Film
Transit

Geheimnisvoll suggestives Flüchtlings-Melodram um Liebe, Verrat und Lüge. Atemberaubende Bilder, überraschend, herzzerreißend, sie lassen uns nicht mehr los, vielleicht wird sich das wundervoll komponierte, filigrane Neo-Noir-Konstrukt in unserem Gedächtnis einnisten wie einst das Hollywood-Epos „Casablanca”.
„Transit” entstand nach dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers. Der Film spielt 1940, aber Regisseur Christian Petzold macht das heutige Marseille zu seiner Kulisse, hebt so die Kluft auf zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ein genialer Kunstgriff, Historie wird zu unmittelbarer Realität.

Die feindlichen Truppen stehen vor Paris. Georg (Franz Rogowski), ein Deutscher, entkommt im letzten Moment den Faschisten. Gültige Papiere besitzt er keine, in seinem kärglichen Gepäck die Hinterlassenschaft des Schriftstellers Weidel, der aus Angst vor den Verfolgern Selbstmord begangen hat: Ein Manuskript, Briefe, die Zusicherung eines Visums durch die mexikanische Botschaft. In Marseille hält man ihn auf dem Konsulat irrtümlich für den Schriftsteller, nur einen Augenblick zögert Georg, bisher hat er sich treiben lassen von den Ereignissen, immer haben Andere über sein Schicksal bestimmt, hier trifft er zum ersten Mal bewusst eine Entscheidung, als er die Identität des Fremden annimmt.

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Christian Petzold schreibt über den Film : „Es gibt einen sehr schönen Satz in der Autobiographie von Georg K. Glaser: Plötzlich, am Ende meiner Flucht, war ich umgeben von etwas, was ich Geschichtsstille nannte. Georg K. Glaser, war ein deutscher Kommunist, der zur selben Zeit, in der auch der Roman ‚Transit’ von Anna Seghers spielt, nach Frankreich und dann in den unbesetzten Teil floh. Geschichtsstille, das ist wie Windstille- das Schiff empfängt keine Brise mehr, es ist umgeben von der Weite und dem Nichts des Meeres. Die Passagiere sind herausgefallen aus der Geschichte, aus dem Leben. Sie hängen fest, im Raum, in der Zeit. Die in ‚Transit’ hängen fest in Marseille...
...es wird für sie kein Zurück mehr geben. Und kein Vorwärts. Niemand will sie aufnehmen, niemand will sich kümmern um sie, niemand nimmt sie wahr- nur die Polizisten, die Kollaborateure und die Überwachungskameras. Sie sind im Begriff, Gespenster zu werden, zwischen Leben und Tod, zwischen dem Gestern und dem Heute. Die Gegenwart nimmt keine Notiz von ihnen. Das Kino liebt die Gespenster, vielleicht, weil es auch ein Transitraum, ein Zwischenreich ist. Wir, die Zuschauer, sind anwesend und abwesend zugleich. Die Menschen in ‚Transit’ wollen zurück in den Strom, in die Brise, in die Bewegung. Sie wollen eine Geschichte haben.” Jenes Romanfragment in Georgs Seesack erzählt von Schuld, Moral, Verantwortung und Loyalität. Die Protagonisten machen diese Erzählung zu ihrer eigenen.

„Sie haben keine Bleibebestätigung?” fragt die Sachbearbeiterin. „Aber ich will gar nicht bleiben,” antwortet Georg leicht verwirrt. „Das müssen sie nachweisen.” „Ich darf also nur bleiben, wenn ich beweisen kann, dass ich nicht bleiben will?”. Die Dame in dem gepunkteten Kleid ihm gegenüber nickt mit einem strahlenden Lächeln. Eine kafkaeske Bürokratie, an der die meisten scheitern. Der Krieg, die Gründe der Vertreibung kommen nur als Gegebenheit vor, sie werden nicht dramatisiert. Die Gespräche der Flüchtlinge auf den Korridoren der kleinen Hotels, den Konsulaten, den Cafés und Bars drehen sich um die Pläne in einer ungewissen Zukunft, sie haben etwas Apokalyptisches, ‘Transit’ als Stillstand, Untergang. Viele klammern sich wie Ertrinkende an ihre Erinnerungen von einer Heimat, die für sie aufgehört hat zu existieren, sie haben keine Sprache mehr, in der sie zuhause sind, die Sehnsucht ist ihr letztes Bindeglied mit dem Universum.

Wer ist unser Protagonist, woher kommt er? Der Zuschauer erfährt wenig über jenen Außenseiter par excellence, nur als Georg sich mit dem kleinen Driss (Lilien Batman) anfreundet, dem Sohn seines auf der Flucht gestorbenen Genossen Heinz (Ronald Kukulies), finden sich Indizien einer Vergangenheit. Für den Kleinen repariert er daheim ein altersschwaches Radio, beweist sich als ausgebildeter Techniker, singt dem Jungen anrührend, unbeholfen ein Schlaflied vor, wie es einst seine Mutter tat. Fast hatte er sie erfolgreich verdrängt, vergessen jene ferne, an einem Ort wie diesen, so unvorstellbare Idylle. Erinnerungen sind gefährlich für einen wie ihn, sie gehören weggesperrt, weil man sonst vor Heimweh untergehen würde. Oft schon hat Rogowski Gescheiterte verkörpert wie in Michael Hanekes „Happy End“, aber selbst seine Verzweiflung hat am Ende etwas Aufrührerisches, er leistet Widerstand, auch dort noch, wo alles verloren scheint wie in „Love Steaks“ oder „Lux- Krieger des Lichts“. Der Regisseur suchte einen Darsteller, dem man es abnimmt, dass er sich durchschlägt in unbarmherzig harten Zeiten. Beim Schreiben hatte Petzold an Jean-Paul Belmondo in „Außer Atem“ gedacht.

