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Landraub Film Trailer

Wie moderner Kolonialismus funktioniert, schildert eindrucksvoll der österreichische Dokumentarfilm „Landraub”.
„Irrsinn mit Methode”, nennt es Regisseur Kurt Langbein. Er recherchierte zusammen mit Autor Christan Brüser zwei Jahre in Äthiopien, Sierra Leone, Malaysia, Kambodscha und Rumänien. Die beiden interviewten nicht nur die vertriebenen Bauern sondern auch die neuen Investoren. Es sind oft EU-Programme, mit deren Hilfe riesige Zuckerrohr- und Palmöl-Plantagen entstehen – angebaut für Lebensmittel, Biosprit oder Kosmetikprodukte in Europa. Und es sind Entwicklungshilfegelder, mit denen schwerreiche Kapitalanleger sich absichern und die Existenz von unzähligen Menschen vernichten.

Jedes Jahr gehen etwa 12 Millionen Hektar Agrarfläche durch Versiegelung verloren. Die Bevölkerung unseres Planeten wird in den nächsten Jahrzehnten auf neun bis zehn Milliarden anwachsen. Nach der Finanzkrise 2008 entdeckte das globale Finanzkapital Ackerland als höchst lukratives Geschäftsfeld. Mit Landraub (land grabbing) wollen sich Großinvestoren das Monopol an den lebenswichtigen Ressourcen verschaffen. Statt Bauern bestimmen dann weltweit Spekulation und Profitinteressen die Landwirtschaft. Was sind die Konsequenzen für unsere Zukunft?

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Großindustrielle Landwirtschaft beginnt bei 10.000 Hektar pro Betrieb. Kurt Langbein lässt keinen Zweifel daran, dass wenn die Sozialstrukturen in der Dritten Welt weiterhin in diesem Ausmaß zerstört werden, die derzeitige Flüchtlingswelle erst der Anfang ist. Allein südlich der Sahara leben 400 Millionen Afrikaner von der Landwirtschaft. Die Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam geht davon aus, dass zwischen 2001 und 2011 insgesamt 227 Millionen Hektar Ackerland von ausländischen Unternehmen gekauft oder gepachtet wurden. Nicht einmal ein Prozent der Erträge wird auf den lokalen Märkten angeboten. Täglich verlieren Kleinbauern 7000 Hektar an die Agrarindustrie: Ein buddhistisches Kloster in Phnom Penh. Der Hof ist voller Menschen, die hier Zuflucht suchen. Traurige, leere Gesichter. Es ist ein Mönch, Luon Sovath, der diese Fälle dokumentiert. Er fährt über die Dörfer, filmt und fotografiert die gewaltsamen Vertreibungen, stellt die Videos auf Facebook. Sie zeigen, wie brutal sich die Investoren das Land aneignen: Ein gepanzerter LKW rammt die Pfähle, auf denen ein kleines Holzhaus steht. Sie knicken um wie Streichhölzer. “Die Behören und eine vietnamesische Firma haben die Häuser von 405 Familien zerstört,” erklärt der Mönch. Den Bewohnern wurde alles genommen, Arbeitsplatz, Tiere, Mopeds. Sie wurden mit Waffengewalt verjagt und die Reste ihrer Häuser verbrannt. Hier an der Grenze zu Vietnam soll eine Kautschukplantage entstehen.

Die Filmemacher sprechen mit den Flüchtlingen. Heng Kiemhiet erzählt: “Wir hatten drei Hektar Ackerland.” Sie war dabei Kartoffeln zu pflanzen, als die Bulldozer kamen. Keiner der Betroffenen wagte zu protestieren. 500.000 Kambodschaner sind von den Enteignungen betroffen. Die Regierung hat 2,6 Millionen Hektar Land an Konzerne vergeben, 65 Prozent der gesamten Anbaufläche. Begünstigt wird die Vertreibung ausgerechnet durch die EU. Als eines der ärmsten Länder der Welt profitiert Kambodscha vom zollfreien Marktzugang im Rahmen des EBA- (Everything But Arms) Abkommen. Besonders attraktiv wird der Verkauf von Zucker in die EU, weil die beim Verkauf an andere Länder wiederum Zölle erhebt. Bis 2008 wurde in Kambodscha überhaupt kein Zuckerrohr angebaut, Heute umfassen die Plantagen mehr als 100.000 Hektar. 2013 wurde Zucker im Wert von 50 Millionen Euro an die EU verkauft. Zwar hat das europäische Parlament 2012 eine Resolution verabschiedet, dass wegen der Menschenrechtsverletzungen dieses Handelsabkommen ausgesetzt werden sollte. Man vertraute dann aber doch den Beschwichtigungen der kambodschanischen Regierung, der Praxis der Landvertreibung sei ein Ende gesetzt worden. Das ist aber nicht der Fall.

