Von der Dramaturgie des Jazz bis zur heiteren Unverbindlichkeit von multiplen ethnischen Merkmalen inspirierter Popmusik.
Die Stimme wird zum Instrument, alle Instrumente werden zu Stimmen. Imaginärer Future Folk, der sich über alle gedachten und realen Grenzen hinwegsetzt und einen Zustand idealer Musik vorwegnimmt.
Die schweizerische Band Katom ist der größte anzunehmende Glücksfall. Hier treffen sich fünf junge Musikerpersönlichkeiten mit völlig unterschiedlichen Backgrounds, die zusammenpassen wie die Teile eines Puzzles, um in der Gemeinschaft ein vollkommenes Ganzes zu ergeben. Aus der Komplexität ihrer individuellen Ansprüche ergibt sich die unbeschreibliche Leichtigkeit ihres gemeinsamen Tuns, die in jedem einzelnen Song ihres Debütalbums Katom hart erarbeitet ist und doch beim Hören den Prozess des Entstehens komplett vergessen lässt.
Allein die Besetzung der fünf Musikerinnen und Musiker, die sich bei ihrem Studium am Jazz-Campus in Basel kennenlernten, verrät die Vielfalt der Stilistiken, Traditionen und musikalischen Sozialisationen, die in Katom zusammenfließen. Trompeter James McClure kommt aus Südafrika, Sängerin und Synthesizerspielerin Francesca Gaza ist Deutsch-Italienerin, Gitarrist Martín Theurillat stammt aus Chile, Bassist Nadav Erlich aus Israel und der für Schlagzeug und Electronics verantwortliche Jordi Pallarés aus Spanien. Sie alle bringen mit, womit sie aufgewachsen sind, was sie nicht nur musikalisch sondern auch menschlich umtreibt. Allein aufgrund dieser Tatsache wirkt die Musik von Katom wie eine gelebte Utopie, die einen gesellschaftlichen Zustand vorwegnimmt, von dem wir uns aktuell global eher immer weiter zu entfernen scheinen. Dieser gemeinsame Sound, der so angenehm herausfordernd zu hören ist, fällt ihnen keineswegs in den kollektiven Schoß. Er ist das Ergebnis langer, intensiver Auseinandersetzungen. Doch – auch in dieser Hinsicht ist Katom der Gesellschaft um Lichtjahre voraus – Diskurs ist immer dann gut, wenn er nicht um des Diskurses willen erfolgt, sondern wie hier auf ein einmütiges Ergebnis hinausläuft.
„Zu dieser Heiterkeit in unserer Musik kommt es nicht obwohl, sondern gerade weil sich in uns so viele unterschiedliche künstlerische Einflüsse verbinden“, betont Francesca Gaza. „Es macht einfach wahnsinnig viel Spaß, mit diesen Quellen herumzuexperimentieren. Wir alle sind am Kompositionsprozess beteiligt, aber wir spüren, dass jeder die Stücke speziell für die anderen Mitglieder der Gruppe schreibt. So entstehen Freiräume, in denen wir auch improvisieren können. Obwohl die Musik manchmal etwas schwierig zu lernen ist, wird es deshalb für uns ganz leicht.“ Aus dem gegenseitigen Vertrauen heraus gelingt es Katom, ein musikalisches Bild zu entwerfen, bei dem eben nichts angelernt klingt. Komposition und Improvisation fließen wie Aquarellfarben ineinander, als würde es diese Kategorien gar nicht geben. Am Ende zählt immer, was man hört. Katom stellen alle Sensoren auf Empfang und können sich darauf verlassen, dass genug musikalisches Material bei ihnen anlangt, das sie nur noch mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln umzusetzen brauchen.
Eine ganz wesentliche Komponente, die wie ein verbindender Kitt zwischen allen Beteiligten wirkt, ist der Sound. Mit der Klangästhetik eines Kammerensembles füllen sie ein weites Spektrum an Möglichkeiten aus, das von der Dramaturgie des Jazz bis zur heiteren Unverbindlichkeit von multiplen ethnischen Merkmalen inspirierter Popmusik reicht. „Alle fünf von uns sind extreme Fanatiker von Sound und Soundgestaltung“, bestätigt Francesca Gaza. „Das trifft sowohl individuell als auch auf den gesamten Kontext zu. Der Gitarrist arbeitet zum Beispiel mit wenigen Sounds, die er aber präzise ausarbeitet. Für mich besteht die Faszination unseres Sounds darin, dass die Trompete und meine Stimme sich zu einem einzigen Instrument verbinden. Ich fühle mich nur ganz selten solistisch als Sängerin, sondern wir kultivieren eine Art Trompetengesang. Von derartigen Klangideen gibt es bei uns viele.“
Die Stimme wird zum Instrument, alle Instrumente werden zu Stimmen. Worte und Silben lösen sich in Klänge auf, während die Klänge von Trompete, Gitarre oder Bass sich zuweilen zu Wörtern oder verbalen Aussagen zu verdichten scheinen. Zuhören ist in diesem Prozess mindestens ebenso wichtig wie sich selbst zu artikulieren. Das mag zwar selbstverständlich klingen, ist es aber bei weitem nicht. Auf diese Weise erlangt Katom eine beeindruckende Balance zwischen feinsten Nuancen im individuellen Spiel auf der einen und der nahezu vollendeten Form des großen Ganzen auf der anderen Seite. Dabei geht es der Band um nichts weniger als Perfektion. Sie halten alle Fenster und Türen geöffnet, nicht nur um sich weiterhin für Einflüsse freizuhalten, sondern auch um ihren Hörerinnen und Hörern mit jedem Ton, jedem Takt, jeder Harmonie und Melodie eine Einladung auszusprechen.
So kleinteilig die Lieder von Katom auch sind, so vertanzt sind sie zugleich. Das soll nicht heißen, dass die Songs Tänze wären, doch die Musik tanzt in sich selbst und weckt nicht zuletzt aufgrund der mannigfachen Hintergründe der fünf Protagonisten Erinnerungen an Tänze auf der ganzen Welt. Ebenso ist es mit der Folklore. Das folkloristische Moment kommt in keinem einzigen Lied zu kurz, und doch setzt es sich zu einem imaginären Future Folk zusammen, der sich über alle gedachten und realen Grenzen hinwegsetzt und einen Zustand idealer Musik vorwegnimmt.
Die Musik von Katom ist zu viel auf einmal, um sie ihr mit simplen Beschreibungen, Klischees oder kategorischen Einordnungen gerecht zu werden. In jedem Ohr formt sie sich zu etwas Anderem, was der Reichhaltigkeit ihrer Einflüsse und Bestandteile, aber auch der Kühnheit in der Umsetzung zu verdanken ist. Sie ist introspektiv und doch euphorisch, komplett und doch auf sehr inspirierende Weise unvollkommen, so dass es beim Hören immer leichtfällt, sich mit der eigenen Intuition als sechstes Bandmitglied in diese Musik hineinzufinden. Katom ist nicht weniger als die in die Gegenwart versetzte Zukunft.
Katom: Katom
Nadav Erlich: Bass | Francesca Gaza: Gesang | James McClure: Trompete | Martín Theurillat: Gitarre | Jordi Pallarés: Schlagzeug, Electronics
Label: Hout Records / Vertrieb: The Orchard / Radicalis Music
EAN: 197188299897
Weitere Informationen (Bandcamp)
VÖ: 23.06.2023
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment