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Für viele Prominente, so liest man allerorten, ist es der größte Wunsch, unbeachtet durch die Straßen zu gehen.

Für den Rezensenten ist das kein Problem, aber der Lübecker St. Petri-Pastor kann sich das erst einmal abschminken, denn sein Debüt als Romancier gelang spektakulär – zunächst wurde er in einem großen Artikel schon vor dem Erscheinen seines Buches gefeiert, dann ward sein Leseabend in der hiesigen Presse ausführlich besprochen und noch dazu im Regionalfernsehen dokumentiert, und schließlich prangt sein Porträt nicht allein im Klappentext seines Erstlings, sondern wurde auch in der seiner Bedeutung angemessenen Größe (20 cm!!) im Lokalblatt verbreitet.

Jetzt weiß ganz Lübeck, wie der „elegante Pastor“ aussieht, der „Charismatiker“, der „mit angenehm sonorer Stimme“ so schön zu lesen versteht. Wie heißt es in dem Bericht über den Leseabend (und man könnte fast denken, dass die Autorin ein ganz klein wenig verliebt ist!)? „Beinahe wie ein Schauspieler formte Schwarze seine ausgefeilte Sprache, ließ die detailreichen Bilder, Charaktere und die feinfühlig beschriebene Atmosphäre des Romans lebendig werden.“ Nun, so ein Buch will gelesen, dieser Autor angebetet sein.

Wie steht der Herr, der mit „Fel“ zeichnet, zum Pastor? Hält er kritische Distanz? „Was Bernd Schwarze in seinem Roman-Erstling gelungen ist“, schreibt er, sei „erstaunlich: Eine gehörige Dosis schwarzer Humor, flott geschrieben und versetzt mit theologisch-philosophischen Einschüben, die Gelegenheit zum Nachdenken bieten.“ Nein, nein und nochmals nein: An dieser Einschätzung ist wirklich jedes Wort verkehrt. Das Buch ist ganz und gar humorlos, es ist nicht flott geschrieben, und wenn uns etwas zum Nachdenken bringt, dann sind es allein die Gründe, die irgendwelche Zeitungsmenschen dazu bringen, einen ganz offensichtlich misslungenen Unterhaltungsroman zum philosophischen Schmöker hochzujubeln.

 

Beginnen wir ganz naiv mit der Lektüre und schauen uns die Zeichnung der Figuren an. Besonders auffällig sind die Klischees: Die Bösen sind hässlich, und ihr „fauliger Atem“ stößt dem Helden der Geschichte ins Gesicht; oder sie haben eine grobe Stimme. Auf jeden Fall sind sie leicht zu erkennen. Gute Menschen dagegen sind schön, zeigen „zwei Reihen perfekter weißer Zähne“ und steigen mit einer „fast tänzerischen Bewegung“ aus ihrem Auto (das soll man mir erst einmal vormachen…). Mittlere Charaktere gibt es praktisch nicht, und der Wert aller Figuren steht von ihrem ersten Auftreten an fest. Der Vikar von Wagner zum Beispiel kann Pastor Theves nicht offen in die Augen schauen und hatte sich ohnehin, wie der Leser gleich am Anfang erfährt, schon bald „als Besserwisser erwiesen, der seinem Mentor selten den angemessenen Respekt entgegenbrachte.“ Damit wissen wir über den Charakter dieses Herrn Bescheid – und zwar endgültig.

