Film

US-Regisseur Jeff Nichols kreiert mit „The Bikeriders“ eine Hommage an die Motorrad-Clubs der Sechziger Jahre als Spiegel eines sich drastisch verändernden Amerikas, faszinierend, grotesk und abstoßend gleichermaßen. Das Aufheulen der Motoren gleicht einer Kampfansage an die bürgerliche Gesellschaft

 

Der Film fühlt sich an wie ein altmodischer Western mit der Spannung eines spröden Gangster-Epos, überschattet von den Kämpfen um Loyalität und Liebe. Nichols romantisiert weder die Motorrad-Gangs noch ihre Protagonisten, zeigt Gewalt schlicht als Teil des Selbstverständnisses jener Männer, ihre Art zu träumen oder zu verzweifeln auf der Suche nach Identität. Grandios: Austin Butler und Tom Hardy. 

 

Idee und Ausgangspunkt zu „The Bikeriders“ ist der gleichnamige 1968 erschienene Bildband des Fotografen und Dokumentarfilmers Danny Lyon über den Chicago Outlaw Motorcycle Club. Lyon wurde selbst Mitglied, übernahm zeitweise den Lebensstil, seine ikonischen Schwarz-Weiß Aufnahmen besitzen jene besondere spontane Authentizität, die auch Jeff Nichols' Drama prägt. Der Regisseur und Drehbuchautor (Take Shelter, 2011) erzählt die fiktive Geschichte vom Aufstieg und Fall der Vandals, atmosphärisch und visuell nah der Vorlage, in den ersten zehn Minuten des Films schon macht er uns mit seinen Figuren vertraut. Für Benny (Austin Butler), den unzähmbaren Rebellen der Chicagoer Peripherie dreht sich Mitte der Sechziger Jahre das Leben um seine Leidenschaft für den Motorrad-Club der Vandals, gegründet von dem charismatischen Johnny (Tom Hardy), - und um die Liebe zu seiner Frau Kathy (Jodie Comer). Furchtlosigkeit bedeutet für Benny Freiheit, er lässt keine Schlägerei aus ob in der Bar oder auf der Straße, je aussichtsloser, desto besser, seine Obsessionen haben etwas tödlich Selbstzerstörerisches. Die Chicago Vandals, einst Anlaufstelle für Geschwindigkeitsjunkies und Unangepasste, entwickeln sich Anfang der Siebziger von einer Ersatzfamilie zum Verbrecher-Syndikat samt Drogen, Glücksspiel, Prostitution. Irgendwann muss sich Benny entscheiden, wem seine Loyalität gehören soll, Kathy oder Johnny, der ihn zu seinem Nachfolger machen will. 

 

The Bikeriders C 2024 Focus Features LLC

Mike Faist und Regisseur Jeff Nichols am Set. Foto: Kyle Kaplan/Focus Features. © 2024 Focus Features

 

Der Regisseur zeigt Lyon (gespielt von Mike Faist), während er Kathy interviewt und ähnlich wie Karen in Martin Scorseses „Goodfellas“ oder Kay in Francis Ford Coppolas „The Godfather" gibt sie, die Außenseiterin, dem Zuschauer Einblicke in den inneren Zirkel der Gang, vor allem aber in ihre eigenen widersprüchlichen Gefühle. Durch Zufall war sie damals in die schwach erleuchtete verrauchte Kneipe, das Headquarter der Vandals, geraten, wollte nur kurz eine Freundin treffen. Die Typen in den Lederwesten machen ihr Angst, ihre Blicke sind unmissverständlich, geballte toxische Männlichkeit, so wird man es Jahrzehnte später einmal mit Abscheu bezeichnen, diese Generation nahm es lässiger, Anmache als Kompliment war kein Tabu, aber Kathy kommt aus bürgerlichen Verhältnissen, für sie ist es ein Tabu. Sie hält sich tapfer, gibt sich cool, distanziert, will eigentlich nur raus aus dem Schuppen. Doch dann sieht sie Benny am Billardtisch, ihre Blicke treffen sich, und es ist um sie geschehen. Das Wunderbare- wir verstehen es, der Junge hat eine Ausstrahlung, der man schwer widerstehen kann, egal ob Mann oder Frau. Etwas Provozierendes, Magisches. Er redet nicht viel, das wird sich nie ändern. Später am Abend fährt er sie auf seiner Maschine heim, ein erster Vorgeschmack auf das Leben unter Bikern, dann verschwindet sie in ihrem hübschen Häuschen mit Holzveranda, er stellt seine Maschine auf der gegenüberliegenden Straßenseite ab, gegen den Sitz gelehnt, die Veranda im Blickfeld, raucht eine Zigarette nach der anderen bis zum nächsten Morgen. Kathys Partner, ein braver Handwerker, räumt wutentbrannt das Feld, fünf Wochen später wird geheiratet. 

