„Ewige Jugend” – Mit Paolo Sorrentino auf den Zauberberg
- Geschrieben von Anna Grillet -
Es ist sein persönlichster Film, von ungewohnter Zärtlichkeit. Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino entführt den Zuschauer nach dem Welterfolg von “La Grande Bellezza” in die Idylle der Schweizer Alpen. „Ewige Jugend” lässt Musik und Bilder, Leben und Kunst zu einer betörenden Wehmutswelt verschmelzen.
Fred (Michael Caine) zuckt zusammen. Eben hat er noch den nächtlichen Markusplatz in Venedig überquert, ist fast in den Wellen des Hochwassers ertrunken.
Ein böser Traum, aber da war auch jene hinreißende Schönheit, der er begegnete. Nun ist Fred wieder zurück in der Realität. Ein lauer Sommerabend, er sitzt im Garten eines eleganten Kurhotels mit Blick auf die Berge. Fred war ein gefeierter Komponist und Dirigent, New York, London, Venedig, aber der jetzt 80jährige hat sich zurückgezogen, möchte von all dem nichts mehr wissen. Ganz anders sein Freund Mick (Harvey Keitel), ein erfolgreicher Hollywood-Regisseur. Der will mit seinem letzten Film noch einmal zeigen, was in ihm steckt. Ein emotionales, intellektuelles und moralische Testament soll es werden, der Höhepunkt seiner Karriere. Das Finale ist noch nicht beschlossen, zusammen mit fünf jungen Drehbuchautoren sucht er hier oben im Gebirge nach der perfekten Auflösung. Fest steht nur, seine Muse Brenda Morel (Jane Fonda) soll die Hauptrolle spielen.
In der luxuriösen Wellness-Oase treten jeden Morgen die Gäste im weißen Frotteebademantel mit fast militärischer Disziplin an zum Marsch Richtung Sauna, Poolgymnastik, Massage. Abends, nach dem Dinner in historischem Ambiente, beginnt sich die Bühne vor dem Hotel zu drehen, heute mit einer hinreißenden Performance von „Florence + the Maschine“. Mick und Fred kennen sich seit Jahrzehnten, sie plaudern über vergangene Lieben und gegenwärtige Zipperlein, insbesondere die Prostata. Erotik ist nicht mehr Spielplatz der Eroberung sondern Ansatz zur Kontemplation. Wenn Miss Universum (Madalina Ghenea) nackt ins Wasser steigt, seufzen sie nur: „Wer ist das?” „Gott”. Ihre täglichen absurden Plänkeleien werden zur amüsant ironischen Koketterie mit dem Alter. Was für Augenblicke voyeuristisch scheinen mag, ist nur noch das Echo einstiger Leidenschaft, die beiden starren mit der verzauberten Ungläubigkeit zweier kleiner Jungen das Objekt einstiger Begierde an. Auch Lena (Rachel Weisz), Freds Tochter und seine Managerin, weilt im Hotel. Verheiratet ist sie mit Micks Sohn und sorgt sich um den Vater. Sie hält ihn für apathisch, misstraut seinem beschaulichen Nichtstun und hat ein rigoroses Programm zusammengestellt aus Massagen und medizinischen Tests. Geduldig lässt der alte Herr alles über sich ergehen.
Den Schwebezustand heiterer Verantwortungslosigkeit stört ein Abgesandter des Buckingham Palace. Der ist Fred bis in die Alpen gefolgt, um den sehnlichen Wunsch der Queen zu übermitteln, er möge seine „Simple Songs” in London dirigieren. Der Künstler lehnt kategorisch ab. Die Sopranistin Sumi Jo hätte bereits zugesagt. Fred beeindruckt das nicht. Vor allem auf die Wahl des Musikstücks reagiert er allergisch. Was es mit dieser Weigerung und der Komposition auf sich hat, wird der Zuschauer erst am Ende des Films erfahren. Die Tochter drängt darauf, das lukrative Angebot anzunehmen. Stattdessen flüchtet Fred in die Abgeschiedenheit der Natur und dirigiert das Muhen der Kühe und ihr Glockengeläut, das sich für ihn zur Sinfonie verdichtet. Während „La Grande Bellezza” an Federico Fellinis „Dolce Vita” erinnerte, ist die „Ewige Jugend” ein Augenzwinkern in Richtung „Achteinhalb” mit Marcello Mastroianni als Filmregisseur in der Krise. Doch Freds Probleme sind anderer Art. Auch Mick versteht die künstlerische Enthaltsamkeit nicht: „Deine Musik hat vielen neue, überraschende Emotionen geschenkt.” „Emotionen werden oftmals überbewertet”, entgegnet lakonisch der Freund.
Das Hotel ist nur scheinbar ein in sich geschlossener Mikrokosmos der Gesellschaft: eher ein Zwischenstopp, vorübergehendes Refugium aber auch Arena für Tragödien, idealer Schauplatz der Selbstfindung. Schicksale überschneiden sich, Fred und Mick genießen es (genau wie der Zuschauer), einfach nur da zu sitzen und die bizarren Wesen um sich herum zu beobachten. Da ist Paul Dano (Jimmy Tree) ein sonderbarer junger Schauspieler, sehr ruhig mit einem wissenden Lächeln, nicht unähnlich dem von Fred. Er leidet darunter, dass er zu Weltruhm kam in der Rolle des Mr. Q, einem Roboter. Das Image wird er nicht mehr los. Ein phänomenal fetter Diego Maradona mit Karl Marx auf den Rücken tätowiert und einem Sauerstoffgerät in der Hand schleppt sich schwer atmend zum Pool, aber auf dem Tennisplatz kickt er plötzlich mit artistischer Bravour die winzigen weißen Bälle. Fred lauscht auf dem Hotelflur, wie jemand ungelenk Geige übt. Es ist ein kleiner Junge, der sich mit einem der “Simple Songs” abmüht. Der Meister korrigiert die Armstellung und offenbart, die Komposition wäre von ihm. Ganz überzeugt ist der Bub nicht, aber Google bringt Gewissheit und mit dem Spielen klappt es nun auch viel besser. Verblüfft registriert das Kind die Schönheit des Stücks. Jedes der raffinierten magischen Miniatur-Porträts ist ein kleines Wunderwerk.
Beim festlichen Dinner sitzt sich ein Ehepaar gegenüber immer ohne ein einziges Wort zu sagen. Fred und Mick spekulieren warum, schließen abenteuerliche Wetten ab. Miss Universum macht Jimmy Komplimente, sie liebt Roboterfilme. Der junge Schauspieler will sich grade darüber mokieren, aber das rumänische Modell entpuppt sich allen Vorurteilen zum Trotz als akademisch versiert. Paolo Sorrentino beherrscht meisterlich die Komposition des Fragmentarischen. Denn darin sind sich Jimmy und Fred einig, Fragmente können Ideen wirkungsvoller und subtiler vermitteln als große Statements, was Novalis, der deutsche Schriftsteller und Philosoph der Frühromantik ihnen schon bewies. Der Regisseur und Autor schildert, wie das Alter die Sicht auf die Dinge ändert. Zwischen Vergangenheit und Zukunft erstreckt sich die Zeit, die gelebtes Leben in die Ferne rückt. Mick illustriert es seinen jungen Kollegen mit einem Aussichtsfernrohr: „Siehst Du den Berg da drüben? Das sieht man, wenn man jung ist. Alles kommt einem so nah vor. Das ist die Zukunft.” Und dann dreht er das Fernrohr herum. Alles ist verschwindend klein, verzerrt und in weiter Ferne. Es geht um Freundschaft, Familie, Liebe, verlorene, verpasste, erträumte. Die Menschen täuschen sich und die anderen, haben keine Ahnung von den wirklichen Gefühlen ihres Gegenübers. Das passiert oft genug auch in anderen Filmen oder Romanen, aber hier berührt es uns auf ganz besondere Weise wie eine neu entdeckte Erkenntnis.
Chaos statt Entspannung: Lena, die Tochter fühlt sich betrogen, nicht nur vom Ehemann, der auf und davon ist mit der Popsängerin Paloma Faith sondern auch vom Vater. Der hat sie und die Mutter immer vernachlässigt, für ihn hatte es immer nur die Musik gegeben. Wut bricht aus ihr hervor, wird zum flammenden Monolog über die vielen Geliebten von Fred, er hätte sein wollen wie Stravinsky, ohne dessen Genie zu besitzen. Doch Melanie, seine Frau, hätte alles immer vergeben, nur um an seiner Seite zu sein. Nichts lässt Lena aus. Die Mutter, die hätte sie verstanden. Der Vater lässt alle Vorwürfe mit milder Resignation über sich ergehen, versucht gar nicht erst sich zu verteidigen. Was wolle er schon wissen vom Leid seiner Frau, seit zehn Jahren bringe er ihr nicht einmal Blumen. Fred würde gerne trösten, nur weiß er nicht wie. Er und Mick befragen Julian (Ed Stoppard) den treulosen Gatten, warum er sich für Paloma entschieden hat. Der beste Sex seines Lebens. Was sollen die beiden darauf antworten. Lena traktiert den Vater, er muss ihr die Gründe verraten, warum sie verlassen wurde. Die Wahrheit ist unerfreulich. Auch für Mick, seine Muse reist an, nur um zu verkünden, dass sie nicht gedenkt, die Rolle zu übernehmen. Auch sie holt aus zu einem gehässigen Rundumschlag. Sein Erfolg sei eigentlich allein ihrer. Sie wird von nun an in einer Soap auftreten, dort ist die Bezahlung um vieles besser. Diese Brenda ist eine Furie. Mick kämpft auf verlorenem Posten. Er habe schon mit 50 Schauspielerinnen gearbeitet und alle waren dafür nur zu dankbar. Später auf der Weide tauchen plötzlich jene 50 weiblichen Heldinnen auf in voller Kostümierung und alle höchst unzufrieden mit ihm.
