Mit dem generischen Maskulinum beschäftigt sich ein Buch des renommierten Linguisten Eckhard Meineke. Mit großer Kompetenz argumentiert er gegen die feministische Linguistik und gegen die Umsetzung ihrer Dogmen durch den Journalismus.
Warum ärgert mich das Gendern so sehr? Weil ich nicht vergessen kann, ein Mann zu sein und deshalb von vornherein Partei bin? Weil es mich nicht freut, dass ich jetzt mehr und mehr auf das Privileg verzichten muss, direkt angesprochen zu werden?
Denn das generische Maskulinum wird nicht allein faktisch abgeschafft, sondern zunehmend durch das generische Femininum ersetzt – nämlich immer dann, wenn der ohnehin irreguläre Genderstern nicht mehr als Lücke mitgesprochen, sondern einfach übergangen wird. Geht es mir also jetzt so wie früher den Frauen, die ja immer nur „mitgemeint“ waren?
Mit diesen und anderen Vorurteilen setzt sich die Studie Eckhard Meinekes auf hohem wissenschaftlichem Niveau auseinander – mit verheerenden Ergebnissen für die feministische Linguistik. Ihren Vertretern wirft der Autor vor, „mit fragwürdigen sprachpsychologischen Tests, objektiv feststellbaren semantischen und sprachgeschichtlichen Falschbehauptungen und lexikographischen Manipulationen“ zu arbeiten.
Tatsächlich demontiert er auf knapp über dreihundert Seiten das ganze Gebäude der feministischen Linguistik und verwandelt es in einen Trümmerhaufen. Häufig formuliert er (muss er so formulieren…): „Der Versuch, die referierten Ausführungen zu verifizieren, führt zu deren Falsifizierung.“ Es ist mehr als Sarkasmus, nämlich schon Ausdruck von Verachtung, wenn der eigentlich sehr zurückhaltende und höfliche Autor über Stellungsnahmen der feministischen Linguistik spricht – er nennt sie „Predigten und Morgenandachten unserer Tage“.
Bereits das 34 Seiten umfassende Literaturverzeichnis deutet an, dass wir es mit einem mit allen Wassern gewaschenen Sprachwissenschaftler zu tun haben, der Forschung und Sprachgeschichte nicht allein der vergangenen Jahrzehnte genauestens kennt und die von ihm beanstandeten Falschbehauptungen allesamt nicht nur ansprechen, sondern auch widerlegen kann. Nur ein Beispiel! Während die feministische Linguistik für das generische Maskulinum dessen relative Jugend behauptet, zeigt er, dass es sich bereits in althochdeutschen Texten von vor 1200 Jahren findet, auch in der Zwischenzeit existierte und so auf jeden Fall keine junge „Gebrauchsgewohnheit“ darstellt.
Insbesondere die beiden ersten großen Kapitel (die ersten 115 Seiten) sind nicht leicht zu lesen, denn Meineke richtet sich nicht wie der ähnlich argumentierende, von ihm häufig zitierte Fabian Payr an ein breites Publikum, sondern mit einem anspruchsvollen Fachvokabular an seine Kollegen. Denen braucht er nicht zu erklären, was ein „Epikoinon“ ist. Mir aber schon; und den meisten Lesern dieser Besprechung wohl auch. Ein Epikoinon ist ein Wort, das unabhängig von seinem grammatischen Geschlecht – dem Genus – für Lebewesen aller natürlichen Geschlechter gilt. Der Adler oder das Pferd können ein männliches wie ein weibliches Tier sein, und für die Schlange gilt dasselbe. Oder für den Menschen: Als Payr sein (ebenfalls sehr empfehlenswertes!) Buch „Von Menschen und Mensch*innen“ nannte, spielte er mit der Neutralität dieses Wortes und zeigte damit die Verwandtschaft mit dem generischen Maskulinum auf.
