Die Ausstellung „Baumeister der Revolution. Sowjetische Kunst und Architektur 1915-1935“ im Berliner Martin-Gropius-Bau erzählt die Geschichte vom jähen Ende der russischen Avantgarde und zeigt in ernüchternden Fotografien die architektonischen Überreste des einstigen Aufbruchs in Kunst und Gesellschaft.
Wie eine zum Himmel geballte Faust hebt sich Wladimir Tatlins tollkühner Entwurf für das Hauptquartier der Kommunistischen Internationale von 1919 den Besuchern zum Eingang der Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau entgegen. Auch wenn es sich nur um ein knapp zwei Meter hohes Modell handelt, vermittelt die Konstruktion aus Stahl und Glas eindringlich, mit welchen Ambitionen und welchem Übermut die künstlerische Avantgarde der 1920er-Jahre den Umbruch der russischen Gesellschaft begleitete.
Das sich spiralförmig aufbäumende Bollwerk des Kommunismus, in dessen Inneren an Seilaufhängungen befestigte geometrische Baukörper Platz für die verschiedenen Organe der Vorhut der Weltrevolution bieten, beeindruckt gleichermaßen durch die Transparenz und Dynamik seiner Konstruktion wie durch seine unverhohlene Gigantomanie. Als höchstes Gebäude der Welt sollte der Turm mit seinen vierhundert Metern den Eiffelturm um Längen überragen und den imperialen Machtanspruch des Kommunismus unmissverständlich demonstrieren. Doch wie so oft in der Geschichte, zeigt sich auch am Beispiel der russischen Revolutionsarchitektur, dass phantastische Utopie und deren Verwirklichung mitunter weit auseinanderklaffen. Tatlins Turm wurde nie gebaut: Die visionäre Form scheiterte an der ingenieurstechnischen Machbarkeit ihrer Zeit.
Dass dennoch beeindruckend ist, was in der kaum zwanzig Jahre währenden Periode zwischen dem Urknall des Suprematismus Malewitschs und Stalins Doktrin des sozialistischen Realismus an Architektur in der Sowjetunion geschaffen wurde, zeigt sich exemplarisch an den in der Ausstellung gezeigten Gebäuden. Wladimir Schuchows Funkturm von 1922 etwa, der in dramatischer Untersicht von Richard Pare fotografiert zum Konterfei der Ausstellung gewählt wurde, besticht durch eine simple wie filigrane und poetische Struktur. Auch wenn er in seiner Gestalt wesentlich statischer und reduzierter daherkommt als Tatlins Turm für die III. Internationale, vermittelt er dennoch die Schönheit, welche von dieser die bis auf die konstruktive Form reduzierten Architektur ausgeht.
In fünf nach funktionalen Gesichtspunkten der Architekturen gegliederten Blöcken präsentiert die Ausstellung herausragende Beispiele sowjetischer Revolutionsarchi-tektur in Fotografien, die zumeist den Zustand der späten 1990er Jahre dokumentieren. Dabei wird insbesondere der erschreckende Verfallszustand vieler Wohnbauten offenbar, die im Gegensatz zu Kultur- und Verwaltungsbauten weitgehend schutzlos den Veränderungen durch Bewohner und dem Desinteresse des Denkmalschutzes in den postsozialistischen Staaten ausgeliefert sind. In vor den Bildwänden montierten Tischvitrinen finden sich die originalen Karteieinträge der Gebäude aus den staatlichen Bauregistern der Sowjetunion, welche die Gebäude zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung zeigen. Dadurch bietet sich dem Ausstellungsbesucher die Gelegenheit, den gegenwärtigen Zustand der Gebäude mit ihrer ursprünglichen Anmutung kritisch abzugleichen.
Ein wenig verloren wirken in der Ausstellung allerdings die zahlreichen Gemälde und Zeichnungen der russischen Konstruktivisten, die, von den Architekturfotografien separiert, jeweils eine eigene Wand der Ausstellungsräume füllen. Im Vergleich zu den großformatigen Fotografien von Pare besitzen sie jedoch kaum mehr als eine illustrative Funktion simultaner Tendenzen der russischen Malerei in ihrer Hinwendung zu Farbe, Linie und konstruktiver Form. Dazu hätte es der gezeigten Vielzahl an Werken allerdings nicht bedurft. Gewiss hätten die Ausstellungsmacher besser daran getan, den Aufbruch in der Architektur noch im Kontext weiterer künstlerischer Gattungen wie etwa dem russischen Kino der 20er-Jahre zu verorten, als sich ausschließlich auf Arbeiten der bildenden Kunst zu fokussieren. Obwohl die Arbeiten von hochkarätigen Vertretern der Avantgarde wie El Lissitzky, Alexander Rodtschenko oder Gustav Klucis stammen, wirken sie im Gesamtzusammenhang der Ausstellung stets ärmlich und unselbstständig – ein Eindruck, der durch die gedrungene Hängung noch verstärkt wird. Die Tatsache, dass diese Arbeiten allesamt Leihgaben des staatlichen Museums für zeitgenössische Kunst in Thessaloniki sind, legt vielmehr einen anderen Verdacht nahe: Nämlich, dass hier versucht wurde, den griechischen Kollegen, um deren Etats es dieser Tage wahrlich nicht gut bestellt sein dürfte, durch die Un-terbringung möglichst vieler Leihgaben, noch den einen oder anderen Extra-Euro zuzuschieben.
Das wiederum wäre eine Form der internationalen Solidarität, die gewiss auch die Zustimmung der Baumeister der Revolution gefunden hätte.
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Baumeister der Revolution. Sowjetische Kunst und Architektur 1915-1935
Die Ausstellung ist bis zum 9. Juli 2012 zu sehen imMartin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin.
Der Katalog zur Ausstellung ist erschienen bei Mehring und kostet 39,90 €
Fotonachweis:
Header: Wladimir Schuchow, Funkturm. Courtesy Richard Pare und Kicken, Berlin.
Galerie:
01. Wladimir Tatlin, Turm für die dritte Internationale
02. Pare Sanatorium von Voroshilov. Courtesy Richard Pare und Kicken, Berlin.
03. Richard Pare Narkomfin, Inneres eines Gemeinschaftswohnheims. Courtesy Richard Pare und Kicken, Berlin.
04. Alexander Rodtschenko, Lineismus. Courtesy State Museum of Modern Art Costakis Collection, Thessaloniki.
05. Liubow Popowa, Malerische Architektonik. Courtesy State Museum of Modern Art Costakis Collection, Thessaloniki.
06. Gustav Klutsis, Dynamische Stadt. Courtesy State Museum of Contemporary Art Costakis Collection, Thessaloniki.
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