Die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München eröffnete soeben eine erste große Werkschau über den preußischen Universalkünstler Karl Friedrich Schinkel.
Schon auf der Pressekonferenz wird betont, wie unbekannt Schinkel in Bayern ist. Wem der Name diesseits des „Weißwurstäquators“ geläufig ist, der kennt ihn vor allem oder vielleicht sogar ausschließlich als Architekten der Berliner Neuen Wache und der Friedrichwerderschen Kirche.
Die aktuelle Ausstellung zeigt Karl Friedrich Schinkel als Universalkünstler im modernen Sinn.
Schinkel als Architekt und Stadtplaner, als Maler und Zeichner, als Gestalter von Möbeln – sogar ein gusseiserner Gartenstuhl ist dabei – und als Bühnenbildner. Der Zusatztitel, „Architekt Maler Designer“ versucht das Anliegen der Kuratoren, knapp und plakativ in die moderne Sprache zu übersetzten. Der Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit dem Berliner Kupferstichkabinett entstanden ist, geht ein dreijähriges Forschungsprojekt, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung voraus. Die 5.500 Werke des Schinkel-Nachlasses liegen nämlich im Kupferstichkabinett und wurden dort konservatorisch und kunsthistorisch untersucht, digital katalogisiert und damit der Allgemeinheit zugänglich gemacht.
Die Wissenschaftlichkeit, in deren Rahmen die Ausstellung entstanden ist, ist spürbar. 300 Exponate in neun Ausstellungskapiteln führen in einem wilden Parcours durch die variabel teilbaren Räumlichkeiten der Münchner Hypo-Kunsthalle. Es ist eine sehr intellektuelle Ausstellung, schwere Kost, prall gefüllt mit Geschichte und Schinkelschen Gedanken. Der Besucher verlässt die Ausstellung mit vollem Kopf und weiß, mit einem einzigen Besuch ist die Ausstellung nicht zu verarbeiten. Fleißarbeit ist nötig. Weitere Besuche müssen folgen, um sich mit dem Genie Schinkel und vor allem den „Geschichtsbildern im gesamten Schinkelschen Kunstuniversum“ (1) auseinanderzusetzen.
Jeder Raum, jedes der neun Themen ist in einer anderen Farbe gehalten. Die aufwendige Ausstellungsarchitektur besteht aus zahllosen Vitrinen, für Objekte und Bücher, aus Podesten, Sockeln und Einbauten für Möbel und größere Objekte. Sogar ein Architekturmodell des Alten Museums zu Berlin wurde eigens angefertigt. Es dominieren verschiedene Blau- und Grüntöne aber auch ein sattes Burgunderrot, in Kunstausstellungen eine der beliebtesten Farben als Hinter- und Untergrund für alles was nicht zeitgenössische Kunst ist, überrascht als Ausreißer aus der Blaugrünen Farbfamilie.
Ein langer schmaler Gang, links Wand rechts Glasfassade, die einen Blick in den Innenhof der Fünf Höfe erlaubt, führen auf eine Bronzebüste Schinkels zu, dann beginnt die Ausstellung mit einem Video. Ein erstaunlicher Auftakt für eine monografisch ausgelegte Werksschau eines „alten“ Künstlers.
Klassischer geht es dann mit dem ersten Kapitel, „Das Leben Schinkels“, weiter in dem der Künstler und sein enges Umfeld vorgestellt werden. In „Geschichte überliefert und konstruiert. Die Entdeckung der historischen Denkmäler“ sind hauptsächlich Architekturbilder versammelt, ein Kabinett entführt auf seine Italienreise 1803-1805, bei der er über Prag und Wien reisend die gesehenen Gebäude nicht nur einfach dokumentiert, sondern auch im Geiste weiterentwickelt oder modifiziert darstellt. „Die Bühne und die Welt. Geschichtsphantasien und das Fremde im Theaterbild“ stellt ein besonderen Abschnitt der Ausstellung dar, denn Schinkel entwarf nicht nur Bühnenbilder sondern schuf auch optisch mechanische Figurentheater, hier zum damals aktuellen Geschichtsereignis, „Der Brand von Moskau“. Das faszinierende Ausstellungsstück, bestehend aus flachen Figuren mit beweglichen Gliedmaßen, perspektivisch in mehreren Schichten hintereinander gestellt, bei Aufführungen einst mit Toneffekten und Musik versehen, erzählt es die Geschichte des von Napoleon belagerte Moskaus. Die russische Militärverwaltung hatte den Brand initiiert, um dem Feind zu schaden und ihm die Versorgung zu nehmen. Diesem unterhaltsamen Theaterobjekt um das hochdramatische historische Ereignis aus dem Jahr 1812 ist ein kleines Kabinett gewidmet.
