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Um solche Geschichten zu verhindern, trat vor zehn Jahren das Forum für Nachlässe in Hamburg auf den Plan. Der gemeinnützige Verein nimmt bedrohte Künstlernachlässe auf, arbeitet sie auf und bewahrt sie – auf technisch neustem Stand – für die Nachwelt auf. Mit einer großangelegten Ausstellung und einem Symposium feiert das Forum nun sein zehnjähriges Bestehen: Unter dem Titel „Entdeckt und Bewahrt“ ist im Staatsarchiv Hamburg bis zum 29.9. ein Querschnitt durch die bisherige Sammlung von rund 30 Nachlässen zu sehen - angefangen bei Friedrich Ahlers-Hestermann (1883-1973) und seiner Frau Alexandra Povorina (1885-1963), über Irma Weiland (1908-2003), Klaus Kröger (1920-2010) und Heinz Lilienthal (1927-2006) bis zu der aus Russland stammenden Künstlerin MAKSA (1957-2012), die das Hamburger Kunstleben die vergangenen zwei Jahrzehnte außerordentlich belebte und bereicherte.

 

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Die Idee in Hamburg ein Forum für Künstlernachlässe zu installieren, entwickelte die Kunsthistorikerin Gora Jain gemeinsam mit Thomas Sello, dem ehemaligen Museumspädagogen der Hamburger Kunsthalle. Beide kennen sich seit Jahren und beide beschäftigen sich schon lange mit Nachlässen: Jain hatte für ihre Dissertation das Werk der Berliner Bildhauerin Milly Steger bearbeitet, Sello verwaltete das künstlerische Erbe des Hamburger Malers Hans Günther Baass (1909-1991) und das immense Archiv seiner Mutter, der Fotografin Ingeborg Sello. Für beide Nachlässe suchte er nach einer dauerhaften Unterbringung.


Es war eine Pioniertat: 2003 galt das Vermächtnis bildender Künstler noch als reine Privatsache: Darum hatten sich die Erben zu kümmern und damit basta. Noch heute argumentieren kultursinnige Staatsdiener, dass es schließlich eine freie Entscheidung jedes Einzelnen sei, die Künstlerlaufbahn einzuschlagen und somit auch sein Vermächtnis eine Privatangelegenheit. Doch mittlerweile ändern sich diese Ansichten zunehmend – auch dank des Nachlassforums, das zu einem „wichtigen Baustein der Hamburger Kunstszene herangewachsen ist“, wie Kultursenatorin Barbara Kisseler in ihrem Grußwort für den Jubiläumskatalog schrieb. Das Forum für Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern e.V. hat das Bewusstsein dafür geschärft, dass der Umgang mit ererbtem Kulturgut durchaus auch eine gesellschaftliche Aufgabe darstellt.
Diese Aufgabe ist von einem Einzelnen, oftmals noch in Trauer, auch gar nicht zu leisten: Jeder, der schon einmal einen Haushalt aufgelöst hat, weiß, wie mühsam und emotional belastend das ist. Wer nimmt Omas Teeservice? Was wird aus Opas Schaukelstuhl? Zu Hause gibt es keinen Platz, verkaufen lohnt nicht, aber zum Wegwerfen eigentlich viel zu schade.


Um wie viel umfangreicher und schwieriger gestalten sich die Aufräumarbeiten für die Nachkommen bildender Künstler: Da gilt es ganze Ateliers, Schränke und Schubladen voller Entwürfe, Fotos, Skizzen, Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen zu sichten. Lebenswerke von hunderten, wenn nicht tausenden Arbeiten aus verschiedenen Phasen und Perioden. Was Wunder, dass die Erben hoffnungslos überfordert und froh sind, wenn sich ein Galerist oder Auktionator anbietet, alles zu übernehmen und zu verkaufen. Die Künstler selbst haben in den wenigsten Fällen vorgesorgt - und die Museen sind der Nachlass-Flut nicht mehr gewachsen. „Es kommt eine riesige Welle von guten Werken auf uns zu“, erzählt Kunsthaus-Leiter Claus Mewes. Auch für ihn ist der demografische Wandel im Berufsfeld bildender Künstler in diesen Wochen brandaktuell: Zum 50-jährigen Bestehen des Kunsthauses zeigt der Berufsverband Bildender Künstler ab 24. September die Ausstellung „Erste Reihe“ – mit den Werken von 44, vielfach hochbetagten, teils bereits gestorbenen Künstlern. BBK-Mitglied Heinz Schrand, Jahrgang 1926, ist nun an beiden Ausstellungen beteiligt: Im Kunsthaus und im Staatsarchiv – denn er hat einen „Vorlass“ seiner graphischen Arbeiten bereits 2008 dem Forum vermacht.
Wie man es auch dreht und wendet: Im Norddeutschen Raum steigt die Künstleranzahl sogenannter „Best-Ager“ beständig. Claus Mewes zufolge liegt das nicht unerheblich mit an den schlechten Bedingungen, die junge Künstler im Raum Hamburg vorfinden. Die Ateliermieten sind so hoch, dass sie abwandern – nach Berlin beispielsweise. Nur die Alteingesessenen bleiben.


