Film

Die niederländische Regisseurin Halina Reijn kreiert mit ihrer nihilistisch amüsanten Slasher-Satire „Bodies Bodies Bodies“ ein wundervolles Gegenstück zu Ruben Östlunds vor Metaphern strotzender Farce „Triangle of Sadness“.

 

Aus dem Gesellschaftsspiel verwöhnter reicher Kids wird bei Reijn bald blutiger Ernst und eine schrille bösartige Horrorkomödie nach Whodunit-Manier. Die Generation Z präsentiert sich als orientierungslose narzisstische Wesen zwischen Depression, Sucht, Überheblichkeit und der permanenten Begierde, andere zu erniedrigen, um das eigene Image aufzuwerten.

 

Erstaunlich rasch avancierte die ästhetisch frappierende Chronik jugendlicher Destruktivität zum Liebling vieler Filmkritiker: Das Leinwand-Epos buhlt nicht um Sympathie, verwehrt sich den üblichen Klischees und Perspektiven des Slasher-Genres, keine Figur verlockt zum Identifizieren. Eine Hurrikan-Party als Projektionsfläche von Konkurrenzneid und Eifersüchteleien. Das Drehbuch schrieb Sarah DeLappe nach einer Story von Kristen Ropenian, beide verfügen offensichtlich über fundierte Kenntniss der sprachlichen Gepflogenheiten unter den Sprösslingen des Spätkapitalismus.

 

Auf dem serpentinenreichen Weg zum abgelegenen Anwesen eines guten alten Freundes versucht Sophie (Amandla Sternberg) im Wagen ihr Sweetheart Bee (Maria Bakalova) zu beruhigen. Die fürchtet, nicht mithalten zu können in der illustren Runde reicher Youngster. Sie selbst studiert noch, kommt aus Osteuropa und verkörpert in „Bodies Bodies Bodies" die Arbeiterklasse, was üblicherweise in dieser Filmgattung ihr einen moralischen Vorsprung verschaffen würde, nicht hier. Die scheinbar herzliche Begrüßung am Pool täuscht, Geheimnisse der Vergangenheit vergiften die Atmosphäre, warten nur darauf entlarvt zu werden, und auch wenn der Champagner in Strömen fließt, reichlich gekokst wird und getanzt, sorgloses Chillen geht anders. Fast alle sind Anfang oder Mitte Zwanzig wie David, der Gastgeber (Pete Davidson) des protzigen Herrenhauses. Breitbeinig auf dem Sofa rühmt er sich mit vulgärer Selbstverständlichkeit seiner erotischen Ausstrahlung. Eingetroffen zur Hurrikan-Party sind Schauspieler-Freundin Emma (Chase Sui Wonders), Podcasterin Alice (Rachel Sennott), ihr um vieles älterer Freund Greg (Lee Pace) und die mysteriöse Jordan (Myhal’la Herrold). Ein gewisser Max ist bereits wieder verschwunden, Davids blaues Auge das Ergebnis einer Auseinandersetzung zwischen ihm und dem nun Abwesenden.

 

Während drinnen TikTok und Twitter über das Schicksal zu bestimmen scheinen, tobt draußen der Sturm, zeigt die Natur ihre Gewalt und Schönheit, das Herrenhaus verschwindet fast zwischen hohen Bäumen und Gebüsch, als könnte die Wildnis es samt Swimmingpool jeden Moment verschlingen. Jemand schlägt vor „Bodies Bodies Bodies“ zu spielen, das Licht wird ausgeschaltet, das Los entscheidet über die Rolle des Mörders, nun im Dunkel sucht er/sie sich sein/ihr Opfer, ein leichter Schlag hinterrücks und tot bis Du. Zurück im Hellen müssen die Überlebenden herausfinden, wer der Killer ist, wenn sie falsch liegen, geht das Spiel unerbittlich weiter. Perfekter Zeitpunkt für einen emotionalen Showdown, viele alte Rechnungen sind noch offen, skrupellos werden Geheimnisse ausgeplaudert, nichts ist zu profan, um es nicht als Waffe einzusetzen. Darin liegt der Charme oder besser der Schrecken dieser Horror Comedy. Wir beobachten fasziniert und abgestoßen zugleich, wie sich das Leben der Akteure vornehmlich um die eigentlichen Befindlichkeiten dreht, wobei sie die Schwächen der anderen nie aus den Augen verlieren.

