Gefeiert, vergessen, wiederentdeckt
Aphra Behn (1640-1689) ist die erste Schriftstellerin Englands, die vom Schreiben leben konnte. Sie gilt als Erfinderin des realistischen Romans. Ihre Werke waren erfolgreich, einflussreich und radikal zukunftsweisend. Ihre Themen reichten von Gender bis Zivilisationskritik. Das Schöne und Gute daran ist: Ihre Texte sind auch heute noch lesenswert. Deshalb entsteht derzeit in England eine neue Gesamtausgabe ihrer Werke, die „Cambridge Edition oft he Works of Aphra Behn“.
Und deshalb können wir aktuell eine neue zweibändige Ausgabe mit ausgewählten Werken der Autorin auf Deutsch lesen. „Ich lehne es ab, meine Zunge im Zaum zu halten“ ist der Titel des ersten Bandes mit Romanen und Erzählungen der englischen Schriftstellerin Aphra Behn, soeben erschienen im AvivA Verlag. Der zweite Band „Fliegen sollst du“ enthält Dramen und Gedichte der Autorin.
Manche Geschichten lesen sich wie ein Märchen, andere wie eine wahre Geschichte. Manch eine ihrer Komödien könnte gut und gerne auch in Deutschland wieder auf die Bühne gebracht werden. Ihre Gedichte sind zeitlos. Diese sind in Band 2 zwar nur auf Deutsch abgedruckt, können aber auch im englischen Original gelesen werden: Der Verlag stellt die Originalgedichte zum Download kostenfrei zur Verfügung. Dass Aphra Behn eine Shakespiere-Verehrerin war, wird hier besonders deutlich. In der vorliegenden zweibändigen deutschen Werkauswahl sind neben dem autofiktionalen Roman „Oronooko“ Neu- und Erstübersetzungen aufgenommen worden.
Auf das spannende Leben der Schriftstellerin und auf die allgemeinen (Kultur)-Verhältnisse der damaligen Zeit geht Tobias Schwartz in seinem Vorwort ein. Das ist für die Rezeption der beiden Aphra Behn-Bände von großer Bedeutung. So erfahren wir beispielsweise, Aphra Behns Sklavenroman „Oroonoko“ gilt längst als Klassiker der Frühen Neuzeit, der die Ära des realistischen Romans in der englischen Literatur einläutete. Es ist der erste Roman in der europäischen Literaturtradition, der eine Person of Color als Protagonisten hat. Für die große Relevanz dieser Schriftstellerin nach mehr als 300 Jahren spricht auch: Behns frivole und intrigenreiche Komödien erleben derzeit in England eine Renaissance, die vor rund fünfzig Jahren begann.
Eines ihrer Markenzeichen ist die (scheinbare) Erinnerung an geschilderte Erlebnisse. „Ich will nicht so tun, als wollte ich Sie, werte Leserin, werter Leser, mit den Abenteuern eines erfundenen Helden unterhalten“, so beginnt der erste Satz ihres Oroonoko-Romans. Und in „Die schöne Scheinheilige“ heißt es: […] jede einzelne Begebenheit, die ich schildern werde, entspricht noch im letzten Detail der Wahrheit.“ Detailfreude ist ein weiteres Markenzeichen der Autorin, auch in ihren Gedichten. Hier ist der Schauplatz meist eine idealisierte Landschaft, bevölkert von Hirten und schönen Nymphen. Behn spielt in den Gedichten in der Ich-Person mit den Geschlechtern und weist damit auf Problematiken hin, die sich damals wie heute aus solchen Zuschreibungen ergeben. Hinzu kommt, dass ihre eigene Rolle als Berufsschriftstellerin, die vor 300 Jahren geltenden Rollenverständnisse und Muster auf den Kopf stellte. Im Epilog zu „Sir Patient Fancy“, der in Band 1 unter den Gedichten platziert ist, bringt sie – was die Person einer Schriftstellerin betrifft – die Sache auf den Punkt: „Warum sollt` eine Frau nicht schreiben wie ein Mann?“ Mit dieser zur damaligen Zeit geradezu ketzerischen Frage wehrte sich Aphra Behn einmal mehr gegen die gültigen Rollenzuschreibungen.