In Schleswig-Holstein ist die Hälfe aller im Berufsverband Bildender Künstler (BBK) vertretenen Mitglieder über 55 Jahre alt, ein Viertel sogar älter als 65 Jahre. „Und mit den um 1920 bis 1930 Geborenen stirbt nun eine Generation, die den Krieg noch miterlebte und viel zu erzählen wusste“, ergänzt Mewes. Allein in Hamburg sind im ersten Halbjahr 2013 die Maler Heinz Glüsing, Hanno Edelmann, Florian Köhler, Rolf Laute und Rolf Meyn gestorben, sowie der Bildhauer Klaus Kütemeier, den das Landesmuseum Schloss Gottorf noch vor drei Jahren mit einer großangelegten Retrospektive ehrte.


Gut möglich, dass auch ihre Werke im Hamburger Forum für Nachlässe ein neues Zuhause finden werden. Die Nachfrage ist enorm. „Wir haben gut 150 Anfragen aus ganz Deutschland seit unserem Bestehen. Rund 30 Nachlässe haben wir inzwischen übernommen“, erzählt Forums-Vorsitzende Gora Jain.


Über die Aufnahme entscheidet eine Jury. In Verbindung von Biographie und vorhandenem Bestand muss klar sein, dass es sich um Berufskünstler und nicht um talentierte Amateure handelt. Obwohl einige hochkarätige Nachlässe einfach am Platzmangel scheitern. Ist ein Nachlass erst einmal offiziell an das Forum übergeben, das heißt in einer Schenkungsurkunde übertragen, dann ist nicht nur die Inventarisierung und Verwahrung des Bestandes das Ziel. Das Forum will damit arbeiten und die Künstler vor dem Vergessen bewahren. Bislang sind es Nachlässe, die unter den traditionellen Werkbegriff fallen, bis auf ein paar Dokumentar-Videos, die anfallen, sind es also hauptsächlich Bilder, Objekte und kleinere Skulpturen. Die Generation der Medienkünstler wird neue Anforderungen stellen, aber darum macht sich Gora Jain jetzt noch keine Sorgen. Sie beklagt vielmehr den Platzmangel, der es unmöglich macht große Skulpturen und Installationen aufzunehmen. Die beiden Räume, die das Nachlass-Forum im Hinterhof des Künstlerhauses Sootbörn in Niendorf von der Stadt angemietet hat, sind so beengt, dass selbst die Toilette noch als Lager und Archiv genutzt wird.