 

Bernd Schwarze Mein Wille geschehe COVERBereits der Titel des Romans lässt sich als Hinweis auf den Beruf des Verfassers wie auf die Thematik des Buches deuten: „Mein Wille geschehe“. Allerdings wissen wir nicht so recht, wer denn das ist, dessen Wille geschehen soll, denn es wird doch nicht etwa Gott sein, der da zu seinen Kindern spricht? Ist es der Pastor, der in seiner Hybris den eigenen Willen mit jenem des Herrn verwechselt oder sich gar gegen ihn auflehnt? Wenn ich es nicht überlesen habe, findet sich nichts im Text dieses Romans, was uns den Titel zu erklären versucht. Also bastle ich mir eine eigene Erklärung zurecht: Gott, so sagt es der Titel, heißt das Verhalten des Pastors gut, auch wenn dieser in gewisser Weise gegen das Strafgesetzbuch verstoßen hat, wie ein überkorrekter Staatsanwalt vielleicht monieren würde. Schließlich hat er, der fiktive Pastor, doch einen Menschen getötet. Aber, so lesen wir und nicken einverstanden, das Opfer war ein „Fiesling“, ein „Widerling“, „der den Tod verdiente“. Unter diesen Umständen sollte man nicht kleinlich sein.

 

Im Interview mit der Lokalzeitung eine Woche vor der Publikation wird sehr stark das nachdenkliche Moment in den Vordergrund gestellt: „Manche Fundamentalisten“, erläutert der Autor, „glauben, sie dürften andere im Namen Gottes töten. Dass das nicht funktioniert, wird im Roman deutlich.“ Könnte man diesen Roman nicht eventuell etwas anders lesen: Es hat funktioniert? Denn was geschieht dem Pastor, wenn wir von einigen unruhigen Nächten absehen? Gewalt wird nicht in jedem Fall bestraft, selbst wenn sie fürchterlichste Folgen hat? (Hier sei auf den letzten Absatz dieser Besprechung verwiesen, in dem das Ende verraten wird.)

 

Der Autor ist Pastor der ehemaligen Lübecker Fischerkirche St. Petri, die sich als „Kulturkirche“ und gelegentliches Diskussionsforum ein Gnadenbrot verdient, der Held dieses Buches Pastor von St. Petri in Alsberg, einem Städtchen, das man in Niedersachsen vermuten darf. Der Fluss heißt nicht Trave, sondern Merve, und der so wenig charismatische Pastor trägt ein Beffchen, keinen Mühlstein, wie sich das in einer hanseatischen Gemeinde gehört. Auch ist die Kirche aus Sandstein, nicht aus lübschem Backstein. Endlich findet sich Fachwerk in der Stadt. Also sollte man die beiden Kirchen und Städte wie auch Autor und Held hübsch auseinanderhalten…

 

Pastor Benedikt Theves ist nicht sehr glücklich. Er ist es nicht in seinem Beruf, denn nur eine Handvoll meist sehr betagter Schäfchen verliert sich in den Gottesdiensten des so wenig charismatischen Predigers, und sein Vikar scharwenzelt um die leicht übergewichtige Superintendentin herum und versucht, gegen seinen Vorgesetzten zu intrigieren. Schon spricht sie ihn, den Vikar, vertraulich mit Vornamen an…

 

Und seine, Benedikts, Ehe? (Auch wir entscheiden uns für eine vertrauliche Anrede und nennen den fiktiven Pastor Benedikt, hierin dem Erzähler folgend, benutzen also seinen leicht katholisch angehauchten Vornamen, der ja ironischerweise auf rhetorische Fähigkeiten deutet, die ihm leider nicht zuzukommen scheinen.)

 

Also Benedikts Ehe. Nur ein einziges Mal – vor langer Zeit – mochte seine Frau einer Predigt Benedikts lauschen, lesen wir mit Missfallen, eine zweite Chance gab sie ihm nie, und so kühlte das Verhältnis spürbar ab. Die Liebe musste erkalten. Jetzt aber betrügen sie einander. Sie ihn mit seinem Bruder, er dagegen entbrennt in reiner Liebe zu der Gattin eines wiederholt als „Widerling“ apostrophierten Mannes. Bereits dessen Stimme, so lesen wir, „klang grob und kehlig“, und „der feiste Klaus Hambrück mit seiner grobschlächtigen Visage“ kann auch sonst weder beim Pastor noch beim Leser Sympathien hervorrufen. Soll er aber auch nicht, denn schließlich ist er als Opfer vorgesehen. Der Leser wird es also gutheißen, dass Theves ihm den Schädel einschlägt – und zwar, wie sich das bei einem Pastor gehört, mit einem eisernen Kruzifix. Aber so unsympathisch das Opfer auch ist und so verständlich die Reaktion des Pastors, die Tat macht Benedikt doch zu schaffen, was der Autor dem Leser in langen inneren Monologen vorführt. Wir fassen mit der freundlichen Hilfe eines großen Dichters zusammen:

