Kunsthandwerker*innen haben in Hamburg wenig Gelegenheit, ihr Können einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.
Deshalb war die im Herbst 2020 im Museum für Hamburgische Geschichte präsentierte Leistungsschau der Arbeitsgemeinschaft des Kunsthandwerks (AdK) ein Glücksfall. Unter dem Titel „Inspiration Hamburg“ zeigten 62 Künstler*innen aller Gewerke 300 Spitzenobjekte, besonders stark vertreten waren die Bereiche Schmuck, Textil und Keramik. Im Dölling und Galitz Verlag ist jetzt der gleichnamige Katalog erschienen, der diese Ausstellung würdigt und z.T. dokumentiert.
Die Backsteinfassaden der Speicherstadt, die Container am Terminal Altenwerder oder auch der legendäre „Pfeffersack“ als Bezeichnung für einen Hamburger Kaufmann werden zur Inspirationsquelle kreativer Gestaltung. Das Backsteinrot und das Grün patinierter Kupferdächer verwebt Anne Anderson zu einem Wandteppich aus Baumwolle und Leinen, die Container in Gold und Silber von Jan Bierschenk eignen sich als Kettenanhänger, und Annette Kutz schmiedet goldene Ohrhänger in Form kleiner Pfeffersäcke. Anders als die Ausstellung im vergangenen Herbst kann das aktuell vorliegende Buch zwar weniger die haptische Qualität einer Brosche, einer Vase oder eines Teppichs vermitteln, aber die Idee des Objekts, sein sinnlich-visueller Eindruck von Farbe und Material, sogar eine Ahnung, wie glatt oder rau, warm oder kalt es sich anfühlt, machen die sehr guten Fotos erlebbar. Die 144 Mitglieder der AdK – und teilweise auch der GEDOK – zeigen jeweils ein Objekt und beschreiben in wenigen Zeilen, was sie dazu angeregt hat.
Der Titel „Inspiration Hamburg“ führt zur Frage: Was ist typisch für Hamburg? Z.B. der Kaffeehandel: Silke Janssen hat gebrauchte Kaffeesäcke auseinandergenommen und aus den Fäden einen Tischläufer gewebt. Die ursprünglich auf den Sack gedruckten Produktnamen finden sich als feines, abstraktes Muster darauf wieder. Der Gedanke der Wiederverwertung nimmt hier Gestalt an. Weil im Kunsthandwerk das Material im Zentrum steht, ist seine Herkunft wichtig: möglichst nachhaltig, ökologisch produziert und fair gehandelt.
Häufig sind es eingängige Zeichen der Stadt, die als meisterhaft bearbeitetes Gebrauchsobjekt leicht wiederzuerkennen sind: z.B. den Stadtplan von Elbe und Innenstadt als Stickmuster auf einen schlicht fallenden Rock von Heidrun Allers, oder einen Hafenkran in Kupfer an einem Silberdraht, eine Halskette von Svea Imholze. Ulrike Isensee hat die Landkarte von Hamburg in eine zarte Netzstickerei in Blau und Rot übersetzt, eine Wanddekoration, für die sie den Preis für das beste Einzelstück 2020 der Handwerkskammer erhielt. Manches erschließt sich dagegen nicht auf den ersten Blick: Constanze Janssen hat nach dem Vorbild der zum Abriss bestimmten Cremonbrücke eine abstrakte Silberform in Serie geschmiedet und sie zu einer Halskette aneinandergereiht, eine eigenwillige, sehr persönliche Art von Denkmalschutz und vielleicht ein Hinweis auf die Freie und Abrißstadt Hamburg?
Das Kunsthandwerk wird gemeinhin den angewandten Künsten zugerechnet, doch die Grenzen zur sogenannten Freien Kunst sind durchlässig. Manche Arbeiten haben gar keinen direkten alltäglichen Nutzen. Andreas Wencke erinnert mit einer Installation aus feinen wellenförmigen Eichenholzfurnieren an das Licht- und Schattenspiel einer gleißenden Wasseroberfläche. Sigrid Vollmer formt aus eigenen Unikatpapieren, Graupappe und Gewebe das Buch- und Kartonageobjekt „Speicherstadt“. Man kann darin Papiere oder Hefte wie beispielsweise Tagebücher aufzubewahren. Kunsthandwerker*innen schaffen Einzelstücke, Unikate, die im besten Fall unverwechselbar sind. Die geforderte handwerkliche Perfektion und Materialliebe stehen im Kontrast zur billigen Massenproduktion vieler Gebrauchsgegenstände, die beispielsweise die Modebranche ethisch und ökologisch zu einem der schmutzigsten Geschäftszweige degenerieren ließ. Wer einen kunsthandwerklichen Gebrauchsgegenstand ersteht, bezahlt dafür ein Vielfaches der üblichen Handelsware, nutzt ihn aber auch ein Vielfaches der üblichen Zeit. Das mag Luxus sein, überflüssig ist es nicht.
Das Museum für Hamburgische Geschichte hat einige der Stücke der vergangenen Ausstellung „Inspiration Hamburg“ für seine Sammlung gekauft. Es drückt damit Wertschätzung und Traditionsbewusstsein aus, denn schon im 17. und 18. Jahrhundert hatte Hamburg erstklassige Gold- und Silberschmiede vorzuweisen.
Museum, AdK und GEDOK planen, die Ausstellung fortzusetzen und daraus eine Biennale zu entwickeln. Damit in Zukunft das Kunsthandwerk in Hamburg für eine breite Öffentlichkeit besser sichtbar wird.
Inspiration Hamburg
Hrsg. Isabelle Hofmann
Verlag: Dölling und Galitz
156 Seiten, 150 Farbabbildungen
Hamburg 2021
ISBN-13: 9783862181452
Weiteres bei KulturPort.De zu dem Thema: Mehr als nur eine Hommage an die Stadt am Fluss
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