Kunsthandwerk, Grafik & Design

Silke Jansen - Gewebe aus Papier

Ihre Werkstatt liegt in einem Hamburger Vorort, es ist ruhig, um das Haus herum sind gepflegte Gärten und zwischen den Nachbargrundstücken ist viel Platz.
Oben, unter dem Dach des Einfamilienhauses stehen zwei große Webstühle, dicht nebeneinander, sehr viel Raum zum Arbeiten gibt es nicht. Ich bin zu Gast bei Silke Janssen. Ihre kunsthandwerklichen Werke sind meine Entdeckung des Jahres 2011 und auf das Gespräch über ihr Oeuvre habe ich mich seit langem gefreut.


Claus Friede (CF): Wie haben Sie Ihre kunsthandwerkliche Arbeit begonnen?

Silke Janssen (SJ): Ursprünglich habe ich etwas anderes gelernt. Ich bin ausgebildete Diplom-Ökotrophologin (Ernährungswissenschaftlerin, Anmerk. d. Red.). Als meine Kinder noch klein waren, kam mir in den Sinn, etwas anderes machen zu wollen. Wir wohnten damals im Sachsenwald und in der Nachbarschaft lebte die emeritierte Professorin Charlotte Döhler der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die an der Armgartstraße in Hamburg Weben unterrichtete. Sie gab Kurse und zeigte auch dann und wann ihre Arbeiten in Ausstellungen. Ich hatte mich entschlossen, an einen Kurs teilzunehmen, das war 1986. Mit der damaligen Kursgruppe fuhren wir nach Lüneburg und besuchten die Weberei im Kloster Lüne von Heinz Friedrich Meyer. Dort erfuhr ich, dass man über den zweiten Bildungsweg einen Abschluss als Weberin machen kann. Ich habe dann die vierjährige Ausbildung dort absolviert, gearbeitet und schließlich 1998 meine Gesellenprüfung abgelegt. Zunächst fing ich als Redakteurin an, für verschiedene Zeitschriften über Webkunst zu schreiben und kuratierte in Lüneburg meine erste Ausstellung mit dem Titel „Zukunft Webkunst“. 2004 war es dann endlich soweit und ich richtete meine eigene Webwerkstatt ein, arbeitete wieder praktisch und stellte in meinem Haus aus. 2006 bin ich dann zu dem Material gekommen, mit dem ich heute intensiv arbeite: Papiergarn.

CF: Wie sind Sie auf das Papiergarn gestoßen?

SJ: Ich stieß auf ein Buch von Christina Leitner mit dem Titel „Papiertextilien“. In dieser Publikation geht es um die Geschichte der Papiertextilien in Europa und Asien. Ich war davon so fasziniert, dass ich dachte, das muss ich machen! Insbesondere bin ich vom japanischen Papiergarn angetan. Ich musste allerdings schnell feststellen, dass ich die Erzeugung alleine nicht lernen konnte. So fuhr ich in die Schweiz, um Kurse bei jenen zu belegen, die Erfahrung in der Herstellung von Shifu und Kamiko hatten. So lernte ich den Werkstoff zu erzeugen und mit ihm umzugehen. Shifu-Garne stellen nur sehr wenige her. Und wie schon zu Beginn meiner Arbeit, habe ich mich Stück für Stück vorgetastet und zunächst Tischsets hergestellt. Heute webe ich mit Shifu-Garnen auch hauchdünne Schals und mit finnischem Papiergarn Taschen.

CF: Haben Sie mittlerweile Ihren Status Quo erreicht oder arbeiten Sie noch an der Verfeinerung?

SJ: An der Verfeinerung arbeite ich bis heute. Die japanische Papiergarntechnik ist ein weites Feld: Ich glaube, ich werde in meinem Leben nie an Grenzen stoßen. Das ist gut so, denn meine Neugierde ist ebenso riesig. Ich lerne ständig dazu. Allerdings braucht man für diese Arbeit viel Zeit und Ruhe.

CF: Shifu ist ein japanischer Begriff und bedeutet was?

SJ: Shi ist das japanische Wort für Papier, Fu bedeutet Gewebe. Das Garn wird aus Papier per Hand hergestellt. Es kann allerdings unter dem Begriff auch mit anderen Materialien kombiniert sein. Durch die Industrialisierung ist das Handwerk allerdings etwas in Vergessenheit geraten.

CF: Ich nehme an, dass das Handwerk in Japan eine lange Tradition hat...
 

