Film
Gundermann

Er war Baggerfahrer und Liedermacher, ein Querdenker, Poet, Arbeiteridol, Rebell und Stasi-Spitzel. Gerhard “Gundi” Gundermann, der ungelenke Brillenträger und eigenwillige Sozialist aus der Lausitzer Braunkohle-Region, hofft, träumt und kämpft für eine bessere Welt und um seine große Liebe.
Regisseur Andreas Dresen inszeniert das ungewöhnliche Künstler-Porträt mit Alexander Scheer in der Hauptrolle als ein Stück deutsch-deutscher Geschichte, so behutsam, so klug, mit verhaltener Zärtlichkeit, wie es zuvor noch keinem anderen gelang. “Gundermann” erzählt von Schuld und Verstrickung, Verdrängen und Sich-Stellen-Wollen, eröffnet eine neue, differenziertere Perspektive auf jenes längst verschwundene Land.

Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen DDR erfolgte nach der Wende lange aus rein westlicher Sicht, im Mittelpunkt von Filmen und TV-Produktionen standen die Missstände, Ziele oder Ideale wurden zwangsläufig zum Tabu. Ein System hatte versagt, für die Menschen aus Ostdeutschland, wie den 55jährigen in Gera geborene Regisseur Andreas Dresen war diese Form der Vergangenheitsbewältigung meist enttäuschend, wenn nicht ärgerlich. „Das Leben der Anderen“ oder Ostalgie-Komödien im Stil von „Good Bye, Lenin!“, schienen, unabhängig von ihrer Qualität, relativ wenig der eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen widerzuspiegeln.

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Gundermann ist keiner, der auf Anhieb sympathisch wirkt. Er starrt uns mit wässrigen Augen durch diese scheußlichen riesigen Brillengläser an wie ein verirrtes Insekt. Unwillkürlich fühlt man sich erinnert an den traurig-vorwurfsvollen Blick Milan Peschels in dem Krebs-Drama „Halt auf freier Strecke“, wenn der von oben durch das Treppengeländer auf die Familie-Idylle hinunterschaut, der Tod ist greifbar nah, der Schmerz ließ den Zuschauer nicht mehr los: das Gegenteil betörenden Hollywood-Kinos, knallharte klägliche Realität und wir mittendrin. Und auch dieser Protagonist taugt mehr zum störrischen Clown als tragischen Helden, mit seinem spärlich blonden Haar, den schlecht sitzenden unförmigen Klamotten, die Art wie er näselnd schniefend spricht, mit dem Kopf zuckt. Seine fahrigen Handbewegungen irritieren, nicht zu vergessen, das lächerliche kleine Fahrrad, auf dem er durch die Straßen flitzt. Nur seine Lieder, seine Texte, die überzeugen vom ersten Moment an.

Langsam aber unaufhaltsam fressen sich die Schaufelräder des Baggers durch die Braunkohlengrube, Gundermann will die Kunst nicht zum Broterwerb machen, an der Offiziersschule ist er rausgeflogen, der chronisch Widerspenstige hat ein Talent überall anzuecken, so wird er nun Maschinist für Tagebaugroßberäte. Hier oben in der Kanzel mit Blick auf die seltsam düstere fast unwirkliche Weite der Landschaft, kreiert er seine Impressionen über den Alltag im Arbeiter- und Bauernstaat, spricht aufs Bandgerät, die ältere erfahrene Genossin (wundervoll Eva Weißenborn) lernt ihn an, hält ihm den Rücken frei, schweigt missbilligend zu seinen poetischen Kapriolen. Schon zu dieser Zeit ist er Texter und Schlagzeuger der Band Brigade Feuerstein- allerdings ohne die sogenannte Mitgesangserlaubnis, dort trifft er auch auf seine Jugendliebe Conny (Anna Unterberger), die inzwischen mit einem anderen verheiratet ist. Es beginnt ein akribisches geduldiges Werben, bis der Ehemann den Platz räumt.

