„Was passiert, wenn sich Künstler mit Architektur beschäftigen?“ fragen die Kuratoren der Ausstellung „(un)möglich! Künstler als Architekten“ im Marta Herford und weiter: „Können sie innovativer und radikaler sein, wenn sie sich nicht um Bauvorschriften, Machbarkeit und Investorenwünsche kümmern müssen?“
Die Frage könnte sich stante pede erledigen, wer die Realität von Architektur, Bauwesen, Vorgaben von Finanziers und Vorschriften kennt: sie könnten es nicht! Nichtsdestotrotz ist die Frage eine höchst interessante, denn Künstler gehen die Baukultur ganz anders an, als Architekten, Statiker und Ingenieure, ob mit oder ohne Vorschriften. Viele Städte hatten in diesem Zusammenhang gemeinhin deshalb zwei und mehr Fakultäten für ein Architekturstudium im Angebot – in Hamburg beispielsweise an der Technischen Hochschule Harburg und an der Kunsthochschule am Lerchenfeld. Mittlerweile ist die Architektur vereint in der HafenCity Universität. Studenten beider Hochschulen bekamen eine gute Ausbildung und hatten die Chance im freien Wettbewerb eine gute Figur – oder präziser – ein gutes Gebäude zu machen.
An den Kunsthochschulen war jedoch das „Träumen von (un)möglichen Räumen, begehbaren Raumkonstruktionen und Zeichnungen utopischer Stadtentwürfe“ mehr als erwünscht, es war Obligation. Die Entrückung von Kunst und Architektur ist sowieso ein Phänomen der Moderne und die Trennung der beiden Bereiche unterlag der Industrialisierung des Bauwesens.
Das von Frank Gehry gebaute Museum Marta Herford ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Architekten ihre Bauten bisweilen wie Skulpturen dachten und denken. Architekten versuchten sich, ebenso wie ihre Künstlerkollegen von festgefahrenen Vorstellungen und Zwängen zu befreien, scheinbar physikalische Vorgaben auf den Kopf zu stellen und der Gravitation zu trotzen. Daher passt diese Ausstellung in ein Museum, bei dem Kunst und Architektur sich die Hand reichen und das sein 10-jähriges Jubiläum begeht, all zu gut.
Die Ausstellung bietet viele Ideen zum künstlerischen Umgang mit dem Thema an: vage, fragmentarische Visionen sind zu sehen, Abbildungen konkreter realisierter Bauten, Modelle von Unmöglichkeiten und Umsetzungen künstlerischer Ideen in wirkliche Bauform. Die Werke umspannen ein gutes Jahrhundert, Wenzel Hablik und El Lissitzky sind vertreten, wie Theo van Doesburg und der Schweizer Nachkriegsutopist Walter Jonas bis zu den Zeitgenossen. Ein Schwerpunkt liegt auf Werken nach 1980. Diese Bandbreite ist einerseits eine Reduktion und ein Ausschnitt der tatsächlichen Beschäftigung mit Innen- und Außenarchitektur, anderseits ist „(un)möglich! Künstler als Architekten“ schon grenzwertig viel, und der Besucher wird sich seine Schwerpunkte suchen müssen, wenn er keinen ganzen Tag Zeit hat, alles im Detail zu entdecken. Es lohnt sich genau hinzuschauen.
Schon vor dem Marta, vis-à-vis des Haupteingangs verspricht ein riesiges Bauschild von Michael Pohl ein „Neues Museum Herford“. Das dürfte für Irritation bei den Einwohnern von Herford sorgen und Verwunderung bei auswärtigen Besuchern. Zitat eines Ehepaars: „Die scheinen ja hier viel Geld zu haben, noch ein Museum zu bauen...“ Sehgewohnheiten trügen das Erkennen – denn erst auf den zweiten Blick stellen dann doch viele fest, es fehlen jedwede Angaben zum Bau und zur Ausführung. Das Schld ist schon Teil der Ausstellung.
