Elbphilharmonie: Die „Weiße Haut“ ist montiert
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink, fotografiert von Klaus Frahm -
Noch kann der große Saal der Hamburger Elbphilharmonie nicht in seiner ganzen Pracht bewundert werden. Die Sitze fürs Publikum müssen noch ein wenig warten, auch die große Orgel der Firma Klais wird erst noch eingebaut, die Montage beginnt in zwei Wochen. Damit werden dann auch die letzten Lücken der „Weißen Haut“ geschlossen, die dem Konzertsaal die von Yasuhisa Toyota geplante Akustik der Welt-Spitzenklasse verpassen soll und die jetzt schon für seine ganze besondere Anmutung sorgt.
Für die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron, für die Baufirma Hochtief und auch für die Stadt Hamburg war ihre Präsentation des akustischen Wunderwerks, weitgehend gerüstfrei, am Mittwoch ein ganz besonderes Ereignis, das Architekturfotograf Klaus Frahm für KulturPort.De dokumentiert. „Architektonisches Juwel“ war das mindeste, was an Kommentar zu dem Saal zu hören war. Und selbst die Architekten, die es ja wissen mussten, zeigten sich überwältigt.
Soviel allseitiges Glück war auf der Baustelle selten präsent. Freude über den eingehaltenen letzten Zwischentermin und über das Aussehen des Konzertsaals, der Kultursenatorin Barbara Kisseler zu der Bemerkung hinriss, schon die Architektur sei so überwältigend, dass es die Musik gar nicht mehr brauche.
Noch ist das Gesamtkunstwerk nicht akustisch zu erleben, nur zu erahnen. Dafür beeindruckt umso mehr das 6.000 Quadratmeter große Riesenpuzzle, dass die „Weiße Haut“ aus 10.000 exakt berechneten Teilen entstehen ließ – jedes passt nur an einer einzigen Stelle im Saal. Gipsfaserplatten sind es, jede einzigartig zurechtgefräst, um in ihrer Gesamtheit den Schall der Musik wie vom japanischen Akustiker Toyota vorausberechnet optimal in den Raum zu reflektieren und zu jedem Platz zu verteilen.
Wer einige der vielen Konzertsäle kennt, in denen Toyota die Akustik geplant hat – die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles etwa oder den Konzertsaal des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg, weiß, dass man am Ende mit einem subtil ausgetüftelten, ganz besonderen Raumklang rechnen kann, der neben den Musikern zum vollwertigen Partner beim entstehen des Hörerlebnisses wird.
Ein knappes Jahr noch wird es dauern bis zum Eröffnungskonzert am 11. Januar 2016. Ende Juni soll der Konzertbereich an die Stadt übergeben werden. Im November soll dann die allgemein zugängliche öffentliche Plaza eröffnet werden.
Von außen entfaltet die gläserne Welle auf dem ehemaligen Backstein-Speicher jetzt ihre zauberhafte Wirkung. In 16.000 Quadratmetern fein gegliederter Glasfassade spiegeln sich Stadt, Wolken und wechselnde Lichtverhältnisse bis zur Spitze hinauf in 110 Metern Höhe – ein Juwel, dessen Faszination so schnell nicht erlöschen wird. Die 4.000 Quadratmeter große Plaza für gute Aussichten suchende Touristen und Hamburger befindet sich in 37 Metern Höhe zwischen dem historischen, nur am oberen Rand etwa aufgestockten Backsteinsockel und dem Glasaufbau. Gesamtkosten des philharmonischen Elbvergnügens: 865 Millionen Euro, davon trägt die Stadt 789 Millionen.
So sieht es im großen Konzertsaal derzeit aus. Gut zu erkennen sind die rundum laufenden, ineinander verschachtelten und steil in die Höhe steigenden Ränge. Dieser Aufbau lässt den Saal kleiner erscheinen als er ist. Und die 2.100 Zuhörer sitzen alle relativ dicht um Orchester und Solisten. Oben zu erkennen: der große runde Schallreflektor, der beim gerechten Verteilen des Hörgenusses hilft. Die „Weiße Haut“ überzieht Wände, Brüstungen, Decke und den Reflektor. Die hellen Lampen sorgen für ein festliches Raumerlebnis.
Sie haben sich die einzigartige Multifunktions-Philharmonie ausgedacht: die stolzen Architekten Pierre de Meuron (links) und Jacques Herzog, die mit ihrem Büro in Basel sitzen und als weltweit Fachleute fürs ganz Besondere, für nie zuvor gebaute Ideen gelten. Die Elbphilharmonie ist ihr erstes Konzertgebäude und trägt in ihrer Auftragsliste die Werkzahl 230.
Die Ränge für die Zuschauer sind natürlich in den Raum eingefügt wie Terrassen in einem steilen Weinberg. In der Mitte des Raums lagern schon Kartons mit Bauteilen für die große Konzertorgel (vier Manuale, 65 Register), deren Einbau in den nächsten Wochen beginnt. Die unregelmäßig verteilten Lampen bringen die Anmutung eines Sternenhimmels in den Raum.
Gut zu erkennen: die unregelmäßige Anordnung der eingefrästen Vertiefungen, von denen es etwa eine Million in der gesamten Akustik-Gipsfaserhaut gibt. Manche sind sehr flach gehalten, andere mehrere Zentimeter tief. Sie sind auf einem Unterbau montiert – das Spiel zwischen den einzelnen Elementen durfte fünf Millimeter nicht überschreiten.
Ein Hauch von Raumschiff: Der Blick nach oben zeigt über der fast mittig im Raum liegenden und von Zuschauerplätzen umgebenen Bühne den großen Reflektor, der unter der 25 Meter hohen Raumdecke schwebt. Er ist prall bestückt mit Technik, die präzise eingepasst wurde in die omnipräsente „Weiße Haut“.
Manchmal sind es nicht nur Vertiefungen, sondern filigrane Öffnungen, die von fern an maurische Verzierungen erinnern. Hinter ihnen kann mit Stoffen und Vorhängen die Akustik weiter modifiziert werden.
Eine Gebirgslandschaft für den perfekten Klang. Die unterschiedlich geformten und unterschiedlich großen Fräsungen reflektieren auftreffenden Schall nicht wie eine glatte Fläche, sondern streuen ihn in unterschiedliche Richtungen. Für Yasuhisa Toyota, der die Pläne für diese elbphilharmonischen Vertiefungen ausgetüftelt hat, die Voraussetzung für den idealen Klang.
KulturPort.De dokumementiert jährlich den Fortgang der Bauarbeiten der Elbphilharmonie:
Baustelle - Landmark - Elbphilharmonie (Beitrag vom 2. Juni 2014 mit Fotografien von Felix Borkenau)
Momentaufnahme Elbphilharmonie (Beitrag vom 24. April 2015 mit Fotografien von Michael Zapf)
Abbildungsnachweis: Alle Fotos Klaus Frahm
Header: Elbphilharmonie
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