“Für Agrarinvestoren ist Äthiopien der Himmel auf Erden,” erklärt Jan Prins, während er die Besucher durch seine riesigen Gewächshäuser vorbei an Paprika und Tomaten führt. “Das Klima ist ideal, es gibt genug Wasser und fruchtbares Land. Die Regierung unterstützt uns Investoren mit passenden Agrarflächen.“ Der Sohn eines niederländischen Tomatenzüchters kam als Berater nach Äthiopien und erkannte schnell, dass es sich lohnt, hier ein eigenes Unternehmen aufzubauen: “Wir produzieren Spitzenqualität für die Fünf-Sterne-Hotels in Dubai, die nur drei Flugstunden entfernt sind. Wegen des günstigeren Transports und der niedrigen Produktionskosten haben wir gegenüber Europa einen Wettbewerbsvorteil.” Wie der Wettbewerbsvorteil erzielt wird, erfahren die Filmemacher nach Dienstschluss, als sie die Arbeiterin Alemgema Alemayoh nach Hause begleiten. Beim Verlassen des Geländes wird sie kontrolliert und am ganzen Körper abgetastet, damit sie kein Gemüse herausschmuggelt. “Ich habe noch nie vom Gemüse gegessen, das ist streng verboten”, erzählt die junge, abgezehrt wirkende Frau auf dem Weg zu ihrer ärmlichen Lehmhütte. 24 Euro verdient sie im Monat. Vier Kinder warten schon auf sie. “Ich habe noch drei weitere Kinder, aber die leben bei meiner Mutter, weil ich sie nicht ernähren kann.” In der Hauptstadt Addis Abeba erklärt der Chef der Agrarinvestitionsbehörde, Bekele Mogessie: “Wir bemühen uns um ausländische Investoren, denn sie erwirtschaften Devisen für unser Land. Sie bringen Technologien und Know-how.” Ob es genügend freies Land gebe, fragen die Österreicher. “Ja, es gibt Land, in Gambela”. Dass in Gambela, einer Region nahe der Grenze zum Sudan, die dort lebenden Halbnomaden aus der Volksgruppe der Anuak mit Zwang umgesiedelt wurden, um den Investoren Platz zu machen, erzählt der Direktor nicht. Äthiopien ist schnell gewachsen. Mit circa 95 Millionen Einwohnern hat es nach Nigeria die zweitgrößte Bevölkerungsdichte Afrikas. Noch immer prägt Hunger und Unterernährung den Alltag vieler Menschen.  

Bislang wurden in Sierra Leone Pachtverträge mit Investoren über rund eine Million Hektar Land abgeschlossen- 18 Prozent der kultivierbaren Gesamtfläche. Sierra Leone gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Fast jedes dritte Kind erlebt hier nicht mal seinen fünften Geburtstag. Für ein Drittel aller Todesfälle bei Kleinkindern ist Malaria verantwortlich. Jetzt kam noch Ebola hinzu. Ein blutiger Bürgerkrieg zerstörte die Region. Zwischen 1991 und 2002 brachen immer wieder erbitterte Kämpfe um die Diamantminen des Landes aus. Vor dem Krieg gab es in Sierra Leone mit seinen sechs Millionen Einwohnern 30 Fabriken, heute gibt es nur noch fünf- eine davon ist das Schweizer Unternehmen Addax Bioenergy. Es baut auf circa  15.000 Hektar gut bewässertem Ackerland Zuckerrohr an und gewinnt daraus Ethanol, das als Bio-Treibstoff-Beimischung nach Europa exportiert wird. Addax ist auf sein Image vom Fairen Handel bedacht, insbesondere gegenüber seinen Geldgebern, darunter auch die Österreichische Entwicklungsbank. Die Pachtverträge wurden allerdings nicht zwischen dem Unternehmen und den Landeigentümern direkt geschlossen, sondern mit den Chiefs, vergleichbar etwa mit einem Bürgermeister. Der Vertragstext selbst wurde nie verhandelt, sondern als akzeptiert vorausgesetzt. Addax wird darin der Anspruch auf das gesamte Land der Dorfbewohner eingeräumt. Für 76 Jahre hat es das exklusive Verfügungsrecht über Felder, Flüsse, Dörfer, Wälder, alles. Das Unternehmen kann entscheiden, welche Ressourcen es teilen will oder allein nützen. Bei Streitfällen ist ein Schiedsgericht in London zuständig.