„Transit“ vermittelt manchmal trotz seiner Tragik, der inneren Zerrissenheit des Helden, jene verführerische unberechenbare Leichtigkeit der Nouvelle Vague. Atmosphäre und Stil sind geprägt von der französischen Hafenstadt, ziehen uns hinein in diesen ungewohnten Schwebezustand, die Begegnungen haben etwas tänzerisch Schemenhaftes, Unwirkliches. Eine geheimnisvolle Unbekannte (grandios Paula Beer) tippt Georg auf die Schulter, er dreht sich um, sie schüttelt den Kopf, nein, er ist es nicht, den sie sucht. Und schon ist Marie fort, noch kannte er ihren Namen nicht. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege. Unser Held, der in den Bistros nie anders als mit dem Rücken zur Tür sitzt, früher jedes Mal zusammenzuckte, wenn jemand das Lokal betrat, verliebt sich, alle Vorsicht außer Acht lassend, und obwohl er es besser wissen sollte, in die fragile Femme Fatale. Ist es Hingabe oder Berechnung, die Marie ihr Leben vor der Weiterreise mit dem Arzt Richard (Godehard Giese) teilen lässt, während sie gleichzeitig auf der Suche nach ihrem Mann, dem Schriftsteller, ist. Der, so erzählt man, sei in Marseille aufgetaucht, in Besitz eines mexikanischen Visums für sich und seine Frau. In ‚Transit’ wird die Frage gestellt, wer mehr leidet, der Verlassene oder der Verlassende.

Heute und damals überlagern sich, verfehlen einander, stimmen nie ganz überein. Petzold vermeidet jede Art simpler Analogie zwischen den Fluchtbewegungen. Was nach Brecht‘schem Verfremdungseffekt klingt, wird im nächsten Moment unterlaufen, entlarvt. Die Flucht vor sich selbst kollidiert mit der Flucht vor den anrückenden deutschen Truppen, der Angst vor den nationalsozialistischen Säuberungsaktionen. Strahlend blau sind Himmel wie Meer, Brauntöne dominieren die Innenräume. Der Regisseur entschied sich für Cinemascope als Bildformat. „Mir war wichtig”, sagt er in einem Interview, „dass die Räume eine Choreographie zulassen, wo die Figuren nicht nur über die Dialoge miteinander kommunizieren, sondern wo sie mit ihrer Anwesenheit, ihren Bewegungen, mit dem Abstand, den sie zueinander haben, wesentlich mehr erzählen können, als wenn sie dauernd von sich reden.” Über dem Hafen erhebt sich die Silhouette der Containerkräne, auf der Straße kickt Driss, der begeisterter Borussia-Dortmund-Fan, mit eine Getränkedose. Auch die Graffiti der Häuserwände erinnern an das 21. Jahrhundert genau wie die schwer bewaffneten Spezialeinheiten der französischen Polizei. David Byrnes „Road to Nowhere“ avanciert zur Erkennungsmelodie der Heimatlosen wie Anna Seghers, die in ‘Transit’ ihre eigenen Erfahrungen schilderte.

Die Sprache ist von spröder Eindringlichkeit, unglaublich schön. Petzold entschied sich gegen eine Ich-Erzählung wie im Roman, der Erzähler (Matthias Brandt) aus dem Off hat sein Vorbild in Kubricks ‚Barry Lyndon’, erst ganz am Ende begreifen wir, um wen es sich handelt. Seine Stimme verstärkt die Entrücktheit des Films, widerspricht den Bildern, erhöht die Vieldeutigkeit. Marie quälen Schuldgefühle, sie sucht Erlösung, das Verzeihen ihres Mannes. Georg dagegen ist ein Entwurzelter, Flüchtling aus Überzeugung, aber die Liebe zu Marie verändert ihn, er begreift zum ersten Mal die Bedeutung einer Bindung, von Nähe. Die nutzlose Wahrheit erspart er ihr. „Er schlägt sich gut durch, weil er glaubt, dass er nichts zu verlieren hat und auch nichts verloren hat”, sagt der Regisseur, „er ist clever, fast wie ein Krimineller, er kann Zeichen lesen, er weiß sich zu verstellen. Erst mit der Lektüre des Manuskripts auf der Flucht, während sein Freund neben ihm stirbt, beginnt er plötzlich, so etwas wie ein tragischer Held zu werden... Er verliebt sich, er hat ein Ziel, obwohl alles auf einer Lüge aufbaut, mit der Identität eines anderen. Aber er bekommt im Laufe der Geschichte eine Identität als einer, der wünscht, der begehrt, der am Schluss sogar Opfer bringt.”

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Originaltitel: Transit

Regie / Drehbuch: Christian Petzold
Darsteller: Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese
Produktionsländer: Deutschland, Frankreich
Länge: 101 Minuten
Kinostart: 5. April 2018
Verleih: Piffl Medien GmbH

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright
Piffl Medien GmbH

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