Architektur
HafenCity, Baakenhafen und ein Gespräch mit Günter Wilkens

Bagger, Kräne, Container, Schutt. Am Nordufer des Baakenhafens bleibt derzeit kaum jemand stehen, um das Panorama zu genießen.

Laut ist es hier. Der Verkehr rauscht über die Versmannstraße, die links und rechts von Sandhaufen gesäumt ist. Die Erdarbeiten für die Brücke zur gegenüberliegenden Kaianlage haben schon begonnen. Über einen Kilometer lang ist diese Landzunge, die als Umschlagplatz längst ausgedient hat. Stromaufwärts reicht der Blick bis zu den Elbbrücken, stromabwärts bis zur Köhlbrandbrücke. Bald wird man hier auf eine grüne Oase mitten im Wasser schauen, die den Lärm vielleicht vergessen lässt: Die künstliche Spiel- und Freizeitinsel der Berliner Landschaftsarchitekten Loidl ist der Clou des neuen Baakenhafens, mit dem die Hansestadt Hamburg 2013 den zweiten Abschnitt ihres gigantischen Stadtentwicklungsprojektes in Angriff nimmt: Die HafenCity Ost.
5.000 Menschen sollen in dem Quartier einmal leben, das entspricht der Einwohnerzahl von Büsum oder Tönning.

Es ist das derzeit größte neue Wohnareal an der Elbe und seine Planer haben einen enormen Anspruch: Auf den 23 Hektar ehemaliger Kaianlagen rund um den Baakenhafen soll ein urbanes Viertel entstehen, das vor allem für junge Familien attraktiv ist: Gute Verkehrsanbindungen durch die neue U4, die bis vor die Tür reicht, sowie die Vernetzung innerhalb des Quartieres durch drei Brücken schaffen dazu die Voraussetzungen. Ebenso eine neue Schule, Kitas, Einzelhandel, und eine sozialverträgliche Preisgestaltung. „Uns geht es hier nicht um Gewinnmaximierung, sondern um Konzeptmaximierung“, sagt der Hamburger Architekt Günter Wilkens, dessen Büro „APB.Architekten Wilkens Grossmann-Hensel Schneider“ im Herbst 2011 den städtebaulichen Wettbewerb gewann (siehe Interview). Statt der ursprünglich vorgesehenen Reihenhäuser hat Wilkens für die drei Uferlinien eine kubistisch anmutende weiße Stadtlandschaft erdacht, die von den halbgeöffneten „Hamburger Burgen“ der Gründerzeit inspiriert ist. Highlights sind sechs sogenannte „Wasserhäuser“, die über Stege erreichbar sind. Noch wird an den Feinheiten des Konzeptes gefeilt, doch fest steht bereits, dass auf 300.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche ein gemischt genutztes Wohnquartier mit 66 Prozent Wohnraum und nur 20 Prozent Bürobau entstehen wird. Konkret heißt das: 1800 Wohnungen und 4600 Arbeitsplätze – so viel Wohnraum gab es noch nie in einem HafenCity-Quartier.

Damit der erklärte Wunsch, Durchschnittsverdiener im Quartier anzusiedeln, keine Utopie bleibt, hat die Stadt – neben Eigentumswohnungen und frei finanzierten Wohnungen - ein Drittel geförderten Wohnungsbau festgelegt. Nettokaltmieten von 5,80 Euro, bzw. 8 Euro pro Quadratmeter sollen künftig auch jungen Familien das Wohnen am Wasser erlauben. Für ein familiengerechtes Umfeld sorgt das Atelier Loidl, die Landschaftsarchitekten aus Berlin. Ihr preisgekrönter Entwurf einer spektakulären Erlebnisinsel macht richtig Lust auf Sommer an der Elbe: Bootssteg, hölzernes Schwimmbad im Hafenbecken und die hügelige Park-Topographie haben das Zeug zum neuen Touristenmagneten. Und wie man an der Elbphilharmonie sieht, lassen Touristenmagneten die Kassen klingeln. Was Wunder, dass Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter bereits von seiner „Schatzinsel“ schwärmte.