Der Film entwickelt sich zu einer Gratwanderung zwischen Realität und Fiktion, die Zeitebenen Mitte der Siebziger Jahre und Mitte der Neunziger wechseln ständig, manches wird nur beiläufig gestreift. Entscheidend aber ist die Schlüsselszene, wenn Gundermann bei einem Freund daheim auftaucht, um ihm zu gestehen, dass er ihn jahrzehntelang als IM, inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, bespitzelt, hat. Es stellt sich heraus, dass auch der ihn bespitzelte. Auf Verblüffung folgt Scham, Entsetzen, Wut. Als der Liedermacher in der Gauck-Behörde seine Opferakte einsehen will, ist die nicht auffindbar, daraufhin verlangt er die Täter-Akte, aber das scheint nicht vorgesehen bei der Gauckschen Vergangenheitsbewältigung. Plötzlich weiß der ewige Rebell nicht mehr, wie weit er seiner Erinnerung trauen kann, was hat er verdrängt, umgeschrieben, vergessen, er versucht sich zu rechtfertigen, nichts Wesentliches verraten zu haben, doch spätestens durch den Besuch beim Führungsoffizier, genial verkörpert von einem jovial freundlichen Axel Prahl, wird deutlich, mit welchem Eifer er seiner Aufgabe nachgekommen sein muss. Der Stasimann ist voll des Lobes für ihn.

Gundermanns trügerisches Bild von sich selbst zerbricht. Wo endet Feigheit, beginnt der Verrat? Conny, seine Frau hat nichts von der IM-Tätigkeit geahnt, oft genug hatte sie ihn angefleht, nicht immer gegen den Strom anzuschwimmen. „Schämst Du Dich für mich?“ fragt er sie an diesem Abend. Anna Unterberger ist die einzige im Schauspieler-Team ohne DDR-Background. Die Südtirolerin ebnet uns den Weg in das Innere dieses manchmal befremdlichen Menschen, wenn sie seine Hand nimmt, sagt: „Ich bin bei Dir“ und er losheult, dann begreifen wir das Ausmaß jener Verzweiflung. Was der Liedermacher tat, geschah aus tiefster Überzeugung, ob als Künstler, Baggerfahrer oder Spitzel. Die Ideale des Sozialismus sind seine ganz persönlichen: „Wenn es diese Weltanschauung nicht schon gäbe, hätte ich da auch selber drauf kommen können.“ Bescheiden klingt nicht, was er da den Genossen vorträgt mit breitem Grinsen. Und nun nach der Wende muss er akzeptieren, dass ihn der Mitarbeiter bei der Gauck-Behörde mit Verachtung straft: „Man kann auch Kommunist sein, ohne ein Schwein zu werden.“

Drehbuchautorin Laila Stieler („Willenbrock”, „Wolke Neun”) hielt ihren Protagonisten anfangs für clownesker: „Fast wie ein Eulenspiegel, ein Typ also, der die anderen an der Nase herumführt. Schon nach den ersten Gesprächen mit seiner Frau Conny und seiner Band war klar, dass er es mit Humor nicht so hatte. Also wurde er für mich ernsthafter. Mein Gundermann ging also mehr in Richtung Idealist, durchaus auch naiv, aber nicht im Sinne eines Dummkopfs”. Vielleicht war er es doch, so wie wir alle es manchmal sind, nur eben mit grauenvollen Konsequenzen. Wo Konzerne die Demokratie zur Farce reduzieren, die Kluft zwischen Arm und Reich unaufhörlich wächst, wird ein Film wie “Gundermann” zur seltenen Kostbarkeit. Und plötzlich kommt dann auch der Moment, wo wir ihn, den Musiker, den Baggerfahrer, auch den Spitzel verstehen, seine Kompromisslosigkeit, seine innere Stärke fast bewundern „Ich werde nicht um Verzeihung bitten, aber mir selber werde ich das nie verzeihen,“ sagt er dem Freund, den er hinterging. Man hatte ihn zu DDR Zeiten so oft schon gezwungen, Abbitte zu leisten, sich zu entschuldigen, wenn er sich für mehr Sicherheit im Kohletagebau einsetzte. Die Worte haben längst ihre Unschuld verloren, sind entwertet worden. 1978 wurde er aus der SED ausgeschlossen, wegen „unerwünschter eigener Meinung“, später wandelte man den Parteiausschluss in eine strenge Rüge um. 1984 folgte ein erneuter Ausschluss aus der SED und wenig später auch von der Stasi „wegen prinzipieller Eigenwilligkeit“.