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SJ: Ja, das hat es. Die ersten Aufzeichnungen sind aus dem frühen 17. Jahrhundert zu finden. Es gibt zur Entstehungsgeschichte eine Legende. Ein kaiserlicher Bote sollte eine Nachricht einem Shogun überbringen. Dazu musste er durch feindliches Gebiet und da unter allen Umständen die Texte geheim bleiben sollten, drehte der Bote das Papier mit den Nachrichten zu Garn und fertigte daraus einen Mantel. Angekommen beim Shogun konnte er sich des Mantels entledigen und wickelte die Papiere zur Botschaft zurück. Wie gesagt, eine Legende.
Was man sicher weiß ist, dass Reisbauern und Fischer Kleidung aus Shifu trugen und später durch die Verfeinerung der Verarbeitung auch der Adel und Samurais ihre Sommerkimonos daraus fertigen ließen. In Japan haben Papiergewebe bis heute zwar eine besondere Bedeutung, oft ritueller Art, weil Papier eben auch Träger von Texten sein kann – Mönche kleiden sich beispielsweise mit Shifu – aber es gibt kaum noch das Handwerk. Einige wenige Spezialisten gibt es noch. Auch in Europa und Nordamerika versucht man diese Tradition aufrechtzuerhalten.

CF: Papier hat in unseren Breiten nicht den Status von Haltbarkeit, Wasser- und Wetterfestigkeit. Wie muss das Papier behandelt werden, um diese Eigenschaften zu haben?

SJ: Unsere Vorstellung in Europa von Papier ist eine ganz andere als in Japan. Wir denken bei dem Begriff an Zeitungspapier oder Papiertaschentuch, also an etwas eher Minderwertiges. Zeitung zerreißt, weicht beim Kontakt mit Wasser auf. Diese Verbindung ist im Zusammenhang mit Shifu aber in keiner Weise korrekt. Das kulturelle Verständnis ist in Japan zu Deutschland unterschiedlich und ich muss in Kundengesprächen dieses Thema immer wieder erläutern. Das Shifu-Garn ist sehr hochwertig, langfaserig aus dem Holz des Maulbeerbaums als Zellulose-Grundstoff. Außerdem werden die Fasern miteinander verdreht und das ist ein weiteres Stabilitätskriterium. Es löst sich weder im Regen auf, noch verliert das Material durch das Tragen die Haltbarkeit und reinigen, Handwäsche bei 30°C, ist auch problemlos möglich. Im Übrigen wird das Material durch das Tragen weicher und hat die Eigenschaft, Körperwärme zu speichern und Feuchtigkeit aufzunehmen ohne zu reißen. Es fusselt nicht und ist überwiegend antiallergen und antiseptisch. Es ist ein wunderbares leichtes Material!
Den Kunden in Europa klar zu machen, dass sich das Material nur im ersten Moment fest anfühlt und es lange haltbar sein kann, ist schwierig.

CF: Das ist also vergleichbar als ob man Schuhe einträgt?

SJ: Ja genau, da ist es normal, bei Leinen übrigens auch, nur bei Shifu tun sich viele schwer.

CF: Sie haben eben die Herstellung des Shifu angesprochen. Was ist so aufwendig daran?

SJ: Zu Beginn brauche ich das richtige Papier, das wird in lange Streifen geschnitten und zwar so, dass ich daraus einen Endlosfaden herstellen kann. Die Streifen werden befeuchtet, gerollt und am Spinnrad fein gedreht und erst dann kann ich zu weben beginnen. Allein dieser Prozess ist, je nach Papierart und Feinheitsgrad, extrem zeitaufwendig. Könner in Japan stellen ein Shifu-Garn von 2 Millimeter her, da halte ich die Luft an...
Für mich hat die Präzision etwas damit zu tun, welche innere Ruhe ich finde, je konzentrierter ich bin, umso seltener reißt der Faden.
Europäische Papiere, beispielsweise aus Finnland, sind ganz anders verarbeitet, sind deutlich fester und eignen sich weniger für Kleidung, dafür für Raumtextilien oder Taschen. Und man bekommt es bereits eingefärbt, während das Shifu aus Japan naturfarben oder weiß ist.

CF: Die innere Ruhe kann kausal etwas mit der äußeren Ruhe zu tun haben. An diesem Ort an dem sie hier arbeiten scheint es ruhig zu sein. Könnten Sie Ihre innere Ruhe auch mitten auf dem Marktplatz von Lüneburg finden?

SJ: Oh, das ist nicht einfach zu beantworten. Für die innere Ruhe braucht man eine Ausgeglichenheit und wer hat die schon permanent? Grundsätzlich glaube ich schon, dass der Markplatz auch ein Ort wäre. Ich brauche, weil ich in der Werkstatt arbeite, auch dort meine äußere Ruhe. Ich schaffe es nicht wirklich schnell zu meinem Zentrum zu finden, aber wenn ich dort angekommen bin weiß ich, geht das Weben sehr, sehr gut.

CF: Wir haben nun ausführlich über das Material gesprochen. Mich interessiert noch Ihre Inspiration. Woher kommen die Formen, Formate und künstlerischen Entscheidungen.

