkt in einem Meer der Trauer und Machtlosigkeit.
Für seine poetischen Bilder braucht Kentridge nichts weiter als einen Kohlestift und ein Blatt Papier. Er zeichnet, radiert, zeichnet neu, radiert wieder und so fort. „Zeichnen funktioniert so ähnlich, wie auch das Gehirn arbeitet“, erklärt der Johannesburger. Sprunghaft, unlogisch, assoziativ. „Eine Art laut zu denken“. Im Gegensatz zu herkömmlichen Trickfilmern entwickelt er seine Geschichten ohne Drehbuch. Ein „Schlüsselbild im Kopf“ genügt, alles Weitere entsteht im Dialog mit der Zeichnung und der alten 16-Milimeter-Kamera in der Mitte des Raumes, die jeden einzelnen Schritt festhält. Die Kurzfilme bestehen oftmals aus nicht mehr als zwanzig, dreißig Einzelblättern. Für acht Minuten braucht er ein knappes halbes Jahr. Im Grunde, so resümiert Kentridge, sei diese Technik ein Modell für das Leben selbst: So, wie die verschiedenen Stufen der Zeichnung aufeinander geschichtet werden, speichern sich Erlebnisse im Gedächtnis, werden verdrängt und tauchen an der Oberfläche des Bewusstseins wieder auf. Mögen es sich die Weißen in seiner Heimat auch noch so wünschen: Das Unrecht des Apartheidsystems lässt sich nicht ausradieren.
In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich Kentridges künstlerisches Universum enorm erweitert. Fasziniert von den Vorläufern des Kinos experimentiert der Künstler heute verstärkt mit der Beziehung von Wahrnehmung und Wissen. Der digitalen Welt zum Trotz baut er komplexe, begehbare Sehapparate, arbeitet mit Schattenrissen, mechanischen Puppen und Maschinen. Magische Welten entstehen so, rätselhafte Traumbilder, mit komplexen Bezügen quer durch die Geistes- und Kunstgeschichte.
Über all das wird William Kentridge nun in seinen Hamburger „Lessons“ sprechen, sicher auch über seine Verknüpfung der europäischen Aufklärung mit dem wohl dunkelsten Kapitel deutscher Kolonialherrschaft in Südwestafrika (heute Namibia): „1904 fiel fast die gesamte Herero-Bevölkerung den Massakern der deutschen Kolonialtruppen zum Opfer – ein früher Vorgeschmack auf den Holocaust“. Als er die „Black Box“ für Berlin entwickelte, so erzählt der Künstler, sei ihm der Begriff „Trauerarbeit“ ständig im Kopf herumgegangen: Und so schuf er ein merkwürdiges Maschinen-Wesen, das eine Flüstertüte anstelle des Kopfes besaß. Man hörte kein Wort, doch vor seinem Bauch hing ein Plakat mit der Aufschrift „Trauerarbeit“. Und dazu die Schatten der Vergangenheit: Brutale, bedrückende, grauenerregende Bilder, die mit beklemmender Eindringlichkeit die vergessenen Verbrechen der Weißen im „schwarzen Kontinent“ vor Augen führten.
Das Kentridge-Wochenende am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg:
31.1.2014, 19 Uhr Drawing Lessons I, II und III mit William Kentridge
1.2.2014, 17 Uhr Drawing Lessons IV, V (Parcour d’Atelier) und als Lesson VI: „Refuse the Hour“ mit William Kentridge und zwölf südafrikanischen Musikern, Sängern und Tänzern.
Für den Besuch der »Drawing Lessons I, II und III« am Freitag, dem 31/1, sowie der »Drawing Lessons IV, V« und »Refuse the Hour« am Samstag, dem 1.2., bietet das Schauspielhaus Ihnen Kombitickets zum Preis von 21-91 €.
Ein Kombiticket für die Lessons I, II und III am Freitag, dem 31/1, und »Refuse the Hour« am Sonntag, dem 2.2., kostet 18-77 €.
Ab Ende Februar werden William Kentridges "Drawing Lessons" ins Repertoire übernommen. Um dies zu ermöglichen, hat Kentridge dem Deutschen Schauspielhaus nicht nur das Recht eingeräumt, seine ‚Rolle’ des Vortragenden mit Joachim Meyerhoff zu besetzen, er stellt ihm darüber hinaus das äußerst wertvolle zeichnerische und filmische Material zur Verfügung, das seine "Drawing Lessons" begleitet.
Abbildungsnachweis Header: William Kantridge: „Drawing Lessons“ / „Refuse the Hour“ mit William Kentridge, Dada Masilo und zwölf südafrikanischen Musikern und Tänzern, spätere Vorstellungen von "Drawing Lessons" mit Joachim Meyerhoff. (c) William Kentridge und Deutsches Schauspielhaus Hamburg.
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