Der Pastor denkt: „Dies will ich nun


Auch ganz gewiß nicht wieder tun.“

An dieser Stelle sei etwas zu der theologisch inspirierten Gliederung des Buches verraten: Es fängt am Sonntag Judika an, den wir Nicht-Theologen, wenn wir ihn überhaupt von anderen Sonntagen unterscheiden, den „Passionssonntag“ nennen – das ist ein Tag, an dem die Kruzifixe verhängt werden (auch bei den Protestanten? Ganz sicher bin ich mir da nicht…). Auf jeden Fall ein guter Tag, um jemandem mit einem Kruzifix den Schädel einzuschlagen:

„Und – Kracks! – es dringt der scharfe Schlag

Bis tief in das Gedankenfach.“

Also: Judika fängt es an, Ostern hört es auf. Für das Opfer natürlich umgekehrt…

 

So weit, so gut. Zuvor scheint es das Schicksal Benedikts gewesen zu sein, zu Unrecht beschuldigt zu werden. „Benedikt erinnerte sich, dass er in seiner Schulzeit einmal mit einem Tadel bestraft worden war, obwohl er nichts verbrochen hatte.“ (Von mir weiß ich übrigens Ähnliches zu berichten, denn so viele Tadel ich auch einheimste – ich hatte eigentlich niemals etwas verbrochen…) Und jetzt, da er von missgünstigen Menschen umgeben ist, jetzt hat Benedikt doch etwas verbrochen, soll aber davonkommen. Das wäre nur gerecht, denkt der Leser zufrieden und versteht plötzlich, warum dieses Buch von Amazon auf Platz 2 der Sondersparte „Ethik“ gelistet wird.

 

Vieles an diesem Roman ist ganz und gar unglaubwürdig – zum Beispiel beichtet der Pastor seine Mordtat einem gänzlich unbekannten Mann, einem Wandergesellen, von dessen Tod er tags darauf im Radio hört. Na, das passt ja. Übrigens ist die Beichte – Benedikt schlägt ihre Wiedereinführung vor – ein theologisches Hauptmotiv des Romans. Er selbst besucht eine Psychotherapeutin, um ihr zu beichten, und es überrascht uns nicht, dass sie “einfühlsam“ mit ihm spricht. Zweifellos ist in diesem „tiefsinnigen Kriminalroman“ (Klappentext) die Beichte eher eine psychologische denn eine moralische Angelegenheit, denn es geht vor allem darum, sich selbst von aller Schuld freizusprechen: „Aber glauben Sie mir“, prophezeit die Ärztin, „Es kommt der Tag, an dem Sie sich selbst vergeben.“ Auch dieser Sprüche wegen glaube ich, dass die Sache mit der Schuld in diesem Roman nicht so recht ernst genommen wird.

 

Der Clou dieses Romans scheint es nun zu sein, dass sich in Folge des Mordes eine gewisse Energie des Pastors bemächtigt: Plötzlich trägt er seinen Namen zu Recht und kommt sein Sermon bei der Gemeinde an, aber dieser Erfolg verdankt sich einer vielleicht trotz aller Berechtigung doch letztlich fragwürdigen Handlung: „Er hatte Böses getan, und sein Leben wendete sich dabei zum Guten.“ Als der Rezensent vorab von diesem Plot hörte, dachte er sogleich an „Die Elixiere des Teufels“ des einzigartigen E.T.A. Hoffmann – dort wird Bruder Medardus zum gefeierten Prediger, weil er an einem Fläschchen nippt, und natürlich geht es nicht gut aus –, aber während der Lektüre vergingen ihm, dem Rezensenten, alle Gedanken an E.T.A. Hoffmann schnell wieder.

