Auf dem Weg zur EU-Kulturhauptstadt 2022 inspiriert die Stadt Kaunas, der in Litauen gelegene Art-Deko- und Modernismus-Hub, Dutzende einheimische und internationale Künstler, die Zwischenkriegsmoderne in den Künsten neu und unerwartet zu bewerten und darzustellen.
Kaunas liegt an der Memel (litauisch: Nemunas), am Zusammenfluss mit der Neris, im Herzen Litauens und hat bereits durch eine Vielzahl von skurrilen Attraktionen internationale Bekanntheit erlangt wie dem Teufelsmuseum oder dem weltweit ersten unsichtbaren Platz, der sinnvollerweise nach dem Mitbegründer der Fluxus-Bewegung George Maciunas (1931 in Kaunas geboren, 1978 in Boston gestorben) benannt wurde.
Insbesondere zieht jedoch die einzigartige modernistische Architektur der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, Besucher aus der ganzen Welt an. Der bis heute erhaltene Moderismus in der Architektur und den Künsten legte einen der Grundsteine dafür, dass die Bewerbung im Jahr 2017 zur Europäischen Kulturhauptstadt für 2022 erfolgreich war.
Nach Vilnius, 2009 ist Kaunas nun die zweite Stadt Litauens, die den Titel für 2022 – gemeinsam mit Esch-sur-Alzette (Luxemburg), erhalten hat. Dazu kommt Novi Sad (Serbien), auf Grund der COVID-19-Verschiebung, um ein Jahr.
Modernismus ist Europäisches Kulturerbe
Mit etwa 6.000 Bauten der Moderne, von denen 44 im Europäischen Kulturerbe gelistet sind, bieten die Sehenswürdigkeiten der im 14. Jahrhundert erstmals erwähnten alten Hansestadt die Gelegenheit, tief in die Kultur, die Architektur und die klaren Auffassungen der Moderne einzutauchen. Und da so viele von uns darauf warten, dass die Reiseverbote aufgehoben werden, lädt die staatliche Agentur für Tourismus, Marketing und Entwicklung Litauens – „Lithuania Travel“ uns ein, unseren Blick auf das „farbenfrohe Grau“ des modernen Kaunas und die Weltanschauungen der Künstler und der Kulturvermittlung zu lenken. Der Slogan des „farbenfrohen Grau“ wirkt dabei ehrlich, bescheiden-untertrieben und unaufgeregt-gelassen.
„Modernism for the Future“ zieht internationale Künstler an
Nachdem die einst provisorische Hauptstadt Litauens (zwischen 1920 und 1940) im Jahr 2015 als erste mittel- und ostleuropäische Stadt von der UNESCO als „Stadt des Designs“ ausgezeichnet wurde, verwandelte sie sich schnell in eine zeitgenössische Hochburg für Künstler aus der ganzen Welt. Kulturschaffende aller Genres finden seither Inspiration in der einzigartigen Architektur der Moderne und beteiligten sich sogleich am Programm „Modernism for the Future“, das darauf abzielt, Kaunas und sein kulturelles und historisches Erbe weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen.
Wer sich für Kaunas der Zwischenkriegszeit interessiert, kann bereits heute vor Ort die Entstehung eines der spannendsten Projekte begleiten – den 45-minütigen Animationsfilm „Heterotopia“. Unter der Regie der irischen Künstlerin Aideen Barry, die als Artist-in-Residence in Kaunas lebt, wird sukzessive der schwarz-weiße Stop-Frame-Film die Geschichte von Kaunas von den 1920er bis 40ger Jahre fokussieren und aus der Sicht der lokalen Communities erzählen. Zukünftige Generationen sollen – so die Künstlerin – die Geschichte und Tradition kennen und Zukunftsvisionen für die Stadt und deren Bezirke mitgestalten und entwickeln.