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Günter Wilkens (APB. Architekten Wilkens Grossmann-Hensel Schneider) gewann den städtebaulichen Wettbewerb für das Hamburger HafenCity-Quartier Baakenhafen. Ein Gespräch über die architektonischen, aber auch sozialen Herausforderungen, die mit der Bebauung der schmalen, rund einen Kilometer langen Halbinsel verbunden sind.
Isabelle Hofmann sprach mit dem Architekten über die HafenCity-Ost, über Ökonomie, architektonische Vielfalt und Straßennamen.

Isabelle Hofmann (IH): Herr Wilkens, ursprünglich sah der Masterplan im Baakenhafen eine kleinteilige Bebauung mit Reihenhäusern für Familien vor. Warum hat man sich davon verabschiedet?

Günter Wilkins (GW): Im Jahr 2002, als der ursprüngliche Masterplan erstellt wurde, war der enorme Bedarf an innerstädtischem Wohnungsbau noch nicht voraussehbar. Durch die fünf bis sieben geschossigen Bauten erreichen wir jetzt eine sehr viel höhere Dichte und können 1824 Wohneinheiten bauen. Insgesamt stehen rund 300.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche zur Verfügung, die zu 66 Prozent mit Wohnungen bebaut werden und nur zu 20 Prozent mit Büros..

IH: Es ging also nicht nur um ökonomische Aspekte?

GW: Nein, es war primär eine politische Entscheidung der BSU und der HafenCity GmbH. Wir wollen, dass Leben in das Quartier einzieht und sich viele kleine Geschäfte hier ansiedeln. Das erreicht man nur mit einer großen Anzahl von Menschen, die sich hier ansammeln. Natürlich kostet es enormes Geld, Flächen wie diese baureif zu machen. Reihenhäuser wären auch ökonomisch nicht darstellbar gewesen. Meines Erachtens haben sie in der Innenstadt auch nichts zu suchen.

IH: Das zu bebauende Gebiet im Baakenhafen ist eine lange, schmale Landzunge. Das bringt jede Menge Schwierigkeiten mit sich.

GW: Sagen wir lieber Herausforderungen. Diese Halbinsel ist der maritimste Standort in der ganzen HafenCity. Sie liegt im größten Hafenbecken und wird von beiden Seiten von Wasser umspült. Analog zum weißen Blankenese wollten wir deshalb eine helle Erscheinungsform. Ich vergleiche es gern mit Helsinki, das sich seinen Besuchern, die vom Wasser her kommen, auch hell und freundlich präsentiert.

IH: Und die zweite Herausforderung?

GW: Nicht nur den Häusern an der Hafenkante optimalen Elb-Blick zu ermöglichen, sondern auch den Häusern in der zweiten und dritten Reihe. Das schaffen wir, indem wir die vordere Reihe auf fünf Geschosse begrenzen und die hinteren Bauten auf sieben Geschosse anlegen. Das schafft zum einen eine perspektivische Tiefe, zum anderen eine geringe Verschattung. Wohnqualität hat hohe Priorität.
Drittens ging es darum, dem nördlichen Streifen zwischen Baakenhafen und Versmannstraße eine gute Situation zu geben. Die Straße und die Bahntrasse bringen erhebliche Verkehrsbelastungen mit sich, denen wir begegnen mussten. Unter anderem auch mit einem Lärmschutzwall.

IH: Sie haben für den Baakenhafen sehr homogener, halboffener Baukörper entwickelt, warum diese Typologie?

GW: Es soll ein spannendes Ambiente sein. Mit einer klaren Stadtkante, aber auch mit Öffnungen, so dass immer die Möglichkeit eines Wasserblicks gegeben ist. Inspiriert hat uns die „Hamburger Burg“ der Gründerzeit. So entstand ein Stakkato von Baukörpern mit Höfen, die optimale Blickachsen und auch eine gewisse Ruhe schaffen.