 

Hoffmanns Roman ist ein Werk, das dieser wie gehetzt niederschrieb und das wir ähnlich atemlos durchlesen, eine Schilderung alptraumhafter Geschehnisse in der kraftvollen Sprache eines Genies, aber Schwarzes Buch ist nicht einmal ein „Thriller“, sondern ein oberflächlicher Unterhaltungsroman, dessen in kurzen Kapiteln erzählte Geschichte – das gibt viele weiße Seiten! – durch allerlei Seitenstränge erweitert wird. So lesen wir, wie Pastor Theves immer wieder seinen Freund und Gönner besucht, einen auf einem Hausboot idyllisch hausenden Altbischof, um moraltheologische Unterhaltungen zu führen; wir bewundern Benedikts Einfühlungsvermögen, mit dem er ein schweigendes Schulmädchen aus seiner Isolation herausholt; und wir leiden mit ihm, wenn ihn seine frostige Frau schneidet.

 

Eine besonders dankbare Sache für einen Rezensenten sind Stilblüten aller Art; auf die lauert er, um sich über einen Autor lustig zu machen. Tatsächlich aber bietet der Roman des Herrn Schwarze sehr wenig auf diesem Gebiet – vielleicht nur deshalb, weil er sich an poetischen Aufschwüngen aller Art gar nicht erst versucht. Schwarze erzählt in einem richtigen, dazu sehr alltäglichen und eigentlich ziemlich fahlen Deutsch seine sehr unglaubwürdige Geschichte von Benedikt, dem nicht sonderlich beliebten Pastor, der zum Mörder wird und in der Folge, von seiner Untat oder seinem schlechten Gewissen getrieben, sein Amt so viel besser ausübt als zuvor. Sogar die Konfirmanden loben ihn.

 

Der Rezensent liest ja sonst keine Kriminalromane, und vielleicht war „Mein Wille geschehe“ sogar der allererste „Thriller", nach dem er griff. Wahrscheinlich wird es auch der letzte gewesen sein. Denn so richtig wollte ihn die Spannung nicht packen. Und ohnehin steht er nicht in erster Linie auf Spannung, nicht einmal bei E.T.A. Hoffmann, dessen Werke er doch sehr liebt. Aber er hat sich sagen lassen, dass es sehr unfein ist, bei derartigen Werken das Ende zu verraten – und eben das hat er jetzt vor, der Albernheit dieses Endes wegen. Also bitte nicht weiterlesen, wenn Sie dieses Buch erwerben und durchstudieren wollen!

 

Der Roman hat ein Happyend, das sich gewaschen hat. (Achtung: Spoiler Alarm) Auf wenigen Seiten wird geschildert, wie es den bösen Menschen böse, den guten gut ergeht. Der Bruder, der die Frau verführte, wird bei einer Steuersache erwischt, so dass Silke, Benedikts kalte Gefährtin, unmöglich mit ihm glücklich werden kann. Das stumme Mädchen spricht wieder, weshalb die Eltern dem feinfühligen Pastor dankbar sind, und auch der Altbischof haust weiter auf seinem idyllischen Hausboot, stirbt allerdings im Epilog dann doch. Vor allem aber bekommt Benedikt seine Angebetete, die Ehefrau des Erschlagenen. Sie haucht ihm einen Kuss auf den Mund! Und es kommt noch besser! Der Mord war gar kein Mord! Der Tote nicht tot! Gut, durch den Schlag in das Gedankenfach in ein sabberndes Wesen verwandelt, aber weil wir ja um seinen schlechten Charakter wissen, können wir das aus moraltheologischer Sicht nur gutheißen.


Bernd Schwarze: Mein Wille geschehe

Kriminalroman.

Knaur

2021. 384 Seiten

ISBN 978-3426527528

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