Design zwischen Schmuck, Geschirr und Vogelhäusern. Eine Hommage an die Moderne
Andere Künstler verfolgen weitere Ansätze, um die Moderne von Kaunas sichtbar zu machen. Die Modedesignerin Gerda Liudvinavičiūtė ist eine Künstlerin des Designlabels „CELSIUS 273“. Sie hat ihre Kollektion „THE CONCRETE CITY | KAUNAS“ genannt und spielt mit den Begrifflichkeiten von „konkret“, „gegenständlich“, „greifbar“ und „betoniert“. Ihre Designobjekte umfassen unter anderem Manschettenknöpfe, Halsketten und Ohrringe aus Metallen in Kombination mit feinem Zement – so spiegelt sie die sichtbaren Details der sieben prominentesten Bauwerke der Moderne in Kaunas wider.
„Eine der Halsketten steht beispielhaft für verschiedene Details aus der Fassade des 1930-32 gebauten Hauptpostamtes in Kaunas – denn die Fensterfassungen sind aus Holz und mit einfachen litauischen Mustern verziert“, sagte Liudvinavičiūtė. „Solche Muster wurden vor Jahrhunderten bereits beim Weben verwendet. Daher war es für mich interessant und inspirierend, dass sie in den äußeren Fenster des Gebäudes eingebaut wurden sowie sich im Innenbereich in den Keramikboden wiederfinden. Sie sind geometrisch, modern und bis heute aktuell – eine perfekte Kombination für die Art von Schmuck, die ich entwerfe, um den Menschen Geschichten zu erzählen.“ Kaunas galt übrigens im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert als ein europäisches Zentrum der Webereien.
Der in ganz Litauen bekannte Street-Art-Künstler Timotiejus Norvila (aka Morpha, aka Norvila-Morfai) hat einen anderen Weg eingeschlagen, die Architektur des Modernismus mit der heutigen Welt zu verbinden. Im Allgemeinen bemalt der „Muralist“ Hauswände, Mauern, Einfahrten und Busse, aber für das Projekt Modernismus für die Zukunft baute er insgesamt zehn verschiedene Vogelhäuser aus Holz, die allesamt verschiedene Art-Deko- und Stilelemente der örtlichen Architektur aufweisen. Sinnigerweise kooperierte der Künstler mit hochkarätigen Ornithologen, um möglichst umfassend den Bedürfnissen von brütenden Vögel so nah wie möglich zu kommen. Als die Nistkästen schließlich ihren Weg an diverse Bäume in Kaunas fanden, dauerte es nicht lange, bis einheimische Vögel die neuen Behausungen annahmen.
„Ich habe versucht, die Details, die einzigartig für die Architektur der Zwischenkriegszeit sind, so zu übernehmen, dass man beim Betrachten der Nistkästen den jeweiligen Stil erkennen kann“, sagt Norvila-Morfai. „Es war eine ziemliche Herausforderung, all diese Details in die Vogelhäuser zu schnitzen, da die Formen und Größenverhältnisse völlig anders sind als bei der ursprünglichen Architektur. Es ist uns jedoch gelungen, die Moderne und die architekturprägnanten Stilmittel jener Jahre zu vermitteln und gleichzeitig den Vögeln ein Dach über dem Kopf zu geben – was übrigens von Anfang an unser Hauptziel war.“
Mantas Kuginis, ein Künstler, der ausschließlich digital seine Werke vorbereitet, hat einen ähnlich mutigen Schritt unternommen und zeigt, dass die Moderne auch in den Elementen der Wohnkultur aufleben kann. In „Interpretations of Modernism“, einer Sammlung von digital entworfenen 3D-Arbeiten, projiziert der Künstler die bekanntesten Merkmale der modernistischen Architektur wie winzige, abgerundete Balkone, Elemente aus Treppenhäusern, horizontale und vertikale Streifen auf Teetassen, Teekannen und andere ähnliche Objekte.
