„Amy”. Aufstieg und Zusammenbruch
- Geschrieben von Anna Grillet -
„Amy”: ein Dokumentarfilm, der unter die Haut geht. Packend und niederschmetternd.
Amy Winehouse wurde zum Idol des neuen Jahrtausends, doch der Ruhm zerstörte sie. Das faszinierende Künstlerporträt ist zugleich auch erschreckende Chronik des digitalen Zeitalters: Die Kamera als intimes Tagebuch oder vernichtende Waffe der Medien.
Die begnadete britische Jazz- und Soulsängerin starb am 23. Juli 2011 an einer Alkoholvergiftung, 4,1 Promille. Sie wurde nur 27 Jahre alt. 6 Grammys, 25 Millionen verkaufte Tonträger, eigentlich hatte das jüdische Mädchen aus dem Norden Londons gar kein Star werden wollen. Regisseur Asif Kapadia erzählt die erschütternde Geschichte eines Lebens voller Widersprüche und unendlicher Einsamkeit. Zum ersten Mal beginnen wir hier ansatzweise zu begreifen, welche Ängste, Dämonen, das Ausnahmetalent quälten. Jedes Wort ihrer Songs bekommt so eine neue, tiefere Bedeutung. Obwohl, wir hätten selber darauf kommen müssen.
Lachende fröhliche Teenager schwenken ihre Lollys. Amy macht auf Vamp, singt „Happy Birthday” für eine ihrer besten Freundinnen. Wenn sie den Song in die höheren Tonlagen schiebt, bekommt er ein ironisches Tremolo verpasst. Diese unvergleichliche Soulstimme, da ist sie bereits. Amy blödelt ein wenig rum, die Augen auf die Kamera gerichtet, wir glauben ihren Blick zu spüren. Schon damals umgab sie jene Aura von: Es ist mir alles egal und doch gebe ich alles. Noch hat sie etwas Kindliches, herrlich uneitel, total natürlich. Wenn sie die Augen zukneift, uns zublinzelt, scheint sie sich trotzdem ihrer Wirkung schon sehr wohl bewusst. Das strahlende Lächeln, es zerreißt einem fast das Herz, wenn man an jenes letzte chaotisches Konzert in Belgrad denkt, die abgemagerte taumelnde Sängerin, die keinen Ton mehr rauskriegt, sich resigniert an den Rand der Bühne setzt und spöttisch lächelt. Das Publikum tobt, pfeift. Man spürt ganz deutlich, damit hat sie abgeschlossen. Es gibt keine Rückkehr.
Wie will man überhaupt einen Dokumentarfilm machen über einen Menschen, den Tag für Tag die Paparazzi erbarmungslos verfolgten ohne dabei selber zum Voyeur zu werden? Regisseur Asif Kapadia gelingt es meisterhaft. Der 43jährige Regisseur beeindruckte 2010 Kinogänger wie Kritiker mit seiner spektakulären Dokumentation über den 1994 verunglückten Formel-1-Fahrer Ayrton Senna. Für „Amy” sammelte er mit seinem Team 1.500 Stunden Bildmaterial und führte über 100 Interviews, aber immer ohne Kamera nur auf Band. Oft in einem abgedunkelten Raum, die Gespräche bekamen so etwas von einer Beichte oder Therapiesetzung. Während der Interviews seien die meisten Wegbegleiter Amys irgendwann zusammengebrochen, erklärt Kapadia. „Es war eine emotional erschütternde Erfahrung für alle Beteiligten.” Anfangs sind die engsten Freunde der Sängerin noch skeptisch, sie hatten sich eine Schweigegelübde auferlegt, wollen eigentlich ihre Gefühle und Erlebnisse mit keinem Außenstehenden teilen. Aber die Jahre mit Amy waren auch eine schmerzvolle Last und die Gespräche eine Art Befreiung, zugleich die Möglichkeit, das durch die Sensationspresse verzerrte Bild der genialen Musikerin zu revidieren. Obwohl Amy nur zwei Alben herausbrachte, wurde sie zur größten Musik-Ikone der britischen Geschichte.