In unserem Alltag verwechseln wir eigentlich nie das grammatische mit dem natürlichen Geschlecht; wer – das ist ein Beispiel Meinekes – von den Einwohnern Berlins hört, wird sicherlich nicht denken, dass es sich allein um Männer handelt. Deshalb ist es völlig überflüssig und dazu ausgesprochen lästig, wenn Journalisten wie Politiker ganz automatisch von „Einwohnerinnen und Einwohnern“ sprechen. Mit Recht sieht Meineke hier einen Verstoß gegen ökonomische Prinzipien, denn es wird immer zu viel gesagt, sogar wesentlich mehr, als zur Verdeutlichung eigentlich notwendig sein sollte. Splitting ist überflüssig, langweilig und nicht selten geradezu nervtötend. Und warum das alles? Meineke verweist darauf, dass wir nur „eine minimale gedankliche Abstraktion vorzunehmen“ haben, wenn wir das generische Maskulinum verstehen wollen. Ist das wirklich zu viel verlangt?
In dem umfangreichen zweiten Kapitel behandelt er das geschlechtsneutrale Maskulinum, also eine grammatische Form, die gleichermaßen für Männer wie Frauen verwandt wird. Das Genus sagt uns, wie ein Wort flektiert werden soll, mehr nicht. Entgegen den Ansichten aller Vertreterinnen und Vertretern des Genderns funktioniert es, weil das grammatische Geschlecht wie beim Epikoinon eben nicht das natürliche Geschlecht meint und Hörer wie Sprecher des Deutschen das jederzeit auch wissen. Aber Luise Pusch bezweifelt diese Selbstverständlichkeit. Dass Genus und Sexus nicht identisch seien, sei ein „hanebüchener Unsinn“, schreibt sie in „Das Deutsche als Männersprache“. Diese Ansicht ist derart absurd, dass sie keine Widerlegung verdient.
Es ist wahr, dass immer wieder Frauen sprachlich diskriminiert werden, und es ist nur zu begrüßen, wenn sensible Beobachter (ich zum Beispiel…) darauf aufmerksam machen. Aber trotz aller Aufregung über dieses Thema konnte es geschehen, dass in einer Apotheke, in der ausschließlich Frauen arbeiten und die noch dazu von einer Frau geleitet wird, auf dem Computerbildschirm am Tresen ein kurzer Schriftzug erscheint, der den Kunden darüber informiert, wie die Dame heißt, die sein Rezept entgegengenommen hat: „Bediener Frau Sowieso“.
„Bediener“ hätte ich sogar bei einem Mann schlimm gefunden, aber bei einer Dame? In dieser Apotheke gibt es immer eine Schlange, so dass ich Bedenken trug, meinen Unwillen – man denke: den Unwillen eines weißen alten Mannes… – vorzutragen. Ich wollte den Betrieb nicht aufhalten, aber eines Tages fand ich mich allein mit mehreren „Bedienern“ und machte die ahnungslosen Damen auf den Schriftzug aufmerksam, den sie selbst ja gar nicht sehen konnten. Meinen Vorschlag, den „Bediener“ durch ein geschlechtsneutrales „Sie sprechen mit“ zu ersetzen, fanden sie gut, haben ihn aber bis heute nicht umgesetzt. Sollten sich die Damen tatsächlich nicht diskriminiert gefühlt haben? Kam es ihnen weniger auf Vokabeln an als auf ihre tatsächliche Stellung am Arbeitsplatz? So würde es Meineke verstehen, der nicht daran glaubt, dass die Sprache die Wirklichkeit bestimmt. „Eine gegenderte deutsche Sprache“, schreibt er, „ändert an der gesellschaftlichen und sozialen Wirklichkeit nichts. Sie ist Ausdruck von konstruktivistischem Sprachaberglauben, Fassade in einem potemkinschen Dorf und Beschäftigungstherapie für Leute, die das Gefühl haben, […] auf der Seite gesellschaftlichen Fortschritts zu stehen.“
Er mag nicht glauben, dass die Manipulation unserer Muttersprache die Situation der Frauen in irgendeiner Weise zum Positiven verändern könnte, und kann ja auch zeigen, dass in vielen Ländern, in denen das Gendern auf strikte Ablehnung trifft, den Frauen eine bessere Rolle als bei uns zugesprochen wird. In den dem Deutschen nahe verwandten europäischen Sprachen (Englisch, Niederländisch oder den skandinavischen Sprachen) wird „Gendern gerade als Diskriminierung oder wie im Isländischen als lächerlich aufgefasst“. In Schweden zum Beispiel lehnen es Lehrerinnen ab, als „lärarinna“ angesprochen zu werden – sie wollen „lärare“ sein, so wie die Männer. Ihr Geschlecht soll eben nicht kenntlich gemacht werden.