Die Bauern klagen nun, dass die Entschädigungen für vernichtete Bäume zu niedrig sind. Ibrahim Serie, Dorfvorsteher von Mabansa berichtet, dass außerdem die Wasserentnahme zu großen Problemen führt: “Wenn Addax uns keinen Brunnen baut, bringen sie uns um. Jetzt mischt Addax sogar Chemikalien ins Wasser  und versprüht es auf den Feldern. Zuerst wurden die Pestizide von Hand ausgebracht. Doch Addax sagt, es wurde zu viel gestohlen. Nun schicken sie die Chemikalien mit dem Wasser durch die Beregnungsanlagen.... Unsere Tiere sterben, wenn sie das Unkraut am Rand der Zuckerrohrfelder fressen.” Der Dorfvorsteher fährt fort: “Wir haben gemerkt, dass wir sehr viel verloren haben. Selbst ein paar Äste zum Bauen dürfen wir nicht mehr nehmen. Wir wollen einen Teil unseres Landes zurück. Das ist unsere einzige Hoffnung.” Der deutsche Agrarwissenschaftler und Biobauer Felix von Löwenstein findet es zu Recht pervers, dass man mit ein, zwei Tanks Biosprit für einen Traktor so viel Fläche verbrauche, wie eine Familie auf der anderen Seite der Welt zum Leben benötigen würde.

Die Lebensmittel- und Kosmetikindustrie hat Palmöl als billiges, extrem haltbares und in jeder Konsistenz einsetzbares Universalfett entdeckt. Die Nachfrage verdoppelt sich alle zehn Jahre. Malaysia mit einem Marktanteil von 30% und Indonesien mit 50% sind die weltweit wichtigsten Palmöl-Produzenten. Der Rest entfällt auf Thailand, Kolumbien, Brasilien, Nigeria und andere westafrikanische Länder.  Die enorme Nachfrage führt zu massiven Abholzungen und der damit verbundenen Zerstörung der Artenvielfalt. Allein in Indonesien gehen derzeit jedes Jahr 620.000 Hektar verloren. Durch die Entwässerung der abgeholzten Torfböden entweicht  CO2 in die Atmosphäre. Indonesien ist für knapp zehn Prozent der globalen Treibhausemissionen verantwortlich und steht hinter China und USA an dritter Stelle der schlimmsten Klimasünder. Die Abholzung des Regenwaldes verursacht mehr klimaschädliche Treibhausgase als der gesamte  Automobil- und Flugverkehr zusammen. Schätzungen der Weltbank zufolge stehen 70 Prozent der Plantagen auf zuvor bewaldeten Flächen, 25 Prozent sogar auf früheren Torflächen.

Suriya Moorthy versteht sich auf Kapitalanlagen. Jahrzehntelang war der studierte Agronom direkt für das Management von Plantagen zuständig, später im Controlling. Er hat Plantagen im Kongo und in Neuguinea aufgebaut und vermarktet nun sein Know How als Berater bei Vaersa Partners Ldt. Wenn wir eine sinnvolle Anlagemöglichkeit für eine Million Dollar suchen, warum sollten wir in Palmöl investieren? Moorthy beantwortet mit sichtlichem Vergnügen diese Frage: “Nehmen wir lieber 100 Millionen Dollar, dann können sie sich selbst eine Plantage mit 10.000 Hektar kaufen. Mit dem heutigen Hybrid-Saatgut für Palmen können sie bereits nach 24 Monaten mit der Ernte beginnen. Im dritten Erntejahr können sie 30 Tonnen pro Hektar erzielen. Das ist eine ganze Menge. Grob gesprochen verdienen sie jedes Jahr 38-40 Millionen Dollar. Jedes Jahr! Ich finde, das ist sehr gut. Sie werden lächeln, wann immer Sie Ihre Bank besuchen”, verspricht er. Seit den Dreharbeiten in 2014 ist der Preis für Palmöl gesunken. Aber trotzdem, je nachdem wie kosteneffizient die Plantage betrieben wird, kann der jährliche Gewinn einer 10.000 Hektar-Plantage bei 20-25 Millionen Dollar liegen- und das über Jahrzehnte.

Andreas Bardeau ist der größte österreichische Agrar-Investor in Rumänien. Er stammt aus einer europäischen Adelsfamilie. Auf 18.000 Hektar bauen Vater und Sohn hier Weizen. Sonnenblumen, Mais und Futter für die Kühe an. Als sich der EU-Beitritt Rumäniens abzeichnete, entschloss sich Bardeau 2001, im Banat zu investieren, dort wo die österreichische Geschichte präsent ist. Prinz Eugen hatte es einst von den Türken erobert. “Der Graf”, wie er in den umliegenden Dörfern genannt wird, hatte die Chance früh erkannt, heute sind bereits etwa 700.000 Hektar oder acht Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche des Landes in ausländischer Hand. Während in Österreich ein Hektar rund 25.000 Euro kostet, bekommt man einen Hektar in Rumänien schon für 2.500 Euro. Als Andreas Bardeau sich hier einkaufte, waren die Preise noch viel niedriger. Rumänische Bauern, die expandieren wollen, könnten angesichts der rasant steigenden Preise nicht mehr mithalten. Valentin Kovacs, der in der Nähe von Lugoj auf 30 Hektar einen Familienbetrieb mit 50 Schweinen und 30 Milchkühen besaß, klagt: Es gibt hier kein Land mehr zu kaufen. Dadurch sind wir in unserer Tätigkeit eingeschränkt. Es gibt nichts mehr. Was derzeit passiert, ist der sichere, langsame Tod.” Einige Monate nach den Dreharbeiten erreichte den Regisseur die Nachricht, dass der Bauer Selbstmord begangen hatte. In Rumänien erhält ein Prozent aller Betriebe die Hälfte der gesamten EU-Agrarsubventionen. Es sind jene Betriebe, die mehr als 500 Hektar Fläche umfassen. 70 Prozent der rumänischen Bauern bekommen überhaupt kein Geld von der EU.

“Landraub” ist ein erschütterndes Dossier über die globale Jagd nach Ackerland und die verschiedensten Formen krasser Ausbeutung. Der österreichische Dokumentarfilmer bezieht vom ersten Moment an klar Position, wird aber nie polemisch. Seine komplexen Analysen und Statements sind bewusst von einer gewissen Nüchternheit im Gegensatz zu den eindringlichen Bildern (Kamera: Wolfgang Thaler, Attila Boa, Christian Roth). Kurt Langbein ist kein selbstgefälliger Michael Moore, der provozieren möchte, sondern jemand, der etwas verändern will. Die Agrarindustrie bezieht ihre Macht aus dem Profit, es ist ein Zahlenspiel, oft genauso trügerisch wie die Schönheit der gigantischen Monokulturen. Langbein und Büser schlagen ihre Gegner mit den eigenen Waffen, den Zahlen. Kleinbauern könnten mit wissenschaftlichen Methoden ihre Erträge erheblich steigern und produzieren zugleich zehnmal mehr Energie als sie verbrauchen. Genau umgekehrt ist es bei der industriellen Landwirtschaft mit ihrem massiven Einsatz von Maschinen, Treibstoff und Chemie. (mit Auszügen aus “Länder und Protagonisten”, Kurt Langbein)

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Originaltitel: Landraub
Regie: Kurt Langbein
Drehbuch: Christian Brüser, Kurt Langbein
Produktionsland: Deutschland, Österreich
Länge: 95 Minuten
Verleih: movienet Film
Kinostart: 8. Oktober 2015

Titel: Landraub. Die globale Jagd nach Ackerland
Autor: Kurt Langbein
Verlag: Ecowin ISBN-13 978-3-7110-0073-6, 192 Seiten

Fotos & Trailer: Copright movienet Film

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