 

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Es ist die Generation der Performer, sie inszenieren sich selbst als Objekt der Begierde, das Äußere entscheidet nicht nur bei Instagram. Sie küssen und umarmen sich, der nächste Griff ist zum Handy. Vom Akku sind sie abhängig, als wären sie selbst eine Maschine. Die Image-Vermarktung verlangt nach Updates im Stundentakt. Sie jammern über die Bösartigkeit der anderen, über ihre ridikülen psychischen Probleme, pochen auf Freiraum, Behutsamkeit im Umgang, als wären sie eine aussterbende Spezies und sind doch zu jeder Schandtat bereit. Bee findet David draußen am Pool mit aufgeschlitzter Kehle, Tatwaffe: ein Khukuri, ursprüngliche Nahkampfwaffe aus Nepal, der Hausherr pflegte Champagner-Flaschen damit zu öffnen. Hilfe holen ist keine Option, der einzige zur Verfügung stehende Wagen will nicht anspringen. Inzwischen ist die Elektrizität ausgefallen, Licht spenden nur noch die Smartphones, was der schon vorher bedrohlichen Atmosphäre eine ganz eigene Ästhetik verleiht. Freundschaft zählt hier kaum noch, nur die augenblickliche Allianz, die zum nächsten Erfolg verhilft. Sex befriedigt wenigsten Bedürfnisse, doch ist oft lediglich Mittel zum Zweck. Vor unseren Augen entsteht im Halbdunkel ein sich ständig veränderndes Beziehungsgeflecht, wir stolpern leicht genervt zwischen dilettantischen Ermittlern, hartgesottenen Tätern und potenzieller Opfern hin und her. Das Herrenhaus wird zum Labyrinth, die gläserne Fassade täuscht Transparenz nur vor.

 

Das Spiel geht weiter, kein Zufall, dass die beiden Männer als erste das Zeitliche segnen, Halina Reijn setzt ein Zeichen, toxische Überheblichkeit gehört bestraft. „Bodies Bodies Bodies“ funktioniert nach dem Prinzip von Agathe Christies „Und dann gabs keines mehr“, ihr 26. Kriminalroman erschien 1939. Doch es graust einem als Zuschauer nicht vor dem Killer, sondern vor dem brutal bissigen verbalen Nahkampf. Jener modisch aufgepeppte Zynismus der Youngster ist längst zu purer Oberflächlichkeit erstarrt und doch lautet die Devise weiterhin: Cool bleiben. Ein Phänomen, das kein Privileg der Oberschicht ist, nur dort besondere Ausprägung erfährt. Die quirlige Satire verfügt über erstaunliche Suspense, Soundtrack und Dramaturgie sind perfekt miteinander verbunden, eine seltsame rüde Poesie entsteht. Jede Figur ist für sich ein kleines Meisterwerk: Sophie scheint nach langem Drogenentzug eher ein unliebsamer Überraschungsgast für David zu sein. Ihre Rolle basiert auf Platonov, jener Figur des russischen Dramatikers Anton Tschechow (1860-1904). Platonov ist immer auf der Bühne, hat Beziehungen zu allen anderen Charakteren und verheimlicht grundsätzlich alles. Sophie ist verrückt nach Bee, aber mit der gleichen Intensität kann sie sich eine Stunde später in jemand Anderen verlieben. Mit David war sie während der Highschool zusammen, und vieles deutet darauf hin, dass zwischen ihr Jordan was läuft. Nur sicher sein kann man sich nie, Hören-Sagen oder eine absichtliche Intrige. Selbst der Zufall fordert eine Tote. Schwarzer Humor verschiedenster Schattierungen und doch immer der Realität verpflichtet. Halina Reijns großes Vorbild ist John Cassavetes.

 

Auch wenn Bee und Sophie überleben, ihre Freundschaft wird es nicht. Schwul oder lesbisch sein, behandelt Halina Reijn („Instinct“, 2019) mit einer absoluten Selbstverständlichkeit, wie es nur wenigen Filmemachern gelingt, ihre queeren Akteure dürfen bösartig, ängstlich, arrogant oder integer sein. „Bodies Bodies Bodies“ ist vielleicht keine Lovestory, aber ein Film über Liebe, die Sinnlichkeit allgegenwärtig spürbar genau wie Gewalt und Sadismus. In der Slasher-Satire ist das von den Vorfahren erwirtschaftete Vermögen absolute Voraussetzung akzeptiert zu werden, schon die obere Mittelschicht wird herablassend belächelt, auch dies ein Erbe der Eltern. Ähnlich wie in „Triangle of Sadness“ glaubt der Zuschauer gegen Ende des Films, dass Reichtum irreversible Schäden hinterlässt oder gar selbst eine Form von Sadismus ist. Leider muss er auch feststellen, dass er selbst längst einige Angewohnheiten der Generation Z übernommen hat. Ob es der Drang zur Selbstoptimierung ist oder die Abhängigkeit von Smartphone und Laptop als ständige Begleiter. Der gravierende Unterschied: Für die Protagonisten scheint die Welt draußen mit Kriegen und Krisen nicht zu existieren, die sozialen Netzwerke sind ihr eigentlicher Lebensraum, wo Hass oft viel profitabler ist als Empathie.

 

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Originaltitel: Bodies Bodies Bodies

Regie: Halina Reijn

Drehbuch: Sarah DeLappe, Kristen Ropenian

Darsteller: Amandla Stenberg, Maria Bakalova, Pete Davidson, Rachel Sennott, Lee Pace

Produktionsland: USA, 2022

Länge: 94 Minuten

Kinostart: 27. Oktober 2022

Filmverleih: Sony Pictures Germany

 

Fotos, Pressematerial & Tralier: Sony Pictures Germany

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