IH: Warum so ein homogenes Erscheinungsbild, warum nicht mehr Vielfalt?

GW: Bislang wurde die HafenCity immer wegen einer zu großen Vielfalt kritisiert. Das ist auch meine Kritik, zum Beispiel am Kaiserkai: Dort herrscht eine derartige Vielfalt, dass das städtische Ambiente auseinanderzufallen droht. Es gibt kein zusammenhängendes Bild, ein prominenter Hamburgischer Kollege nannte es einmal „Würfelhusten“, so weit will ich nicht gehen, aber es ist verbesserungsfähig, wie am Konzept des Baakenhafens zu sehen.

IH: Die Menschen streben aber nach Individualität.

GW: Ich weiß, viele Architekten sind absolute Individualisten. Die wollen ein Haus bauen, das spektakulär sein soll, anstatt es in die Stadt zu integrieren. Mein Ziel ist Vielfalt in der Einheit. Ich bin Anhänger der europäischen Stadt, die bestimmten Quartieren eine bestimmte Identität gibt. Ich fordere deshalb mehr städtebauliche Disziplin in Form städtischer Vorgaben. Man ist ja nicht allein auf der Welt, man muss auch rechts und links schauen. Stadt ist etwas Gemeinsames und nicht eine Ansammlung von individuellen Gebäuden.

IH: Die Großsiedlungen, die Hamburg in der Vergangenheit vom Reißbrett aus plante, etwa die City Nord, Steilshoop oder Mümmelmannsberg, wurden schnell zu Problemfällen.

GW: Die Entwicklung der Großsiedlungen der 60er- und 70er-Jahre war eine ideologische und städtebauliche Fehlentwicklung, das ist gar keine Frage. Das kann man aber mit der Hafencity in keiner Weise vergleichen. Wir bauen solche Großsiedlungen nicht mehr.

IH: Dafür aber vielleicht eine Art Reichen-Ghetto?

GW: Auch das nicht. Unser Konzept für den Baakenhafen legt großen Wert auf die soziale Durchmischung und familiengerechtes Wohnen. Das zeigt nicht zuletzt die Sorgfalt, die auf die Gestaltung der Freiräume und der künstlich aufgeschütteten Freizeitinsel verwandt wird. Wir schaffen die räumlichen und ökonomischen Voraussetzungen dafür, dass sich ganz normale Familien hier niederlassen und dass sich auch ein türkischer Gemüsehändler trauen kann, hier sein Geschäft zu eröffnen. Die Menschen vor Ort werden dann entscheiden, ob sie die Angebote auch nutzen wollen. Ob sie weiterhin zum Verbrauchermarkt fahren oder lieber um die Ecke ihre Tomaten einkaufen. Nach unseren Vorstellungen soll es ein ganz normaler Stadtteil werden.

IH: Noch ein Wort zu den Straßennamen. Was halten Sie von einer Hiroshima-Straße, einer Mahatma-Gandhi-Klappbrücke, oder den…

GW: Dar-es-Salaam-Platz? Ja, ich habe von dem Streit um den Straßennamen gelesen. Ich denke, die Leute, die diesen Namen kritisieren, haben kein Geschichtsbewusstsein. Dar-es-Salaam ist die größte Stadt Tansanias, bis 1918 Deutsch-Ostafrika. Städte, wie Osaka, Shanghai, Hongkong oder Dar-es-Salaam haben viel mit der Handelsgeschichte Hamburgs zu tun. Die Überseekontakte gingen ursprünglich von Bremen und Hamburg aus. Dass man jetzt Straßen nach den Städten der Handelspartner benennt, ist doch sehr gut. Wer das nicht begreift, hat Hamburg nicht begriffen.



Fotonachweis:
Header: Baakenhafen. Foto: Isabelle Hofmann
Galerie:
01. Günter Wilkens. Foto: Isabelle Hofmann
02.-05. Entwurf Baakenhafen. Abb.: APB Architekten

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