Mit staatlichen Förderungen sieht es zwar mau aus, der Enthusiasmus ist dafür umso größer: Jörn Walter, Hamburgs Oberbaudirektor, ließ im Bahrenfelder Phoenixhof keinen Zweifel daran, wie wichtig der Hamburger Architektur Sommer für die wachsende Hansestadt ist.
Mit einem mitreißenden Diskurs zum diesjährigen Motto „Vor Ort – Aneignung und Teilnahme" eröffnete Jörn Walter – gemeinsam mit Jutta Blankau, der Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, sowie Architekt Bernhard Wiking – den nunmehr siebten Veranstaltungsmarathon, der bis Ende August mehr als 250 Ausstellungen, Aktionen, Filmvorführungen, Symposien, Vorträge, Diskussionen und Workshops rund um Architektur und Stadtentwicklung umfasst.
„Vor Ort – Aneignung und Teilnahme“ – klingt zwar etwas spröde und arg theoretisch, doch es trifft im Kern. Denn dieser Schwerpunkt soll, so Walter, vor allem das öffentliche Nachdenken über Stadt und Stadtentwicklung vorantreiben. Aus gutem Grund: Hamburgs Gesicht verändert sich rasant. Die HafenCity, die demnächst auch östlich des Magdeburger Hafens Gestalt annimmt, die Internationale Bauausstellung (IBA) auf den Elbinseln oder auch Altonas „Neue Mitte" sind städtebauliche Vorhaben einer Größenordnung, wie es sie seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gab. Dementsprechend groß sind aber auch die Sorgen, Ängste und Widerstände der betroffenen Bürger. Das Schreckgespenst der Gentrifizierung geht seit langem schon um, die Mieten sind in den vergangenen Jahren in Szenevierteln wie der Schanze oder St. Pauli ähnlich schnell gestiegen, wie die Benzinpreise. Und Eigentum scheint an Alster und Elbe nur noch für Millionäre erschwinglich.
Das muss nicht unbedingt bis in alle Ewigkeit so weitergehen. Der erfolgreiche Kampf um das Gängeviertel und die aktuelle Diskussion um den geplanten Abriss der Esso-Häuser entlang des Spielbudenplatzes an der Reeperbahn, sind nur zwei Beispiele von vielen, die zeigen, wie engagierte Bürger durch „Aneignung und Teilhabe" unliebsame Entwicklungen durchaus stoppen, beziehungsweise ihre Bedürfnisse einbringen können.
So geht es in dem facettenreichen Architekturfest immer wieder auch um das „Recht auf Stadt“ und die Frage, wie partizipatorische Stadtteilentwicklung möglich wird. Dazu – und das hat sich der Hamburger Architektur Sommer 2012 auf die Fahnen geschrieben – ist es wichtig, das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit für Bauen, Wohnen und die Gestaltung von Stadtraum zu schärfen, beziehungsweise erst einmal zu erwecken.
Dirk Meyhöfers Ausstellung „Zeit zum Denken. Zeit zum Handeln“ (Brandshofer Deich 114-118, 16.5.-1.7.), in der junge Architekten, Fotografen und Künstler ihre zum Teil provokanten, zum Teil humorvollen Notationen zur Lage der Architektur präsentieren, trägt ebenso dazu bei, wie die Vorstellung des ausgefeilte Lichtkonzeptes von Ulrike Brandi für die Elbphilharmonie ( 8.5., 19 Uhr, AIT-Salon, Bei den Mühren 70).
Aber auch die Aufarbeitung der Vergangenheit ist unerlässlich: „Der Wandel des Spielbudenplatzes von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart" (St. Pauli Museum, 14.6.-31.8.) beispielsweise führt dabei unter anderem die drastischen Veränderungen durch wachsenden Autoverkehr vor Augen – einen Aspekt, dem das Museum der Arbeit eine umfassende eigene Ausstellung widmet: „Von der Führerstadt zum Aufbauplan 1960“ (1.6.-23.9.).
Zurück ins 19. Jahrhundert führen Ausstellungen im Jenisch Haus über bürgerliche Wohnkultur in den Hamburger Elbvororten (19.6.-16.9.). „Bei uns nebenan. Bauen und Wohnen in Altona“ (Altonaer Museum, 9.5.-10.2.2013), sowie die Schau über den Hamburger Baumeister Carl Ludwig Wimmel (1786-1845) in der Handelskammer Hamburg (7.6.-7.9.). Wie eng Vergangenheit und Zukunft mitunter zusammenliegen, zeigt die Ausstellung im Ledigenhaus in der Rehhoffstraße am Rande der südlichen Neustadt (Rehhoffstraße 1-3, 2.6.-10.6.).
Galten 1912 die 120 funktionalen Einzimmerwohnungen mit ihren großzügigen Gemeinschaftsräumen als politischer Versuch, auf soziale und städtebauliche Notwendigkeiten der boomenden Weltstadt Hamburg zu reagieren, so gewinnt diese Kleinstwohnform heute, in Zeiten der Wohnraumknappheit und Wohnraumverdichtung, wieder ungeahnte Aktualität.
Mangel an Zukunftsmodellen besteht jedenfalls nicht. Weder an Wolkenkuckucksheimen am Rand der Hafenkannte („Hamburg Vertical Living+“, HafenCity Universität, bis 15.5.), noch an ganz bodenständigen, oder sollte man besser sagen: wasserständigen Perspektiven, die das Hausboot oder Schwimmhaus als alternative Wohnform bietet (Raum linksrechts, Valentinskamp 37, 29.7.-11.8.).
Doch ganz egal, welche Visionen Architekturstudenten und junge Städteplaner auch beschwören – in einem sind sie sich immer einig: Die Hamburger träumen vom Leben am, auf und über dem Wasser – ein Traum, der sicherlich noch viele Architektur Sommer beschäftigen wird.
Hamburger Architektur Sommer 2012
Alle Informationen unter www.architektursommer.deFotonachweis:
Header: Esso-Hochhäuser am Spielbudenplatz / Werkhaus Münzviertel / Villen und Landhäuser. Bürgerliche Wohnkultur in den Hamburger Elbvororten 1900 bis 1935
Galerie:
01. Logo Hamburger Architektur Sommer 2012
02. Coming Soon (88)
03. Carl Ludwig Wimmel. Ein Hamburger Baumeister und seine Bauten (179)
04. Women in Architecture. Symposium mit internationalen Werkvorträgen (228). Abb.: Community Centre Herstedlund 2009, Dörte Mandrup Arkitekter. Foto: Adam Mørk
05. Litauische Architektur, Houses LT (181)
06. Weiße Stadt Tel Aviv. Kamp (85)
(Die Zahlen hinter den Titeln verweisen auf das Programm und Veranstaltungsnummern im Heft und im Internet)
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