Die beiden anschließenden Kapitel verraten mit ihren Überschriften, was in den so betitelten Räumen zusehen ist. Sie zeigen nun endlich das, was der Besucher, der Schinkel ein wenig kennt, zu sehen erwartet. In „Wege zur Nation. Schinkels Denkmalentwürfe“. geht es um seine Denkmäler zur Entwicklung und Förderung einer preußischen Identität. „Preußen als Kunstwerk. Schinkels Berliner Bauten“ zeigt seine bekanntesten klassizistischen Gebäude in Berlin, wie die Neue Wache, die Friedrichwerdersche Kirche und das Alte Museum zu Berlin, zu dessen besserem Verständnis extra ein aufwendiges Lernmodell gebaut wurde.
Das Kapitel, „Architekt für den Hof. Hofarchitekt“, beschreibt Schinkels Auftragsarbeiten für die preußischen Könige Friedrich Wilhelm III. und dessen Sohn Friedrich Wilhelm IV., für die er Architektur, Möbel und Objekte entwarf. Einen geräumigen Bereich nimmt deshalb das Kapitel „Schinkel der Moderne. Gewerbeförderung und Design“ ein, in dem unter anderem Möbel und Interieur-Objekte die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Schinkel verfasste nämlich auch Musterbücher und das Prachtwerk „Vorbilder für Handwerker“ für das Ministerium für Handel, Gewerbe und Bauwesen, mit Zeichnungen allerlei Hausrats, Möbeln und anderem Kunsthandwerk (2). Sein Interesse und Engagement für die Industrieförderung ist inspiriert von einer Englandreise im Jahr 1826. Im vorletzten Kapitel dieser lose chronologisch gehaltenen Ausstellung, „Träume vom Bauen- späte Utopien“ sind unter anderem späte poetische Entwürfe für ein Schloss auf der Akropolis für Otto von Griechenland und ein Schloss auf der Krim für den russischen Zaren-Hof ausgestellt.
Nachdem der Besucher nun die vielen Kapitel und Unterkapitel des breiten Spektrums im Oeuvre Schinkels durchlaufen hat bekommt er zu Abschluss noch technische Informationen. Das Ende der Ausstellung macht nämlich ein kleiner Raum der unter dem Namen „Das Labor der Kunst-Labor der Wissenschaft“, Zeichen- Mal und Drucktechniken sowie zeitgenössische Papierarten erklärt. In etwas abgedunkelter Atmosphäre sind Texte und Abbildungen entlang der Wand hinterleuchtet.
Und dann ist es vorbei. Wieder draußen vom hellen Licht geblendet steht der Besucher gleichermaßen vor dem Ein- wie dem Ausgang der Ausstellung an den Treppen nach draußen zum Café Kunsthalle. Von unten ertönt das leise Klirren der Kaffeetassen und das Summen der Stimmen der Kaffeehausgäste, die großen Glasfenster erlauben einen Blick in die stets belebte Einkaufspassage der „Fünf Höfe“ und so kann sich der Besucher mit angefülltem Kopf entscheiden, gleich noch einmal zur Sicherheit die Lieblingsobjekte zu betrachten, einige der erklärenden Textfahnen zu jedem Ausstellungsbereich durchzulesen, oder hinauszugehen. Um zu einem späteren Zeitpunkt mit frischem Geist zurückzukehren: um mehr zu lesen, mehr zu entdecken und mehr zu verstehen.