Ohne Nick Shymansky hätte es diesen Film vielleicht nie gegeben, so Kapadia. Der 19jährige Shymansky war es gewesen, der die 16jährige Winehouse entdeckt hatte. Die Sängerin feuerte ihn, als der Manager 2006 sie zwingen will, sich in eine Entziehungsklinik zu begeben. Die beiden blieben trotzdem Freunde. „...speziell Nicks Material zeigte uns das Mädchen, das sie wirklich war... Sie filmte sich oft selber, spricht buchstäblich mit sich selbst vor der Kamera,” berichtet der Regisseur. Wie viele ihrer Generation nehmen Amy und ihre Freunde wahllos alles auf vom Aufwachen bis zum Einschlafen, auf dem Rücksitz des Wagen, hinter der Bühne. Amy albert im Auto rum, Nick bettelt um ein Lächeln. Sie gewährt es, kommt für Sekunden kichernd hinter einem riesigen Kissen hervor, um dann wieder dahinter zu verschwinden. Mit dem beginnenden Erfolg verwandelt sich die Kamera zum gnadenlosen Gegner. Die Auflagen der Printmedien sinken. Die Boulevardblätter brauchen schmierige Sensationen für ihre Schlagzeilen. Amys Drogen- und Alkoholexzesse eignen sich dazu perfekt, sie garantieren Umsatz. Ihr Absturz wurde öffentlich zelebriert, ein Volksvergnügen makaberster Art. Die Paparazzi belagern ihre Wohnung in Camden Town. Rückzug oder Flucht sind unmöglich. In einer der ersten Szenen hört man die Verschlüsse hunderter Kameras knattern wie Gewehrsalven, sie eskalieren zu einem donnernden Angriff. Die grellen Blitzlichter blenden. Es ist eine fast körperliche Sensation wie Peitschenhiebe, der Zuschauer begreift den wahnwitzigen Terror, dem die junge Sängerin ausgesetzt war. Wir spüren ihren Schmerz, identifizieren uns mit der Protagonistin und doch betrachten wir sie durch genau die Kameras, die sie zu Tode hetzen.
Kapadia, Sohn indischer Immigranten, wuchs wie Amy im Norden Londons auf. Die Kommentare und Berichte der Interviewten mischt er mit dem Material gefunden auf Festplatten, Videos, Handys, in Notizbüchern und Zeitungen. Er zerstört die Aufdringlichkeit der Bilder, indem er sie Interviews gegenüberstellt mit den Menschen, die Teil von Amys Leben waren: Die beiden Freundinnen seit früher Kindheit Juliette Ashby und Lauren Gilbert, ihr Manager, Nick Shymansky, ihr Vater Mitchell Winehouse, ihr erster Produzent, Salaam Remi und Ehemann Blake Fielder-Civil, von dem sie sich zwei Jahre vor ihren Tod trennte. Janis Winehouse, ihre Mutter: „Mir wurde früh klar, dass Amy sehr starrköpfig war. Ich konnte mich nicht gut gegen sie behaupten. Sie sagte immer: ‚Mama, du bist zu nachgiebig. Du würdest mir sogar einen Mord durchgehen lassen. Sei doch strenger.’ Ich habe das einfach so akzeptiert. Ich war nicht stark genug, um sie zu stoppen.“ Jeder kannte eine andere Seite von der Sängerin mit der phänomenalen Soulstimme. Als sie neun Jahre alt war, verließ der, von ihr abgöttisch geliebte Vater die Familie. Amy verkraftete die Trennung der Eltern nur schlecht. Das unbeschwerte Lachen auf dem Geburtstag täuscht. Keiner ahnte wirklich, wie es ihr ging, noch nicht einmal sie selbst: „Ich wusste nicht, was Depressionen sind, ich wusste nur, dass ich mich komisch fühlte. Ich dachte, so sind Musiker halt. Ich bin ja auch nicht so kaputt. Viele die Depressionen haben, können nicht einfach die Gitarre nehmen und fühlen sich danach besser.”