Im Anschluss an die ersten beiden, rein linguistischen Kapitel kommt Meineke auf „Aspekte der Sprachpolitik“, die „Ursprünge der feministischen Linguistik“ und verwandte Themen zu sprechen. Das umfangreiche Literaturverzeichnis deutet an, mit welcher Akribie und Sachkenntnis der Autor hier wie auch sonst argumentiert. Es gelingt ihm vollkommen, die feministische Linguistik als Ideologie zu entlarven, auch, indem er auf ihre ersten Ursprünge zurückgeht. Nur zwei historische Schmankerl! Zunächst: Wer hätte gedacht, dass die fehlerhafte Sexualisierung der Grammatik, also die Verwechslung des grammatischen mit dem natürlichen Geschlecht, auf Jacob Grimm zurückgeht? Schon lange vor dem Feminismus war sie ganz und gar widerlegt. (235) Oder: Wenn ich das leider üblich gewordene Wort „Kulturschaffende“ höre, denke ich immer an die Aktuelle Kamera, die Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens. Was ich nicht wusste, ist, dass bereits die Nationalsozialisten dieses Wort benutzten und dass es schon immer umstritten gewesen ist. Heute aber findet sich fortschrittlich, wer genderneutral, aber im Nazijargon von „Kulturschaffenden“ spricht.
Stehe dagegen ich auf der Seite von Heino oder Mario Barth, die, assistiert von der politischen Rechten, das Gendern ablehnen? Sind es nur wirklich nur solche Leute, die sich gegen das Gendern wehren, oder gibt es auch andere, seriöse? Nun, mit Meineke haben wir einen seriösen Gegner kennengelernt, eine ganze Reihe von fachkundigen Linguisten unterstützt ihn, und sonst: Es gibt ausreichend wichtige Autoren, die das Gendern entschieden ablehnen. Und diese befinden sich in Übereinstimmung mit der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung – für Meineke ist das durchaus ein Argument. Von mir selbst kann ich sagen, dass das Gendern im alltäglichen Gespräch überhaupt keine Rolle spielt. Es kommt nicht vor. Keine einzige Frau aus meinem Umkreis gendert.
Sprache wandelt sich immer, und Ältere müssen sich an Veränderungen gewöhnen. Aber: Handelt es sich bei den Vorgängen der letzten Jahre wirklich um Sprachwandel? Meineke will das nicht glauben, sondern für ihn sind die Veränderungen im Zuge der gegenderten Sprache „absichtlich vorgenommene Manipulationen“, die keinesfalls deshalb aufgetreten seien, „weil sie ökonomischer, natürlicher sind“. Vielmehr handle es sich um einen „gesteuerten Sprachwandel, medial mit methodisch zweifelhaften bis nicht verifizierbaren Argumenten popularisiert“. „Medial popularisiert“ meint: Es geht vom Journalismus aus, vom Deutschlandfunk und dem öffentlichen Fernsehen zum Beispiel, bei dem die Redakteure auf alle möglichen Spielarten des Genderns zurückgreifen. (Zurückgreifen müssen?) Dieser Prozess wird noch dazu von etlichen Zeitungen unterstützt, vor allem – und von Anfang an – von der taz.
Sprachwandel geht anders, nämlich von unten nach oben. Er vollzieht sich auf der Straße oder im häuslichen Gespräch, denn dort werden neue Sprechgewohnheiten eingeübt und alte abgeschliffen. Schriftdeutsch dagegen ist konservativ, und es bewahrt Regeln und behält noch lange Gewohnheiten bei, die wir in der mündlichen Rede schon lange abgelegt haben. Beim Gendern also ist es umgekehrt: Es setzt oben an, die Sprachgemeinschaft wird von einer Minderheit, die gerne eine Elite sein möchte, belehrt und umorientiert.