SJ: Ich werde von unterschiedlichen Dingen inspiriert. Einerseits denke ich in geometrischen Strukturen, anderseits inspiriert mich Landschaft. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Santa Maria Salute, den großen Kirchenbau in Venedig, ziert eine große Kuppel, die eine Viereckstruktur aufweist mit klaren Längs- und Querlinien, die für das Weben ideal übertragen werden kann. In gleicher Weise schaue ich auch die Natur, die Landschaft an, die mich ebenso visuell inspirieren kann. Und zeitliche Abläufe haben ihren Einfluss und nicht zu vergessen das System der Fibonacci-Reihe. Ich liebe allerdings in der Kunstgeschichte den Minimalismus und finde hier, in der harmonischen Reduktion, meine wirkliche Faszination.

CF: Was für eine Rolle spielt in diesem Kontext die Farbigkeit?

SJ: Die spielt in vergleichbarer Art eine Rolle. Meine Arbeiten sind eher un- oder naturfarbig, also auch reduziert. Beim europäischen Garn bin ich nicht so festgelegt, aber dennoch farblich zurückhaltend. Am liebsten mag ich ein edles Schwarz, Grau- und Anthrazitstufen sowie warmes Weiß.

CF: Wie reagieren denn die Besucher auf Messen und Ausstellungen auf Ihre Arbeiten. Gibt es einen Unterschied diesbezüglich zwischen Männern und Frauen?

SJ: Ja, interessant. Es gibt Männer, die das was ich mache sehr gut finden, vor allem die Tischsets kaufen lassen. Meine Kunden sind Kundinnen – die Männer beraten dann quasi nur.

CF: Zum Abschluss möchte ich zu Ihren Repräsentationsaufgaben kommen, die Sie im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft des Kunsthandwerks Hamburg (AdK) innehaben. Was kann die AdK für das Kunsthandwerk leisten?

SJ: Zuallererst hat die AdK eine Netzwerkfunktion. Kollegen lernen sich kennen, sie tauschen sich aus, unterrichten sich über Ausstellungen und Messen. Ein wichtiger Bereich sind darüber hinaus die Fortbildungsangebote. Das sind Offerten, die nach Innen wirken. Mit Außenwirkung veranstalten wir eigene Ausstellungen. Heute gehen die meisten junge Leute in das Design und nicht ins Kunsthandwerk und so taucht die Frage auf, wo wir zukunftsfähig sind. Wir sind noch nicht bei einem Ergebnis angekommen, sondern befinden uns auf der Reise. Was wir in jedem Fall machen werden, ist die externe Lobbyarbeit verstärken. Wir müssen besser und vermehrt wahrgenommen werden und den kulturellen Stellenwert deutlicher postulieren!
Der Verlust des handwerklichen Tuns gerade bei vielen jungen Menschen sorgt dafür, dass sie das Kunsthandwerk gar nicht mehr schätzen können. Dagegen tun wir etwas: Arbeitsabläufe zu vermitteln gehört dazu. „Nutzwerte“ hieß entsprechend eine unserer letzten Ausstellungen. Und ich bin der festen Überzeugung, unsere Kulturtechniken sind zukunftsweisend.


Weitere Informationen unter www.silke-janssen.de

Wenn Sie Arbeiten von Silke Janssen sehen möchten, dann besuchen Sie vom 25.11. bis 11.12.2011 die "Kunst und Handwerk Messe" im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (www.kunstundhandwerkmesse.de).
oder die "Handwerksform Hannover", Berliner Allee 17 (www.handwerksform.de) vom 26.11. - 18.12. 2011, täglich von 10 - 18 Uhr.
sowie die "second life" unter gleicher Anschrift in Hannover vom 28.01. - 25.02. 2012.

Fotonachweis:
Header: Clutch Papiergarn-Zeitungspapiergarn, 2011 Foto: Silke Janssen
Galerie:
1. Webstuhl, 2011 Foto: Silke Janssen
2. Zeitungspapiergarn, 2011 Foto: Silke Janssen
3. Tischset, Leinen und Papiergarn, 2009 Foto: Mareike Suhn
4. Schal, Seide und Shifu-Garn, 2009 Foto: Silke Janssen
5. Schal, Leinen und Shifu-Garn, 2011 Foto: Silke Janssen
6. Schal, Leinen und Shifu-Garn, 2009 Foto: Silke Janssen
7. Shifu-Streifen gerollt, 2009 Foto: Helen Purrucker

Kultur-Port.De entwickelte gemeinsam mit der Hamburg Kreativgesellschaft eine Beitragsreihe in der wir Protagonisten aus der Kultur und Kreativwirtschaft Hamburgs vorstellen.
 

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