Das ist sicher einer der Gründe, warum Virginia Woolf sie 1929 in ihrem Essay „Ein Zimmer für sich allein“ zur Ikone des Feminismus machte: „Alle Frauen zusammen sollten Blumen auf das Grab von Aphra Behn regnen lassen […], denn sie war es, die ihnen das Recht erwarb, ihre eigene Meinung zu äußern.“ So ist es kein Wunder: Behns Heldinnen und Helden sind Menschen, die sich keinerlei Zwängen und Konventionen fügen wollen. Das gilt natürlich auch für die Autorin selbst, die als Tochter einer Amme und eines Wundarztes namens Johnson in Wye (Kent) geboren wurde, in ihrer Jugendzeit in der englischen Kolonie Surinam lebte und dort schon früh mit den Schattenseiten des Kolonialismus und den Abgründen der Sklaverei konfrontiert wurde. Sie heiratete einen Kaufmann, der bald nach der Hochzeit starb und dessen Namen sie fortan trug.
Nach (unbezahlter) Spionagetätigkeit in den Niederlanden kehrte sie als Witwe vollkommen mittelos nach London zurück und landete wegen ihrer Schulden im Gefängnis. Eine erneute Heirat und damit finanzielle Absicherung kam für sie nicht in Frage: Aphra Behn betrachtete die Ehe als eine Form der Unterdrückung. Sie pflegte lieber Beziehungen mit Frauen und Männern. Und sie verdiente lieber ihr eigenes Geld: Als sie aus dem Gefängnis entlassen war, begann sie ihren Lebensunterhalt als Bühnenautorin zu verdienen. Ihr Name wurde bald zu einem der wichtigsten im englischen Theaterbetrieb. Einem erfolgreichen Debüt (The Forced Marriage /Die erzwungene Heirat) folgten rund zwanzig weitere Stücke, meist Komödien. Auch in ihren Theaterstücken weist sie eine Normierung von Geschlechterzugehörigkeit und entsprechende Verhaltensweisen zurück; sie schafft somit die Möglichkeit einer anderen, neuen Definition.
The Rover, ihr populärstes Stück, wurde zwischen 1703 und 1750 fast jedes Jahr aufgeführt. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts blieben ihre Werke beliebt. Dann verschwanden sie von den Bühnen. Vor allem wohl deshalb, weil Behns scharfe Analysen von sexueller Doppelmoral und den sogenannten guten Sitten dem Publikum überhaupt nicht gefielen: Sie waren ihnen zu freizügig. Zudem setzte man mehr und mehr ihr Werk und ihr Leben gleich. Die öffentliche Meinung befand, Stücke einer Frau, die derart selbstbestimmt lebte, arbeitete und liebte, sollten nicht mehr aufgeführt werden. Fakt ist, Aphra Behn war aufgrund ihres freien Denkens als Privatperson, aber auch als Schriftstellerin nicht unumstritten. Es gab seinerzeit Anschuldigungen des geistigen Diebstahls bis hin zu der Behauptung, sie habe ihre Werke nicht selbst verfasst.
Unterstellungen solcher Art stammten allerdings meist von Männern, die vermutlich neidisch auf ihren Erfolg waren. Den konnten sie ihr letztendlich nicht nehmen. Der Grabstein auf ihrem Grab im Kreuzgang von Westminster Abbey trägt die Inschrift „Here lies a Proof that Wit can never be Defence enough against Mortality” (Hier liegt ein Beweis dafür, dass selbst Geist und Witz nie genug Schutz gegen die Sterblichkeit bieten). Lange schien Aphra Behn - trotz des dank Virginia Woolf öffentlich gewordenen Interesses an dieser Schriftstellerin - in Vergessenheit geraten zu sein. Doch Ende der 1970er Jahre setzte in England eine Behn-Renaissance ein. Es könnte sein, dass diese nun auch in Deutschland beginnt.
Aphra Behn: Werke
Band 1: Ich lehne es ab, meine Zunge im Zaum zu halten. Romane und Erzählungen
Band 2: Fliegen sollst du. Dramen und Gedichte
Hg., aus dem Englischen übersetzt u. m. einem Vorwort v. Tobias Schwartz
AvivA Verlag 2021
Zwei Bände im Schuber, 620 Seiten,
Hardcover mit Leseband
ISBN: 978-3-949302-01-5
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