Stephen Craig, Professor an der Architekturfakultät in Karlsruhe für Bildende Kunst baute für diese Ausstellung ein Sortiment von Kassenhäuschen „Pink Galaxy“. Er hat bereits konkrete Gebäude entworfen und fertiggestellt wie zwei Galeriebauten für die Städtische Galerie in Nordhorn, der ehemaligen Wirkungsstätte von Marta-Direktor Roland Nachtigäller.
Konkrete Bauten gibt es auch vom jung verstorbenen israelischen Künstler Absalon, zwar nicht in der Herforder Ausstellung, aber auf dem Grundstück seiner Eltern, in der Nähe von Tel Aviv. In Paris, wo der Künstler lebte, entwickelte er die sogenannten „Cellules“, minimalistische Wohnraumentwürfe für ein asketisches Leben, die er als Prototypen umsetze und weltweit aufstellen ließ. „Cell no.1, Paris“ aus dem Jahr 1991 ist in der Ausstellung zu sehen.
Seit 1985 baut Gregor Schneider an seinem „Haus u r“, das er fortwährend bearbeitet und umgestaltet. Während das Äußere des Hauses unverändert bleibt, wiederholt Schneider die Raumfolge im Inneren durch immer neue Räume. Für die Ausstellung im Marta verpflanzte er das „Total isolierte Gästezimmer“ nach Herford.
Die 1995 gegründete niederländische interdisziplinär arbeitende Künstlergemeinschaft des Atelier van Lieshout beschäftigt neben bildenden Künstlern auch Designer, Architekten und Schiffsbauer. Ihre meist aus Kunststoffen gefertigten Module zielen neben ästhetischen Wirkungen auch auf politische Verhältnisse ab. Das als Einladungsmotiv zur Ausstellung fungierende Foto zeigt eine „Utopische Hundehütte“ für Korea, wo die Tiere auf der Speisekarte stehen. Die utopischen Szenarien wie “AVL-Ville“ und „Slave City“ machten das Atelier weltweit bekannt. „The Farm“ ist als hängende gelbe Raumskulptur in der Ausstellung zu sehen sowie eine Reihe von dazugehörigen Aquarellen.
„Intrapolis“ nannte Walter Jonas seine Vision einer neuen humaneren Stadtform. Diese richtet sich gegen die traditionelle Art des Städtebaus und der damit einhergehenden Labyrinth-Bildung, Vermassung und unkalkulierbaren Wucherung. Reduziert wurde seine Idee auf den Begriff „Trichterstadt“. Schaut man auf die Bauweise der terrassenförmig, nach innen angeordneten Wohnungen so trennt Jonas das Außen für Verkehr, Lärm und Stadtgeräusche ab zum Innen. Dies ist ruhig, ermöglicht gute Licht- und Sichtverhältnisse und dient der Kommunikation der Anwohner. Tatsächlich wurde die Idee vor kurzem in Architektur umgesetzt: in Kopenhagen. Tietgen Studentenwohnheim (Tietgenkollegiet) basiert auf der von Jonas entwickelten Idee der Abgrenzung von Außen und Innen. Ein Hinweis ist in der Ausstellung nicht zu finden.
Der in Düsseldorf beheimatete Künstler Thomas Schütte ist mit Modellen von „One Man Houses, I-V“ aus dem Jahr 2003 und „Skulpturenhalle III“ von 2012 vertreten. Bemerkenswert ist jedoch ein musikuntermaltes Video, das den Bauverlauf des „Ferienhaus T“ in Tirol zeigt. Bemerkenswert deshalb, weil Schüttes Werke – Modelle – nichts weiter wollen als Modelle zu sein, und der Künstler plädierte nie für eine Verwirklichung in der Realität. Der glasumgebene Bungalow ist eine effiziente, begeh- und bewohnbare Skulptur. Waren in den Modellen zu diesem Gebäude die Außenflächen aus farbigem Glas, ist der umgesetzte Bau mit farbigen Vorhängen hinter Normalglas versehen worden. Brisanterweise basiert die Architektur auf einer Serie von Modellen, die Schütte „Ferienhäuser für Terroristen“ betitelte.