Melancholie, Nostalgie und Schmerz, das sind die Themen auf die sich Paolo Sorrentino nach eigenen Worten versteht. Er selber nennt es seinen optimistischten Film. Zu Recht. „Ewige Jugend” hat bei aller Tragik eine unglaubliche Leichtigkeit. Es ist eine zutiefst berührende Liebesgeschichte, die sich als solche erst in den letzten zehn Minuten zu erkennen gibt. Am Ende wird Fred Bollinger Simple Song #3 dirigieren. Der Song verkörpert alles, Sehnsucht, Lebensfreude, Jugend, Hingabe aber zugleich auch unterschwellig eine ungeheure Verzweiflung, als hätte der junge verliebte Komponist schon damals gewusst, dass eines Tages alles verloren sein würde. Genau wie die Tochter haben wir, die Zuschauer, einen entscheidenden Fehler gemacht und genau wie Lena sind wir nur zu glücklich, ihn zu korrigieren. David Langs postromantischen Kompositionen und Luca Bigazzis ästhetisch virtuose, leicht surreale Bilder sind von einer selbstverständlichen Schönheit, die rar ist. „Das Einzige, das ich verstehe, ist die Musik. Und weißt Du warum? Weil die Musik keine Worte braucht- und auch keine Erfahrung. Sie ist einfach da”, sagt Fred. Musik ist eine zentrale Achse in den Filmen von Paolo Sorrentino. Alle sieben Minuten wird ein Stück gespielt, von Pop bis Klassik, von neomelodisch bis elektronisch oder minimalistisch. Die Musik begleitet die Protagonisten, spiegelt ihr Innenleben, Sehnsüchte, Träume, Ängste. Sie erzählt von Liebe, Vertrauen, Enttäuschung und neu gefasstem Selbstbewusstsein.
Die beiden Hauptdarsteller sind grandios, Michael Caine, in der Rolle des distanziert kühlen Dirigenten, der sich mit Schuldgefühlen und uralten Sehnsüchten rum schlägt. An seiner Seite der flapsig ironische Harvey Keitel, der dem eigenen Mythos nachjagt. Er will eigentlich diesen Film nur machen gegen das eigene Vergessen, denn seine Erinnerungen beginnen spurlos zu verschwinden. „Ewige Jugend” polarisiert, die einen sind hingerissen, lassen sich verzaubern, andere reagieren unwirsch, misstrauen der Botschaft des neapolitanischen Regisseurs: Solange es nur einen einzigen Tag gibt, wo wir uns vormachen können, wir sind frei, gibt es eine Zukunft. Eine wichtige Rolle spielt das Hotel. Paolo Sorrentino wählte ausgerechnet die Location, die Thomas Mann zum „Zauberberg” inspirierte und wo Hans W. Geissendörfer den gleichnamigen Film realisierte. Es ist ein mystischer Ort, der sich den Charme aus seiner Glanzzeit um 1900 erhalten hat. Die meisten Szenen von „Ewige Jugend” wurden im Hotel Schatzalp in Davos gedreht. Als es eingeweiht wurde, war es eines der modernsten Sanatorien der Welt. Erbaut im Jugendstil, jener Kunstrichtung, die nichts weniger wollte als die Vereinigung von Kunst und Leben.
Originaltitel: Ewige Jugend / Youth
Regie / Drehbuch: Paolo Sorrentino
Darsteller: Michael Caine, Harvey Keitel, Rachel Weisz, Paul Dano, Jane Fonda, Paloma Faith
Produktionsland: Italien, Frankreich, Schweiz, Großbritannien, 2015
Länge: 118 Minuten
Verleih: Wildbunch Germany
Kinostart: 26. November
Fotos & Trailer: Copyright Wildbunch Germany
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