Kunsthandwerk, Grafik & Design

Nein, hier sind keine Malerarbeiten im Gange. Die hohen Leitern und die transparenten Zäune sind Konzept, der Baustellen-Charme ist gewollt. Herzlich Willkommen zur Messe 2021 im Museum für Kunst und Gewerbe.

 

Wie soll sich eine Messe präsentieren, die für sich Weltniveau beansprucht? Zwei Jahre diskutierten die Veranstalter, die Justus Brinckmann Gesellschaft und das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, über ein neues Erscheinungsbild.

 

Im Frühjahr 2020, als alle noch dachten, Corona sei eine Sache von wenigen Wochen, war klar, dass die Messe pausieren würde. Begründung: Man brauche Zeit für ein neues Konzept. Kurator sollte der Berliner Pascal Johanssen sein. Doch sein Gastspiel dauerte nur wenige Wochen. Anfang 2021 erklärte Direktorin Tulga Beyerle den Neustart der Messe zur Chefsache – mit klar definiertem Ziel: „jünger, frischer, internationaler“.

 

Insgesamt wirkt die Messe tatsächlich verjüngt und frisch. Und auch die Auswahl der 72 Künstler*innen aus allen Gewerken ist (bis auf Papier) abwechslungsreich und spannend. Schwerpunkte liegen auf Keramik und Schmuck und hier fällt ein Akzent zum Upcycling auf. Nachhaltigkeit ist dem Kunsthandwerk zwar gleichsam ins Erbgut geschrieben, aber die Verarbeitung von Abfallmaterialien, wie sie Jiun You Ou (Schmuck) oder Sybille Homann (Glas) präsentieren, dokumentieren deutlich, wie stark sich angewandte Künstler:innen mit aktuellen Themen auseinandersetzen.

 

Am Erscheinungsbild allerdings scheiden sich die Geister, sobald man den ersten der drei getrennten Ausstellungsräume betritt.

 

Für die Ausstellungsarchitektur wurde das Berliner Creative Studio „Chmara.Rosinke“ engagiert und haben sich für eine unkonventionelle Gestaltung entschieden. Die hohen Leitern und Bauzäune erschließen in der Tat neue Sichtachsen und Blickwinkel. Die gewohnt solide (und immer etwas langweilige) Aneinanderreihung der Messepodeste ist einer dynamischen Work-in-Progress-Inszenierung gewichen. Einer Inszenierung, die allerdings Schwächen zeigt: Die optisch dominanten Leitern lassen die darunter präsentierten Exponate verblassen und die Bauzäune erwecken merkwürdige Assoziationen: Künstler:innen und Exponate hinter Gittern in einer Zeit, da man Zäune einreißen will – was wollen uns die Messe-Macher damit sagen? Wirklich überzeugen können nur die hochkant gestellten Gitter, die die Vertikale betonen und prima als transparenter Hintergrund einiger Messestände funktionieren.

 

Die Betonfüße, in denen sie stecken, sind jedoch nicht ganz ungefährlich: Achtung, Stolpergefahr! Vielleicht ein Grund, warum die zur Messe geladenen „Design Ambassadors“ aus Prag ihre Exponate sehr kompakt und etwas abseits platziert haben. Die 2010 gegründete tschechische Marke „Krehky“ arbeitet mit Designern aus aller Welt zusammen. In Hamburg stellen sie jetzt interessante Objekte aus Glas, Holz und Porzellan ganz unterschiedlicher Designer-Generationen vor.

 

Als zentraler Messeraum dient der erst vor einem Jahr eröffnete Freiraum, dessen wuchtigen Tribünen aus Spanplatten (ursprünglich zum Sitzen und Verweilen gedacht) nun den Raum teilen und regelrecht verbauen.

 

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Sei’s drum. Schließlich sind die angewandten Künstler*innen allemal wichtiger als das Ausstellungs-Ambiente. Und deren spannenden Objekte und vielfach experimentellen Positionen dürften die Besucher*innen durch die Bank so stark in den Bann ziehen, dass sie das „Drumherum“ rasch ausblenden. Bestes Beispiel die ungewöhnlich farbenprächtigen, mit der Maschine gestrickten Ketten aus Glas- und Holzperlen der Textildesignerin und Schmuckkünstlerin Cécile Feilchenfeldt. Die in München aufgewachsene Schweizerin, die seit über 20 Jahren in Paris ihr Atelier betreibt, erhielt gleich bei ihrem ersten Auftritt auf der Hamburger Messe den begehrten Justus Brinckmann Preis für zeitgenössisches Kunsthandwerk (7.500 Euro). Der Förderpreis der Justus Brinckmann Gesellschaft (2.500 Euro) ging an Gina Nadine Müller, die derzeit an der Hochschule Trier in Idar-Oberstein ihren Masterstudiengang in der Fachrichtung Edelstein und Schmuck absolviert. Die junge Schmuckkünstlerin lotet mit organisch-erotischen anmutenden Broschen und Handschmeichlern aus Stein „Berührungspunkte, Grenzflächen und Kontaktbereiche“ Aspekte von Körperlichkeit aus.

