Bis zu diesem Tag hat Frances bei Sophie (Mickey Summer, Tochter von Sting) in Brooklyn gelebt “wie ein altes lesbisches Ehepaar, das keinen Sex hat”. Die beiden rebellierten gegen Ehe, Kinderkriegen und großbürgerlichen Mief. Sie nahmen nichts ernst und veralberten alles. Jetzt hat Sophie einen neuen reichen Freund, zieht nach Tribeca in ein teures Apartment. Weihnachtsurlaub auf den Galapagos Inseln, Heirat und Karriere in Tokio sind angesagt. In diesem Leben ist kein Platz mehr für Frances, genauso wenig wie bei der Dance Company. Kein Geld, keine Wohnung, kein Job und nicht die geringste Aussicht als Tänzerin zu arbeiten. Es beginnt eine abenteuerliche Irrfahrt ins Ungewisse auf der Suche nach einem Unterschlupf, Noah Baumann bezeichnet seinen Film als “Roadmovie mit Apartments”. Jedes Kapitel ist durch eine exakte Adresse gekennzeichnet, 682 Vanderbilt Ave. Brooklyn, NY 11238, 22 Catherine St. Chinatown, NY 10035 usw., mit der Umgebung wechseln Ästhetik und Atmosphäre. Jede Wohnung ist eine Welt für sich, die einsame Rebellin überall ein Fremdkörper. Eigentlich zum Heulen, aber Frances will kein Mitleid, lächelt entschlossen und beißt in einen riesigen Bagel, obwohl sie gerade erklärt hat, keinen Hunger zu haben. Sie ist ein Widerspruch in sich.
Noah Baumbach gilt sonst eher als Regisseur der grimmig ernsten Themen mit biographischem Background: “Der Tintenfisch und der Wal”, “Margot und die Hochzeit”, "Greenberg”. Hier wechselt er Genre und Stil, dreht in der verspielten, unbekümmerten Manier der französischen Nouvelle Vague von Jean Luc Godard (“Die Außenseiterbande”, 1964) und Francois Truffaut (“Schießen Sie auf den Pianisten”, 1960). Die Kompositionen von Georges Delerue (1925-1992) machen die Illusion perfekt. Momentaufnahmen, kurze Impressionen wechseln mit längeren Sequenzen und Dialogen, Frances ist die einzige Konstante. Die sprunghaften Szenenfolgen geben der Großstadtballade ihre Leichtigkeit, eine flüchtige, beiläufige Eleganz, das amüsant bizarre Nebeneinander von Authentizität und Phantasie. Der Einfluss des Mumblecore-Kinos, jener Mikro-Budget-Produktionen, wo die Grenzen zwischen Inszenierung und Realität, Darsteller und Rolle fließend sind, bleibt als Reminiszenz der Hipster-Kultur spürbar. Greta Gerwig ist ihr Star, ihre Ikone. Auch in anderen Filmen wie Daryl Weins “Lola gegen den Rest der Welt” selbst in Woody Allens “To Rome with Love” spielt sie die Verlassene oder Betrogene, eine Nonkonformistin mit dem ihr unverwechselbaren zerzausten Charme, die sich jedes Mal neu erfinden muss.
Die Protagonistin behauptet tapfer weiterhin ihren Außenseiterstatus. Doch wenn in der Runde junger verwöhnter Möchte-Gern-Künstler die unvermeidliche Frage nach dem Beruf kommt, würde sie sich gern verkriechen. “Es ist irgendwie schwierig zu erklären”, wie soll sie diesen wohlhabenden Fremden beibringen, dass sie eigentlich noch gar keine Tänzerin ist, sondern nur eine sein möchte. Das Geständnis fällt schwer. Ihre Statements sind eine Mischung aus Witz und Trotz, scheinbarem Nonsens und hintergründiger Erkenntnis. Ratschläge blockt sie ab, Kritik weicht sie aus: “Messy – nein busy”. Sie ist unordentlich wie unorganisiert, leidet unter extremen Realitätsverlust, kann schrecklich enervierend sein, redet immer zu viel und hat die Gabe, genau das Falsche zu sagen. Wenn sie zu einem ihrer etwas unorthodoxen Monologe ansetzt, ist jede Dinner-Party ruiniert. Frances gebärdet sich wie eine altkluge Fünfjährige, die beim Spielen die Zeit vergisst. Ihr neuer Mitbewohner hat sie für “undatable” erklärt (obwohl er eigentlich das Gegenteil meint). Es wäre schwer, sie nicht zu lieben. Ihre Natürlichkeit, Wärme, Mitgefühl, unberechenbare Spontaneität. Greta Gerwig als Frances ist hinreißend, unwiderstehlich. Wenn sie quer durch die Stadt zu einem Geldautomaten rennt, stolpert, hinfällt, sich wiederaufrappelt, noch unsicher hinkend, aber unverdrossen weiterläuft wird das zur großen Kunst des Slapsticks. Was sonst sich ausschließt, gelingt ihr zu verbinden: Tollpatschigkeit und Grazie, hintergründig Chaplineskes mit bezaubernder Weiblichkeit fern jeder Stereotypen.