 

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Kathys Stimme begleitet das Leinwand-Epos als Voiceover, das nimmt der Story die Gefahr eines Übermaßes von machomäßiger Selbstgefälligkeit. Die Protagonistin hatte insgeheim gehofft, den wilden Benny ändern zu können. Keine Chance. Jede Form von Erwartung schränkt ihn ein. Der Überempfindliche kommt im Gegensatz zu den anderen aus einer vermögenden Familie, hat sich mit dem Vater verkracht, Johnny ist so etwas wie sein Ersatz-Vater, er blickt zu ihm auf, liebt ihn, und trotzdem will er nicht dessen Nachfolger werden, -den Boss mimen, das ist nicht sein Ding. Jede Art von Kompromiss widerstrebt ihm, er reagiert fern von Logik oder Vernunft rein impulsiv, hintereinander sieben rote Ampeln ignorieren, die Polizei auf den Fersen, das ist seine Art von Lebensgefühl oder Ironie, die Verfolgungsjagd endet erst, als ihm irgendwo weit draußen zwischen den Feldern der Sprit ausgeht. Er lehnt an seiner Maschine genau so lässig wie damals vor Kathys Haus. „The Bikeriders“ gerät nie zum Actionfilm, ist mehr Charakterstudie, Porträt der Außenseiter, für die in der amerikanischen Gesellschaft kein Platz scheint. Es brauchte dafür eine andere Form des Journalismus, „The Bikeriders" ist auch eine Hommage an den new realism von Danny Lyon. 

 

Der Regisseur unterbricht immer wieder den Flow des Films, Club-Mitglieder vor einer Wand im hellen Sonnenlicht stellen sich einzeln vor, ihre Sehnsüchte, Träume, gelungene Kollision von Wirklichkeit und Selbstinszenierung. Die Männer lassen den Fotographen nah an sich heran, werden unachtsam, geben mehr von sich preis, als sie wollen. „Wir gehören nirgendwo dazu, also gehören wir zusammen.“ Es geht Jeff Nichols um die Suche nach Identität: „Wir sind alle verzweifelt darum bemüht, eine Identität für uns zu finden und aufzubauen. Ich denke, das ist eine der entscheidenden Kräfte in der Gesellschaft von heute. Ich finde interessant, dass wir uns bei unserer eigenen Identität oft an Gruppen orientieren, um uns definieren zu können. Es ist Teil des menschlichen Wesens, dass man dazu gehören will, aber dieses Gefühl wird verstärkt, wenn die Gruppe, der wir angehören wollen, stark vom Mainstream abweicht (Anm. d. Red). Je spezifischer die Gruppe, desto klarer ist die Identität. In manchen Fällen kann das eine wunderbare erfüllende Sache in unserem Leben sein. In anderen Fällen schrecklich zerstörerisch. „The Bikeriders“ lotet beides aus.“ Im Dunkel der Kneipe oder draußen am Lagerfeuer offenbaren die Außenseiter ihre schmerzhaften Erfahrungen mit der Realität. Da ist Zipco, gespielt von Michael Shannon, der erzählt, wie er völlig verkatert zur Musterung ging. Er besteht alle Tests, aber er wird abgelehnt. Nichols dazu: „Als ich den Monolog schrieb, fand ich ihn ziemlich lustig. Als wir die Szene drehten, haben alle gelacht, so wie ich es erwartet hatte. Aber am Ende gibt es einen Hauch von Traurigkeit, weil Zipco eigentlich nach Vietnam gehen wollte. Die Armee wollte ihn nicht. Er war unerwünscht. Man sieht, wie die harten Jungs am Lagerfeuer nicken, weil sie verstehen, was er da sagt. Er bestätigt eigentlich alles, was sie über das Gefühl, nicht dazuzugehören, empfinden."