Karl Friedrich Schinkel. Architekt Maler Designer
Die Ausstellung ist bis zum 12. Mai 2013 zu sehen in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstr. 8 in 80333 München.Fußnoten:
(1) SCHULZE ALTCAPPENBERG, Hein.-Th.: Karl Friedrich Schinkel-Geschichte und Poesie, in: Schulze Altcappenberg, Hein.-Th. und Lange, Christiane: Karl Friedrich Schinkel. Architekt Maler Designer, München 2013, S. 10.
(2)Â SCHULZE ALTCAPPENBERG, Hein.-Th.: Karl Friedrich Schinkel-Geschichte und Poesie, in: Schulze Altcappenberg, Hein.-Th. und Lange, Christiane: Karl Friedrich Schinkel. Architekt Maler Designer, München 2013, S. 14.
Fotonachweis:
Header: Detail aus Karl Friedrich Schinkel: Die Sternenhalle der Königin der Nacht. Bühnenbildentwurf zur 2. Dekoration der Oper »Die Zauberflöte«, ca. 1815, Gouache, Zirkelspuren/Vergépapier, 46,4x61,5 cm. Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, © Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin / bpk
Galerie:
01. Carl Friedrich Ludwig Schmid: Karl Friedrich Schinkel, 1832, Öl/Leinwand, 48x48 cm. Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, © Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / bpk
02. Franz Louis Catel: Schinkel in Neapel, 1824, Öl/Leinwand, 62x49 cm. Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin. © Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / bpk Foto: Jörg P. Anders
03. Karl Friedrich Schinkel: Gotischer Dom am Wasser, 1813, Öl/Leinwand, 80x106,5 cm. Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, © Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / bpk Foto: Jörg P. Anders
04. Karl Friedrich Schinkel: Entwurf zum Ausbau der Burgruine Stolzenfels, 1836, Feder in Grau und Rot, über Vorzeichnung mit Graphitstift und Zirkel/Vergépapier, 64,4x102 cm, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, © Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin / bpk
05. Karl Friedrich Schinkel: Bühne und Dekoration des Einweihungs-Prologs im Königlichen Schauspielhaus zu Berlin, 1823. Vorzeichnung zum Stich von Louis Normand in der Sammlung architektonischer Entwürfe, Heft 2, Tafel 14, 1826, Feder in Schwarz, über Vorzeichnung mit Graphitstift und Zirkel/Vélinpapier, 32,1x42,9 cm. Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, © Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin / bpk
06. Karl Friedrich Schinkel: Der Brand von Moskau, 1812/1813, Pinsel in Braun, Feder in Grau, mit Pinsel weiß gehöht, über Vorzeichnung mit Graphitstift/Vélinpapier, 45x64 cm. Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, © Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin / bpk
07. Carl Emanuel Conrad: Rotunde des Museums am Lustgarten, nach 1830, Aquarell, 45,7x42,1 cm. Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Graphische Sammlung, © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg/Bildarchiv, Foto: Roland Handrick
08. Eduard Gärtner: Die Bauakademie, 1868, Öl/Leinwand, 63x82 cm. Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, © Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / buk, Foto: Jörg P. Anders
09. Unbekannter Künstler: Zeltzimmer im Schloss Charlottenhof, ca. 1835, Aquarell über Feder in Schwarz, 15,4x20,5 cm. Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Graphische Sammlung, © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg/Bildarchiv
10. Karl Friedrich Schinkel: Entwurf zu einem Armlehnstuhl für das Wohn-, spätere Chamoiszimmer, 1808/09, Aquarell, über Vorzeichnung mit Graphitstift/Vélinpapier, 15,7x13,6 cm. Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, © Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin / bpk
11. vermutlich Bronzefabrik C. G. Werner & Neffen: Schalenaufsatz mit weiblichen Gottheiten für Friedrich Wilhelm III., ca. 1828/30, H. 76,5 cm, Bronze, feuervergoldet. Stichting Huis Doorn, © Stichting Huis Doorn
12. Karl Friedrich Schinkel: Orianda, Moskowitischer Entwurf, Grundriss, 1837/38, Aquarell/Vergépapier, 27,2
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