Gundermann war ein leichtes Opfer für die Stasi gewesen, ihm fehlte der Vater, dessen Zuneigung und Anerkennung, er ist nur zu empfänglich für das Lob des Führungsoffiziers, die Chance sich bewähren zu dürfen, seine Heimat zu schützen. An einer Stelle im Film heißt es: „Ich hatte damals kein Privatleben, vielleicht habe ich es deshalb auch anderen nicht zugestanden.“ Der Musiker spielt auf ein tragisches Ereignis in seinem Leben an. Mit zwölf Jahren hatte er in der elterlichen Wohnung den alten Armeerevolver seines Vaters aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden, stolz zeigt er ihn den Schulfreunden. Prompt stand wenig später die Polizei vor der Tür, der Vater bekam ein Strafverfahren wegen unerlaubten Waffenbesitzes, die Ehe zerbrach daran, zurück blieb ein schwer traumatisierter Junge. Der Vater verweigerte den Kontakt mit dem Sohn, sprach nie wieder ein Wort mit ihm. Phantastisch, einfach unglaublich wie Alexander Scheer („Gladbeck“, „Carlos- der Schakal“) die Rolle und Songs verinnerlicht, jene Zerrissenheit zwischen Loyalität und Rebellion, ein Mann voller Widersprüche, unsicher, mutig, der seinen Utopien und seinem Land die Treue hält, er verausgabt sich bis zur völligen Erschöpfung, eben noch spielt er vor Bob Dylan und schon geht es zur nächsten Schicht in den Kohletagebau. „Ich habe wirklich verstanden, dass er die Arbeit dort echt gebraucht hat, obwohl sie einsam war und monoton“, erklärt der Schauspieler. „Die Kanzel des Baggers ist wie eine Weltraumkapsel für den Kopf. Ich kann da auch den Widerspruch verstehen, wenn er sagt: Ich baggere hier Strom. Das ist nicht schön, Heimat zu verheizen, aber wichtig, sonst gehen hier im Land die Lichter aus. Das Baggern ist ernste Verantwortung, die Konzerte sind freies Spiel und Reflexion. Das kannst Du nicht trennen, das geht nur beides.“

Seine Band nach der Wende hatte den provokanten Namen: Seilschaft. Die kleine Tochter Linda, seine Frau Conny geben ihm den Rückhalt, den er braucht. Mitte der Neunziger outet er sich auch auf der Bühne vor dem Publikum als Stasi-Spitzel, die Überschrift zu seinem Interview lautete: „Nie mehr: der Zweck heiligt die Mittel“. Er singt von Verlierern, vom Scheitern, von der Sehnsucht, die Texte, sie kommen direkt vom Herzen, sagt Dresen. Es sind die 18 Lieder, neu eingespielt, die dem Film mit ihrer melancholischen Poesie solche Kraft verleihen. 1997 wird Gundermann arbeitslos wie Zehntausende vor ihm. Die Grube Britta ist schon lange geschlossen. Der sozialistische Rebell hat noch nicht einmal mehr einen Beruf: Maschinist für Tagebaugroßgeräte steht auf der Liste von 160 Berufen, die im Westen gar nicht existieren. Der Ex-Baggerfahrer beginnt eine Umschulung als Tischler, tritt mit einem neuen Soloprogramm auf. Die Ballade „Engel über dem Revier“ handelt vom Abschied. Er habe auf das richtige Pferde gesetzt, sagt der störrische Poet, doch dieses Pferde hat verloren. Im Sommer 1998, mit 43 Jahren stirbt Gundermann.

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Originaltitel Film: Gundermann

Regie: Andreas Dresen
Darsteller: Alexander Scheer, Anna Unterberger, Eva Weißenborn Axel Prahl, Milan Peschel, Bjarne Mädel
Produktionsland: Deutschland, 2018
Länge:128 Minuten
Kinostart: 23. August 2018
Verleih: Pandora Film

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Pandora Film

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