Bis heute finanziert sich das Forum durch Mitgliedsbeiträge und wird, bis auf eine halbe ABM-Stelle, ausschließlich von Ehrenamtlichen betrieben. Im Grunde ist diese Minimalausstattung ein Armutszeugnis für die Stadt, denn der Hamburger Verein ist ein bundesweites Vorzeigemodell: Für die „Künstlernachlässe Mannheim“ (seit 2005) ebenso, wie für das 2010 in Pulheim bei Köln eröffnete Archiv für Künstlernachlässe der Stiftung Kunstfonds. Von dessen finanziellem Spielraum kann Gora Jain nur träumen. Was das Forum dennoch stemmt, ist enorm: Mit Hilfe eigener Forums-Stipendiaten werden systematisch Kataloge und Werkverzeichnisse erstellt. 3.500 Datensätze (von geschätzten 10.000 Exponaten, die derzeit in Hamburg-Niendorf lagern) sind bereits bei DigiCult eingepflegt. Nicht zu vergessen, die zwei großen Ausstellungen pro Jahr in Zusammenarbeit mit den Künstlern vom Künstlerhaus Sootbörn, die seit 2005 zum festen Vereinsprogramm gehören. „Raus aus den Kellern und rein in die Ausstellungen“ lautet die Devise der Forumsvorsitzenden. Durch permanente Ausstellung werden die Chance einer Wiederentdeckung und Neubewertung der Werke deutlich erhöht. Schließlich rangierten auch Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge Jahrzehnte lang unter „ferner liefen“, ehe sie wiederentdeckt und zum Publikumsmagneten der Hamburger Kunsthalle avancierten. Aber noch ein Aspekt ist Jain wichtig: „Durch die Dialogsituation mit lebenden Künstlern wird der Muff eines toten Archivs am Rande der Stadt genommen“. Die Zusammenarbeit klappt wunderbar, dennoch ist absehbar, dass die Zeit in der ehemaligen Schule, die Ernst Wilhelm Langloh 1929 im Bauhausstil errichtete, abläuft: „Wir gehen davon aus, dass wir bald andere Raummöglichkeiten haben“, sagt Jain. Anfangs hatten sie und Sello von einem Schauraum mit einem großen Fenster, auf der Museumsmeile geträumt, mittlerweile schwebt ihnen das Modell des projektierten Privatmuseums im Jenischpark vor. Die Stadt stellte der „Stiftung Eduard Bargheer Museum“ das seit Jahren leerstehende ehemalige Gartenbauamt kostenfrei zur Verfügung. Mit Spenden und privaten Stiftern wie der Hermann-Reemtsma Stiftung sollen Ausbau und Betriebskosten finanziert werden. „Man könnte überlegen, ob so ein Konzept nicht auch für unsere Institution in Frage kommt“, sagt Gora Jain, die bereits daran denkt „die eine oder andere bedeutende Sammlung Hamburger Kunst“ in das Konzept zu integrieren. Entsprechende Kontakte zu Stiftungen und Interesse von Sammlern gibt es bereits. Namen werden zwar noch nicht genannt, doch das Ziel ist klar: „Ein Haus für Hamburger und norddeutsche Kunst, das ist unsere Vision“.
Isabelle Hofmann


„Entdeckt und Bewahrt! 10 Jahre Forum für Künstlernachlässe“ , bis 29. September 2013, Staatsarchiv Hamburg, Kattunbleiche 19, 22041 Hamburg. Mo-Mi 10-18 Uhr, Do-Fr. 10-16 Uhr. Eintritt frei. Ein Katalog ist erschienen.
„MAKSA (1957-2012), eine Werkschau aus zwei Jahrzehnten“, Forum für Nachlässe, Künstlerhaus Sootbörn, Sootbörn 22, 22543 Hamburg, 13. bis 29. September, Sa15-18 Uhr, So 11-17 Uhr, Mi 15-18 Uhr. Eintritt frei.


Symposium „Kulturgut in Gefahr! – Zukunftsfähige Konzepte für Künstlernachlässe“ , 14.September ab 10 Uhr, Staatsarchiv Hamburg. Anmeldung erforderlich unter 040-3861 3810.


„Erste Reihe“, Jahresausstellung des Berufsverbandes bildender Künstler Hamburg zum 50. Bestehen des Kunsthauses, Klosterwall 15, 20095 Hamburg, 24. September bis 27. Oktober, Di-So 11-18 Uhr. Eintritt 7 Euro, ermäßigt 5 Euro.

 


Fotum für Künstlernachlässe Hamburg

Weitere Informationen zu künstlerischen Nachlässen bei KulturPort.De:

Beispiel einer Nachlassaufbereitung durch das Landesmuseum Schloss Gottorf: Jörn Pfab.
Zum Verkauf von künstlerischen Nachlässen am Beispiel von "reART" Hamburg.


Fotonachweis: Alle Fotos Isabelle Hofmann
Galerie:
01. Forum für Nachlässe im Künstlerhaus Sootbörn in Hamburg.
02. Kunsthistorikerin Gora Jain
03. Fundus und Archiv auf engstem raum
04. Monika Wank, die gute Seele des Vereins, kümmert sich um die digitale Erfassung des Bestandes.

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