„Ich suchte vor allem nach spezifischen Details, die sich in verschiedene Objekte oder Formen verwandeln lassen und nicht sofort als architektonische Details erkannt werden müssen“, so Kuginis. „Es war mir wichtig, dass diese Strukturen elegant und im modernen Kontext relevant sind, während die Formen einer Fassade oft in solche von Innenräumen übergehen. Ein Gefühl der Nähe, Vertrautheit, Nostalgie, Déjà-vu – das ist es, wonach ich gesucht habe.“
Farbiges Grau des modernen Kaunas
Und während die Welt darauf wartet, wieder ungezwungen und frei reisen zu dürfen, geht „Lithuania Travel“ mit der Tourismusmarke „Lithuania. Real is Beautiful“ einen Schritt nach vorne, um die Vorfreude auf den nächsten Kulturtrip zu entfachen: Sie hat drei Künstler eingeladen – einen einheimischen Architekten, eine in die 1930er-Jahre verliebte litauische Modedesignerin und einen zeitgenössischen Tänzer aus Südkorea – die jeweils ihre berührende Geschichte darüber erzählen, wie man sich das „Grau des modernen Kaunas“ erschließen kann, einer einzigartigen Farbe, die so vielfältig nur in den Sehenswürdigkeiten Litauens zu finden ist.
„Als es darum ging, welche Farben wirklich litauisch sind, wollten wir auf jeden Fall das „Grau des modernen Kaunas“ einbeziehen. Diese Farbe symbolisiert alle Wendungen der litauischen Geschichte, die kreative Energie des Landes und das künstlerische Potenzial von Kaunas – seine Offenheit für Ideen und globale Interaktion“, sagte Inga Valentonienė, Managerin der Marketingabteilung bei Lithuania Travel.
Von Künstlern mit sehr unterschiedlichem Profil neugestaltet, erstrahlen die modernistischen Züge von Kaunas in einem anderen Licht und ermöglichen es allen Besuchern, etwas zu entdecken, das ihnen ganz besonders gefällt. Für die einen wird es die einzigartige Interpretation des Art-Deko-Stils sein, andere werden Erinnerungen an skurrile Museen und versteckte Vogelhäuser mit nach Hause nehmen. Und obwohl Kaunas bereits viel getan hat, um die Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2022 zu sein, sind selbstredend definitiv noch mehr Projekte und Initiativen auf dem Weg. Selbst die Besucher und Touristen, die vermeintlich schon alles gesehen haben, werden etwas Interessantes in Kaunas entdecken können.
Über Lithuania Travel
Lithuania Travel ist eine nationale Behörde zur Tourismusentwicklung, die dem Ministerium für Wirtschaft und Innovation untersteht und für das Tourismusmarketing und die Tourismusförderung in Litauen zuständig ist. Ihr strategisches Ziel ist es, das Bewusstsein für Litauen als attraktives Reiseziel zu schärfen und internationale und Inlandsreisen zu fördern. Die Agentur arbeitet eng mit Tourismusunternehmen und -organisationen zusammen, präsentiert litauische Tourismusprodukte, Dienstleistungen und Erfahrungen in den sozialen und digitalen Medien, auf Pressereisen, in internationalen Reiseausstellungen und bei B2B-Veranstaltungen.
Kaunas – Europäische Kulturhauptstadt 2022
Informationen zur Europäischen Kulturhauptstadt 2022
Sie können das Programm „Modernism for the Future“ hier verfolgen.
Weitere Informationen finden Sie unter www.Lithuania.travel und auf der Facebook-Seite „Lithuania. Real is beautiful“.
Detailinformationen zu den im Artikel erwähnten Institutionen, Künstlern und Projekten:
- Teufelsmuseum
- Der unsichtbare Platz
- Das Europäisches Kulturerbe von Kaunas
- Kaunas – City of Design
- CELSIUS 273 und THE CONCRETE CITY | KAUNAS (engl.)
- Beitrag über Vogelhäuser von Timotiejus Norvila-Morfai (litauisch)
- 3D interpretations of Kaunas Modernism
Weiterer Beitrag zu Kaunas und Litauen bei KulturPort.De:
- Litauen, ein Land der ausdauernden Symbole (2015)
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