Diese unvollständige Auflistung von nur wenigen Ausstellungsexponaten und künstlerischen Herangehensweisen zeigt, dass es keine Homogenität im Thema gibt. Das Spektrum ist wesentlich weiter zu fassen und der Ausstellungsbesuch macht neugierig auf mehr.
(un)möglich! Künstler als Architekten
Die Ausstellung ist noch bis 31. Mai 2015 zu sehen imMarta Herford (Gehry-Galerien), Goebenstraße 2–10, in 32052 Herford
Öffnungszeiten: Di-So und an Feiertagen 11-18 Uhr, jeden 1. Mittwoch im Monat 11-21 Uhr.
Weitere Informationen: www.marta-herford.de
Künstler: Absalon, Vito Acconci, Atelier van Lieshout, Caroline Bayer, Thomas Bayrle, Pedro Cabrita Reis, Dai Goang Chen, Anja Ciupka, Constant, Stephen Craig, Jan De Cock, Theo van Doesburg, Herman Finsterlin, Isa Genzken, Dionisio González, Dan Graham, Beate Gütschow, Wenzel Hablik, Erwin Heerich, Walter Jonas, Anish Kapoor, Tamás Kaszás, Tadashi Kawamata, Bodys Isek Kingelez, El Lissitzky, Isa
Melsheimer, Heike Mutter / Ulrich Genth, Michael Pohl, Claus Richter, Christine Rusche, Gregor Schneider, Thomas Schütte, Charles Simonds, Monika Sosnowska,
Georges Vantongerloo, Johannes Wohnseifer
Abbildungsnachweis:
Header: Dionisio Gonzales "Nova Heliopolis III", 2007 (Courtesy by taubert contemporary, Berlin)
Galerie:
01. Einladungskartenmotiv
02. Michael Pohl: Neues Museum Herford, 2015 © VG-Bild-Kunst, Bonn 2015
Foto: Hans Schröder, Marta Herford
03. Blick in die Ausstellung „(un)möglich! Künstler als Architekten“, mit Werken von Johannes Wohnseifer (Inflatable White Cube, 2005), Stephen Craig (Pink Galaxy, 2015) und Christine Rusche (ABERRATION, Raum-Zeichnung, 2015), v.l.n.r. © Marta Herford, Foto: Hans Schröder
04. Blick in die Ausstellung „(un)möglich! Künstler als Architekten“ mit Werken von Absalon (Cell No.1 Paris, 1991) und Walter Jonas (Intrapolis Stadtstruktur, 1963 und Modell Intrapolis, 1960-65) © Marta Herford, Foto: Hans Schröder
5. Atelier Van Lieshout Dynamo, 2010 © Atelier Van Lieshout
6. Blick in die Ausstellung „(un)möglich! Künstler als Architekten“. Atelier van Lieshout (The Farm, 2011 und Aquarelle). © Marta Herford, Foto: Hans Schröder
7. Walter Jonas, Modell Intrapolis, 1960–65, DAM Frankfurt. © Stiftung Walter und R. M. Jonas
8. Blick in die Ausstellung „(un)möglich! Künstler als Architekten“, mit Werken von Thomas Schütte (One Man Houses, I-V, 2003 und Skulpturenhalle III, 2012 © VG-Bild-Kunst, Bonn 2015) und Tadashi Kawamata (Tree Hut in Pompidou Nr. 28, 2010). Foto: Hans Schröder, Marta Herford
9. Wenzel Hablik, Ausstellungsgebäude, 1919, Wenzel Hablik Museum, Itzehoe © Wenzel-Hablik-Stiftung, Itzehoe
10. Blick in die Ausstellung „(un)möglich! Künstler als Architekten“, im Vordergrund: Modelle von Bodys Isek Kingelez (Bodystand, 1997 und Papillon de mer, 1990/91), im Hintergrund: Dionisio Gonzalez (Nova Heliopolis III, 2007 und Halong VII, 2009), v.l.n.r. © Marta Herford, Foto: Hans Schröder.
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