Hier ist ein wichtiger Akteur der Duden-Verlag, der ja immerhin ein nicht ganz unwichtiges Nachschlagewerk herausgibt, leider aber auch etliche Bücher, in denen das Gendern beworben oder uns „Dummies“ erläutert wird. Anatol Stefanowitsch, neben Luise Pusch der zweite Guru der feministischen Linguistik, erläutert dort, warum Gendern „Eine Frage der Moral“ ist. Von solchen Schriften wie auch von den Wörterbüchern des Verlages rät Meineke direkt ab: „In diesem Zusammenhang kann der ‚Duden‘ nicht länger als eine wissenschaftlich basierte, quasi-offizielle und vertrauenswürdige Instanz objektiver Sprachbeschreibung angesehen werden.“ Recht hat er.
Weil soeben der Buchtitel Stefanowitschs angesprochen wurde: Nur eine kurze Bemerkung über Moral und Gerechtigkeit! Wie sollte, wie könnte Sprache gerecht sein? Urteile sind gerecht oder ungerecht, wenn sie etwas bewerten, aber gewiss nicht Bezeichnungen oder Begriffe. Diese mögen sich um die Abbildung der Individualität eines Gegenstandes oder eines Menschen bemühen, aber niemals wird ein Wort an die Individualität des Realen heranreichen und ihr damit gerecht werden. Das Wort wird immer verallgemeinern, und es muss das auch tun – sonst könnten wir uns überhaupt nicht verständigen.
Foto: Gulfer Ergin
Im Berliner Abgeordnetenhaus hat ein Gegner des Genderns einer Abgeordneten die Frage gestellt, wie viele Geschlechter es gäbe, und diese fiel in ihrer Naivität auf ihn herein und wurde nicht müde, alle möglichen Geschlechtsformen (vor allem solche des „Dazwischen“) aufzuzählen. Dabei hätte ihr schon das selbstgewisse Feixen des Fragestellers sagen sollen, dass sie sich auf glattem Parkett bewegte und besser das Antworten ließe. Ihr Gegner erlaubte sich im Anschluss den Spaß, in seiner Begrüßung zweieinhalb Minuten lang alle möglichen Kleinstgruppen anzusprechen.
Die Lehre aus diesem Vorgang lautet einfach: Ohne Schubladen (man spricht auch von „Begriffen“) geht es nicht, wenn man überhaupt noch miteinander reden will. Eine Sprache, die der Individualität alles Realen gerecht würde, wäre viel zu umständlich, als dass man sie noch verstehen könnte, und sie würde nur noch von einem einzigen Menschen gesprochen, denn jeder andere wird notwendig die Realität anders erfahren und entsprechend anders benennen. Sprache kann niemals die Individualität und die Perspektivität des Sprechers widerspiegeln, sondern bestenfalls andeuten. Es ist deshalb von vornherein verfehlt, von der Sprache „Gerechtigkeit“ zu verlangen. Etwas bescheidener sollten wir Höflichkeit einfordern oder besser noch Taktgefühl.
Obwohl Eckhard Meineke von der ersten Seite an Position gegen das Gendern bezieht, ist sein Buch vollkommen frei von Polemik. Der Autor argumentiert immer und jederzeit streng sachlich. Nur an ein, zwei Stellen deutet er an, dass er mit der aggressiven Tonlage vieler Vertreter des Genderns seine Probleme hat, lässt sich aber niemals auf dieses Niveau ein.
Für den Rezensenten hingegen ist es ein Bedürfnis, das Gendern eine Albernheit und seine explosionsartige Verbreitung während der letzten Jahre eine Massenhysterie zu nennen. Leider ist nicht zu sehen, wie diese in der nächsten Zeit zu stoppen wäre. Denn auch ein sehr lesenswertes Buch wird, obwohl es mittlerweile bereits in zweiter Auflage auf dem Markt ist, nichts ändern.
Eckhard Meineke: Studien zum genderneutralen Maskulinum
Universitätsverlag Winter Heidelberg 2023
358 Seiten
Gebunden, eBook
ISBN 978-3825395056
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