Als Teenager schrieb sie Gedichte, verziert mit Herzchen, daraus entstanden später ihre Songtexte. Sie sind von gnadenloser Ehrlichkeit. „I cheated myself / Like I knew I would / I told you I was trouble / You know that I’m no good“(„You Know I’m No Good“). Frappierend wie Amy ihre persönlichen Erfahrungen zu etwas Allgemeingültigem verdichtet. Die Texte waren für Kapadia „eine Offenbarung”, der Schlüssel zum Film, eine Art Drehbuch und Zugang zu Amys Seele. Die Texte eingeblendet, entwickeln auf der riesigen Leinwand eine ungeahnte Magie. Als junge Jazz-Sängerin wird Amy gefragt: Wie berühmt wirst Du werden? „Ich glaube, ich werde überhaupt nicht berühmt werden. Und wenn, ich könnte gar nicht damit umgehen. Ich würde wahrscheinlich verrückt werden”. Ihr Durchblick und ihre Weitsicht sind immer wieder verblüffend. Nur nützen tut die Selbsterkenntnis wenig. Auf den Ruhm ist sie nicht vorbereitet. Natürlich will sie berühmt werden, sie wusste, wie begabt sie war. Auf der anderen Seite war sie sehr ängstlich, nervös, hatte wenig Selbstvertrauen. Und so konnte sie ihren Erfolg nie wirklich genießen. Wonach andere sich sehnen, sie hatte Angst davor: ein Star zu sein. Das Thema, was in den Texten immer wiederkehrt, ist ihre obsessive Liebe zu Blake Fielder-Civil. „Ich habe mich in jemanden verliebt, für den ich sterben würde,” gesteht sie. Durch den Freund und späteren Ehemann beginnt sie mit Koks und Heroin. Ihre Sehnsucht ist, alles mit ihm zu teilen, sie will ihm nahe sein, das gleiche fühlen wie er. Liebe als gefährlichste aller Drogen. „Love Is a Losing Game” heißt der Song auf dem Album “Back to Black”.
Ein Helikopter kreist über London. Der Dokumentarfilmer stellt niemanden an den Pranger, beschönigt nichts. Die Frage nach Schuld und Schuldigen bleibt unbeantwortet. Ehemann und Vater präsentieren sich als skrupellose Komplizen der Selbstzerstörung, der jüngere überheblich, der ältere machtgierig. Amy vergötterte beide und verewigt ihre Gefühle in Songs und als Tattoos. Sie wird in ihrem Beisein wieder zum unsicheren kleinen Mädchen. Sie, die Rebellische, tut gehorsam, was man von ihr erwartet, hofft auf Anerkennung und Zuwendung. Vergeblich. Wie einsam muss sie sich gefühlt haben. Und so bleibt ihr nichts anderes übrig als erst Daddys ein Sandwich zuzubereiten und dann das ihre mit Blake zu teilen. Doch die Menschen, die ihr helfen wollten, stößt sie zurück. Eine Entziehungskur ja, aber nur wenn Dad zustimmt. Der sagt, sie braucht keine, Karriere hat Priorität. Soll heißen, allein der Umsatz zählt. Der neue Manager denkt ähnlich. Es entsteht jener berühmte Song „Rehab”. „They tried to make me go to rehab / But I said no, no, no / I ain't got the time / And if my daddy thinks I'm fine.” Aber es ging ihr nicht gut.
Sie starb mit 27 Jahren wie Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain. Im März 2011 steht sie mit dem heute 88jährigen Tony Bennett im Aufnahmestudio. „Body und Soul” heißt das Duett. Amy ist unsicher, nervös, will flüchten. „Ich verschwende ihre Zeit!” Bennett beruhigt sie: „Wir probieren solange, bis es klappt. Sie haben es nicht eilig oder? Ich auch nicht.” Keiner ahnte damals, dass dies ihr letzter Song sein würde.
Originaltitel: Amy
Regie: Asif Kapadia
Mitwirkende: Tony Bennett, Mark Ronson, Dale Davis, Janis Winehouse, Mitchell Winehouse, Blake Fielder-Civil
Produktionsland: USA, 2015
Länge: 127 Minuten
Verleih: Prokino
Kinostart: 16. Juli 2015
Fotos & Trailer: Copyright Prokino Filmverleih
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