 

Unkonventionell und frisch wirken auch die Schmuckstücke von Kathleen Hennemann, die 2017 bereits mit ihren ambivalenten Beton-Objekten im MKG faszinierte. Die Hamburgerin gießt Plastikfunde aus dem Meer (kurz: Müll) in Beton und kontrastiert die daraus entstehenden Formen mit edlen Materialien wie Perlen. Mit 45 Jahren gehört sie zu den nicht mehr ganz jungen Messeteilnehmer:innen, doch ihre Arbeiten belegen eindrucksvoll, dass Alter kein Kriterium für junges Kunsthandwerk ist. Das gleiche gilt für den Nürnberger Metallgestalter Paul Müller und seine skulpturalen, farbstarken Leuchter. Für die Gold- und Silberschmiede Ulla und Martin Kaufmann, die bislang über dreißig Mal auf der Messe vertreten waren. Ganz zu schweigen von Wolfgang Skoluda, dem Goldschmiede-Großmeister und Urgestein des ältesten und ehemals größten Marktplatzes für spitzenmäßige Handwerkskunst in Deutschland.

 

In Sachen Keramik setzen die hierzulande heimisch gewordenen Südkoreaner:innen Maßstäbe: Kap-Sun Hwang und seine Frau Si-Soog Kang aus Kellinghusen, Bokyun Kim und Minsoo Lee aus Diessen am Ammersee, Mi Sook Hwang aus Münchweiler Rodalb und Kiho Kang aus Bad Ems. Ihre Schalen, Vasen und Gefäße bestechen allesamt durch eine streng geometrische Formgebung in einer nicht zu überbietenden Perfektion.

 

Nicht weniger perfekt, dafür aber geradezu barock in der Anmutung die Keramiken von Ute Kathrin Beck aus Stuttgart und Claudia Biehne aus Leipzig. Ihre Werke rufen auf ganz unterschiedliche Weise Assoziationen an die Natur und Pflanzenwelt hervor: Während Becks mit Gold- und Silberlüster überzogenen, schillernden Körper an überdimensionale Fruchtstempel, Kerngehäuse oder Art Deco-Skulpturen erinnern, scheint Claudia Biehne mit ihren mehrfach gebrannten, hauchzarten Porzellan-Objekten in Meerestiefen, zu den Korallenriffs, abgetaucht zu sein. Wie schön, dass es diese ausgezeichnete Künstlerin, die jahrelang schon an den Adventssonntagen im Haus des Kunsthandwerks, Koppel 66, zu Gast war, den Sprung ins MK&G geschafft hat.

 

Von den regionalen Künstler:innen haben das in diesem Jahr nur wenige geschafft. Anne Andersson, Andreas Möller und Natalia Möller-Pongis (Textil) gehören dazu, die Hutmacher:innen Karin Irmer und Peter de Vries, sowie Metallgestalter Jan Wege sowie Buchmacher Svato Zapletal.

 

Langjährige Messeteilnehmer:innen wie Karin Bablock (Keramik), Ulrike Isensee, Claudia Westhaus (Schmuck) und Kira Kotliar (Papier) oder Ragna Gutschow und Hendrike Farenholtz (Holz) fehlen.

Vielleicht ist es ein kleiner Trost für sie zu wissen: An ihrer Qualität liegt es nicht. Im Reigen der internationalen Aussteller:innen können sie durchaus mithalten.


MK&G messe 2021

Zu besuchen bis 28. November, (2-G-Regelung)

im Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, 20099 Hamburg.

Weitere Informationen

 

Zum Rahmenprogramm

z.B. Donnerstag, den 25.11., 18:30 Uhr: „Glänzende Aussichten: Autorenschmuck verstehen und beurteilen.“ Vortrag von Petra Hölscher, Neue Sammlung München.

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