Als Porträt der Generation Y zeigt der Film den gesellschaftlichen Wandel, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Effizienz, Resultatorientiertes Denken sind oberstes Gebot. Unsicherheit und Existenzängste nehmen zu, der Realität in eine Traumwelt zu entfliehen, liegt nahe. Postadoleszenz heißt die letzte Hürde, die es zu überwinden gilt für die Endzwanziger. “Frances Ha” ist das Gegenstück zu “Oh Boy!”, der Tragikkomödie von Jan-Ole Gerster. Baumbach verzichtet auf Pointen, konzentriert sich auf Situationskomik, die widersprüchlichen Gefühle seiner Heldin. Sie tanzt, hüpft, trampelt, trippelt die Straße entlang, ihrem ungewissen Schicksal entgegen, springt, dreht einige ungelenke Pirouetten zu dem Soundtrack von David Bowies “Modern Love” genau wie einst Denis Lavant in Leo Caraxs “Die Nacht ist jung”. Der Regisseur und seine Titelheldin sind im wirklichen Leben mittlerweile ein Paar.
Was Greta Gerwig und Noah Baumbach mit Woody Allen verbindet, ist seine Selbstironie, wie auch die Faszination für New York. Die beiden sind mit seinen Filmen aufgewachsen, leugnen den Einfluss nicht, im Gegenteil. Sein Humor hat sie geprägt, ist ihnen ist ins Blut übergegangen, doch “Francis Ha” ist kein “Annie Hall”-Imitat nach Brooklyn verlegt. Was sie der Großstadtneurotiker gelehrt hat, ist um ihre künstlerische Freiheit zu kämpfen, sich ihre Individualität, die Unabhängigkeit gegenüber der Hollywood-Maschinerie zu bewahren. Die Unsicherheit und Selbstzweifel einer Frances versteht Woody Allen nur zu gut: Trotz seines Erfolgs misstraut er bis zum heutigen Tag dem eigenen Talent. Er fand “Manhattan” so miserabel, dass er den Produzenten bat, ihn nicht auf den Markt zu bringen.
Mit unverwüstlichem Mut kämpft die Protagonistin beharrlich gegen den sozialen Abstieg an. Scheinbar erfolglos. Wenn sie übers Wochenende allein nach Paris fliegt, werden Einsamkeit und Tristesse für einen kurzen Moment fast unerträglich, doch die Bilder bleiben in ihrer skurril nostalgischen Schönheit unvergesslich, ironischer Kontrast zur viel beschworenen Romantik der Lichterstadt. Es folgt Weihnachten bei den Eltern in Sacramento, ein Sommer als ehrenamtliche Hilfskraft an ihrem alten College Vassar. Aber irgendwann packt es unser Tollpatsch, und entgegen allen Regeln des amerikanischen Kinos, schafft sie ihr Coming of Age allein aus eigener Kraft heraus. Kein Märchenprinz, noch nicht mal ein gewöhnlicher Mann taucht auf um sie zu retten, das wäre auch nicht nach ihrem Geschmack. Und genau das unterscheidet sie von Audrey Hepburns 'Holly', Diane Keatons 'Annie', Sarah Jessica Parkers 'Carrie' oder Lena Dunhams 'Hannah'. Am Ende des Films, fast hatte der Zuschauer schon die Hoffnung aufgegeben, lernt Frances Kompromisse zu machen, entdeckt ihr eigentliches Talent und Potential.
Und ganz zuletzt wird auch erklärt, was es mit dem Titel auf sich hat.
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(ca. 2.09 Min.) Trailer
Originaltitel: Frances Ha, 86 Minuten
Regie: Noah Baumbach
Darsteller: Greta Gerwig, Mickey Summer, Adam Driver, Michael Zegen, Grace Gummer
Produktionsland: USA 2012
Kinostart: 01. August 2013
Verleih: MFA + FilmDistribution
Copyright Video/Fotos: MFA + FilmDistribution
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