Über die Architektur des Nachwende-Berlins ist viel und leidenschaftlich gestritten worden.
Mehr als zwanzig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung zieht die Berlinische Galerie in ihrer Kabinettausstellung „Das Neue Berlin“ eine erste Bilanz über Gebautes und Ungebautes im Berliner Regierungsviertel – und wirft dabei einige interessante Fragen nach der Zukunft der baulichen Gestaltung unserer Hauptstadt auf.
Um eines bereits vorwegzunehmen: Mit der Ausstellung präsentiert die Berlinische Galerie keinen großen, allumfassenden Wurf zur Geschichte der Regierungsarchitektur in Deutschland, die es angesichts der wechselvollen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts in einer großen Schau noch zu erzählen gilt. Auf Vollständigkeit zu pochen, wäre angesichts der überschaubaren Ausstellungsgröße auch kaum ein realistisches Ziel gewesen. Dennoch gewährt die Ausstellung zahlreiche spannende Einblicke in die konkurrierenden Visionen der letzten zwei Jahrzehnte für die (Neu-)Errichtung des Regierungsbezirks.
In der Präsentation der Exponate, vornehmlich Wettbewerbsmodelle und Entwurfspläne aus dem Besitz der Sammlung der Galerie, Ministerien und teilnehmenden Architekturbüros, wird dabei auch deutlich, dass die letztlich realisierten Bauten oftmals zu Recht als Gewinner aus den städtebaulichen Wettbewerben hervorgingen. Ebenso zeigt sich allerdings, dass die gestalterische Bandbreite der prämierten städtebaulichen Lösungen mitunter nur eine geringe Varianz zeigt – vor allem im Fall der Planungen für die Neubebauung im Bereich des Berliner Spreebogens (dem sogenannten Band des Bundes), das neben Reichstag und Bundeskanzleramt unter anderem auch das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus und das Paul-Löbe Haus mit seinen Abgeordnetenbüros umfasst. Im Gegensatz zur städtebaulichen Gesamtkonzeption hingegen erstaunt der Mut, der in der Wahl eher extravaganter Siegerentwürfe für gerade so prominente Regierungsgebäude wie das Bundeskanzleramt und den Bundestag bewiesen wurde.
Gemeint ist dabei im Falle des Bundestages allerdings weniger das später realisierte gläserne Überraschungsei Norman Fosters als vielmehr sein ursprünglich ausgezeichneter Entwurf, der gänzlich auf die Integration einer Kuppel für das alte Reichstagsgebäude verzichtete. Statt der auf historische Gebäudeproportionen Rücksicht nehmenden Kuppel schlug er nämlich zunächst eine auf Stelzen ruhende gläserne Komplettüberdachung des alten Gebäudes vor. Diese wäre – so Fosters Vision – als Besucherterrasse direkt über dem Plenarsaal des Bundestages öffentlich begehbar gewesen. Auch wenn die letztlich gebaute Foster-Kuppel wesentlich konservativer daherkommt als der vom Ältestenrat des Bundestages zum Bau vorgeschlagene Ursprungsentwurf, so wirkt sie dennoch wesentlich zeitgemäßer als die konkurrierenden Siegerentwürfe – insbesondere im direkten Vergleich mit dem Vorschlag des spanischen Architekten Santiago Calatrava. Sein Entwurf mit monströser Hauptkuppel, der Assoziationen an eine retrofuturistische Sakralarchitektur aufkommen lässt, wäre wohl kaum der angemessene bauliche Ausdruck einer bundesdeutschen Regierungsarchitektur des 21. Jahrhunderts gewesen.
Interessant erscheint auch, dass gerade die jüngeren Entwürfe der Regierungsbauten wieder eine deutlich konservativere Formensprache einschlagen als die Bauten der 1990er-Jahre – etwa das momentan im Bau befindliche Bildungsministerium, das sich mit Lochfassade und einem zentral gelegenen Eingangsportal betont klassisch gibt. Fast möchte man versucht sein, zu attestieren, dass Hans Stimmanns städtebauliches Leitbild der ‚kritischen Rekonstruktion’, dass während seiner Amtszeit als Senatsbaudirektor von 1999 bis 2006 trotz heftiger Kritik aus Feuilleton und Wissenschaft flächendeckend die Bautätigkeit in der Mitte Berlins prägte, nunmehr mit einiger Verspätung auch im Mainstream der Regierungsarchitektur angekommen ist.
Dies spiegelt sich nicht zuletzt in einem Revival von Natursteinverkleidungen für Fassaden, die nicht nur im Entwurf für das Bildungsministerium, sondern auch in zahlreichen Planungen für neue Botschaftsbauten zu finden sind (etwa für die Indische oder die Mexikanische Botschaft im Ortsteil Tiergarten). In der Verwendung landestypischer Steinsorten wird die Materialität der Fassade somit zur letzten Reminiszenz an ehemals eigenständige Architekturtraditionen, die gleichfalls als Chiffren hinter dem Gesamteindruck eines neuen, ‚steinernen Berlins’ (Werner Hegemann) des 21. Jahrhunderts verschwinden.
An Ironie kaum zu überbieten erscheint vor diesem Hintergrund der Entwurf für das so genannte „Haus der Zukunft“ (HdZ), einem gemeinsamen Bauvorhaben von Bildungsministerium, Stiftungen, Wissenschaftsverbänden und Unternehmen. Hier sollen ab 2016 mitten im Berliner Regierungsviertel Ausstellungen zu Zukunftsfragen Deutschlands in einem Gebäude präsentiert werden, dass in seiner Schaufassade so offensichtlich Anleihen an ein historisches Berliner Gebäude nimmt, wie sonst höchstens noch der Wiederaufbau des preußischen Stadtschlosses: das ehemalige DDR-Premierenkino „International“.
Das Neue Berlin. Internationale Entwürfe für Regierungsbauten und Botschaften seit 1990
Die Ausstellung ist zu sehen bis zum 30. September 2013 in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, in 10969 Berlin.Künstlerauswahl:
Gottfried Böhm, Stephan Braunfels, Georg Bumiller, Santiago Calatrava, Sir Norman Foster, Candida Höfer, OMA/Rem Koolhaas, KSV Krüger Schuberth Vandreike, Leon Wohlhage Wernik, Gonzalez de Leon and Francisco Serrano, nsh architekten, Axel Schultes and Charlotte Frank, Arto Sipinen, Francis Soler.
www.berlinischegalerie.de
Fotonachweis:
Header: Details aus Axel Schultes und Charlotte Frank, Band des Bundes. Wettbewerbsmodell Spreebogen mit Bundeskanzleramt, Reichstag und Jakob-Kaiser-Haus, 1992 © Foto: Schultes Frank Architekten.
Galerie:
01. Candida Höfer: Niederländische Botschaft Berlin IX, 2003 Architekt: Rem Koolhaas. © Candida Höfer
02. gkk Architekten (Martin Gruber, Helmut Kleine-Kraneburg) Wettbewerbsmodell Bundespräsidialamt, 1994. © Foto: Andreas Pein
03. Santiago Calatrava: Umbau des Reichstagsgebäudes zum Sitz des Deutschen Bundestags (Entwurf), 1992. © Santiago Calatrava
04. Santiago Calatrava: Umbau des Reichstagsgebäudes zum Sitz des Deutschen Bundestags (Modell), 1992. © Santiago Calatrava
05. Krüger Schuberth Vandreike Architekten: Kanzleramt der Bundesrepublik Deutschland (überarbeitetes Wettbewerbsmodell), um 1995. © Modell: KSV Krüger Schuberth Vandreike Architekten. © Foto: Kai-Annett Becker
06. Léon Wohlhage Wernik Architekten: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), 2004. © Modell: Léon Wohlhage Wernik Architekten. © Foto: Kai-Annett Becker.
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