Theater - Tanz
Der Vorname

Das Stück brillant, die Schauspieler große Klasse, die Inszenierung rundum gelungen und der kleine Saal der Komödie Winterhuder Fährhaus restlos ausverkauft. Dennoch muss das Theater KONTRASTE seinen Spielbetrieb zum Ende des Monats einstellen.
Mit der scharfzüngigen Gesellschaftskomödie „Der Vorname“ des französischen Erfolgsduos Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte, zeigt die experimentierfreudige Studiobühne noch bis zum 22. Juni, auf was die Hamburger in Zukunft wohl verzichten müssen.

Zwei Pariser Paare und ihr gemeinsamer Freund treffen sich zu einem gemütlichen Abendessen in einem ausgewiesenen Intellektuellen-Haushalt: Der Literaturprofessor Pierre (Konstantin Graudus) und seine Frau Elisabeth, genannt Babou (Vivien Mahler) haben Babous Bruder Vincent (Markus Frank) und seine schwangere (zu spät kommende) Frau Anna (Sina-Maria Gerhardt) eingeladen. Ebenso Claude (Benjamin Utzerath), den Musiker und besten Freund seit Kindertagen. Nett und fröhlich soll es werden, ein harmonischer, lockerer Abend bei marokkanischem Büffet. Doch mit der Harmonie ist es schlagartig vorbei, als Vincent den Namen des ungeborenen Sohnes verrät: Adolphe. Mit "ph"„und Betonung auf der zweiten Silbe, aber auch für Franzosen eindeutig erkennbar als der Vorname des größten Verbrechers der Weltgeschichte. Quel scandale! Was macht es da schon, dass der werdende Vater blumig von dem Romanhelden des großen französischen Dichters Benjamin Constant schwafelt und dass man sich schließlich von einem Hitler nicht einen so wunderbaren Vornamen vermiesen lassen will. Sein Schwager ist empört, und das ist noch gelinde ausgedrückt. Der Familienfrieden jedenfalls ist hin, weder Babous neue Frisur noch die leckeren Mezze können die Stimmung retten. So richtig eskaliert der Abend aber erst, als der liebe sanfte Claude, den beide Paare für schwul hielten, den Beweis seiner Heterosexualität liefert und bekennt, dass er seit Jahren mit der Mutter der beiden Geschwister ein Verhältnis hat. Nun rastet Vincent völlig aus und demonstriert, dass es mit dem verbalen Schlagabtausch nicht mehr getan ist.

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Am Schluss liegt Claude liegt mit blutender Nase auf dem Sofa, doch Federn, na klar, müssen alle fünf Beteiligten lassen. Und am Ende stehen sie alle sinnbildlich mit heruntergelassener Hose da.
Und genau das kündigt Regisseurin Meike Harten gleich zu Anfang ihrer gelungenen Inszenierung an, in der nur eine Sache irritiert: Kein Literaturprofessor stellt seine Bücher mit Rücken nach hinten ins Regal. Dafür ist der Typus prima getroffen: Während die Gastgeberin in der Küche werkelt, schlurft Pierre halbnackt mit weißer Schlabberunterhose durchs Wohnzimmer. Bingo! So stellt man sich einen linksliberalen Literaturprof vor: Zauselig zerstreut und leicht verschlampt. Konstantin Graudus spielt diesen Pierre und dessen nonchalante Überheblichkeit ganz hervorragend.

Überhaupt ist dieses Stück ein Schauspielerfest. Markus Frank als selbstverliebter, Sprüche klopfender und Schnuten ziehender Vincent begeistert ebenso, wie Sina-Maria Gerhardt als äußerst selbstbewusste Karrierefrau Anna. Auch Benjamin Utzeraths Claude ist hinreißend – bis auf den Schweizer Akzent, den er nicht beherrscht, immer wieder vergisst und besser sein lassen sollte. Vivien Mahler als anfangs besänftigende Babou bekommt sogar Szenenapplaus nach ihrer Abrechnung mit dem ach so „witzigen, verwöhnten kleinen Bruder“ und ihrem ach so klugen Ehemann, dem sie nicht nur das Thema ihrer Doktorarbeit, sondern auch ihre Hochschullaufbahn opferte.

Was macht es bei so viel vergnüglicher Unterhaltung schon, dass „Der Vorname“ zwischendurch immer wieder an Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ erinnert. Auch hier zwei Ehepaare, die sich mit zunehmendem Drive unangenehme, bislang unter den Teppich gekehrte Wahrheiten an den Kopf knallen und am Schluss vor einem riesigen Scherbenhaufen stehen. Mag das Strickmuster auch ähnlich sein, Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte zünden ein vortreffliches Feuerwerk an Pointen. Hinreißend, wenn es dann noch so spritzig knallt, wie in der Inszenierung des Theaters KONTRASTE.
Für den Trägerverein, den Michael Lang als Intendant der Komödie Winterhude in den vergangenen 18 Jahren aufgebaut und gestaltet hat, ist das jedoch nur ein schwacher Trost. Obwohl KONTRASTE seit seinem Bestehen zwei Mal mit dem renommierten Pegasus-Preis ausgezeichnet wurde, obwohl „Mutti“, Juli Zehs Farce über Angela Merkel, oder die Schul-Groteske „Frau Müller muss weg“ für permanente Auslastung der 98 Sitze gesorgt haben – ihre Heimat im Theater in der Hudtwalckerstraße ist unwiederbringlich verloren.

„Im Zuge des Abrisses der Berliner Stammhäuser“ benötigt Jürgen Wölffer, Gründer und Geschäftsführer der Komödie Winterhuder Fährhaus, die „Hamburger Ressourcen und Räume“, heißt es in der Pressemeldung. Die historischen Berliner Privattheater, das renommierte, 1921 gegründete Theater am Kurfürstendamm, sowie die Komödie im Ku’damm-Karree, die nun Sohn Martin Wölffer in dritter Generation leitet, wurden von den neuen Besitzern des Karrees abgerissen. Bis sie irgendwann wieder aufgebaut werden, spielt die Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater. In jedem Fall leidet nun auch das Hamburger Theater KONTRASTE unter den Berliner Verhältnissen. Michael Lang ist zwar zuversichtlich, dass bald eine neue Spielstätte gefunden wird. Aber wo und wann – das steht noch in den Sternen.

„Der Vorname“ Theater in Hamburg 2018

Zu sehen noch am 12./13./18./19./21./22. Juli, jeweils 19.30 Uhr; sonntags 18 Uhr.
Theater KONTRASTE im Winterhuder Fährhaus
Eintritt 27, - Euro, ermäßigt, 19.50 Euro.
Weitere Informationen

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Abbildungsnachweis: Alle Fotos Oliver Fantitsch, Kontraste
Header:
Konstantin Graudus
Galerie:
01. Wie soll das Kindchen heißen?
02. Konstantin Graudus, Vivien Mahler
03. Ensemble
04. Sina-Maria Gerhardt

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