 

Im Zentrum aber steht eine Dreiecksbeziehung, nicht die übliche im Stil von François Truffauts „Jules und Jim“ (1962). Auf der einen Seite Kathy, die Ehefrau und auf der anderen Seite Johnny, für den einst die Fernsehausstrahlung von „The Wilde One“ (1953) mit Marlon Brando der Auslöser war, den Motorrad Club zu gründen. Im Gegensatz zu den meisten der Vandals ist er verheiratet, hat Kinder, arbeitet als Truckdriver, eigentlich eine bürgerliche Existenz. Johnny und Kathy wollen am Ende jeder Benny ganz für sich, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen. Jeder der beiden versucht die eigenen Hoffnungen, Träume und Sehnsüchte in ihn zu projizieren. „Aber er ist nicht dafür gemacht, das zu leisten“, so Nichols, „Er kann es nicht leisten, und er will es auch nicht.“ Eine Tragödie,- für alle drei. „Das ist keine Geschichte, die im Buch vorkommt. Ich habe mich von den Figuren inspirieren lassen, aber meine Aufgabe war, daraus eine eigene Geschichte zu formen."

 

„The Bikeriders“ besitzt eine ganz eigene raue drastische Art der Poesie, erzählt von verlorener Unschuld. Wir spüren den unheilvollen Sog, der Club mutiert zur Gang, die Pose des Moments zählt. „Fäuste oder Messer“ heißt es vor dem Kampf. Die ersten Veteranen kommen zurück aus Vietnam und mit ihnen die Drogen. Tief verwurzelt ist der Hass auf College Boys und „Pinkos“, die Linken haben hier keine Freunde, hier herrschen andere Regeln von Demokratie und Gewalt: „Manche würden lieber aus der Kurve fliegen als bremsen“. Jeff Nichols nimmt Bezug auf Regisseure wie Scorsese und László Benedek, schafft Parallelen, aber nur um die Gegensätze zu unterstreichen, eröffnet über die verschiedenen Charaktere immer neue Perspektiven auf die Flucht in die Subkulturen. Da ist Cal (Boyd Holbrook) der Mechaniker des Clubs, ein Experte seines Fachs und kein Macho wie die anderen Vandals, völlig introvertiert, ihn interessieren nur die Maschinen, für ihn sind sie lebendige Wesen, die sein Leben definieren. Auch ohne dramatischen Verfolgungsszenen begreifen wir, wie es sich anfühlt in machtvoller Formation auf den schweren Maschinen durch den ländlichen Mittelwesten zu brausen der selbst definierten Freiheit entgegen. 

 

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The Bikeriders

Regie: Jeff Nichols 

Drehbuch: Jeff Nichols

Darsteller:  Austin Butler, Jodie Comer, Tom Hardy, Michael Shannon 

Produktionsland: USA, 2023

Länge: 116 Minuten

Kinostart: 20. Juli 2024

Verleih: Universal Pictures Germany

 

Fotos, Pressematerial & Trailer: Kyle Kaplan/Focus Features. © 2024 Focus Features, LLC.. © Universal Pictures Germany

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