Brian Mc Neill, geboren 1950 in Falkirk, Schottland, Schottlands Botschafter der Folkmusik, hat sich längst auch als Romanautor einen Namen gemacht.
Nun zeigt er, dass er auch großartige Kurzgeschichten erzählen kann. In „The Horseman’s Word“ beweist McNeill ein feines Gespür für die Eigenheiten verschiedener Klassen und Kulturen. Natürlich auch für die Spannungen, die daraus entstehen können. Sechs Erzählungen sind es, die ein ganzes Jahrhundert umspannen: 1913 (The Horseman`s Word) bis 2016 (Das letzte Gefecht).
Alle Geschichten beziehen sich auf Falkirk und seine Umgebung, auf die dort lebenden Menschen und deren Sprache. Es sind Geschichten, die in der Zeit der Adoleszenz angesiedelt sind. Bekanntlich ist dies eine besonders schwierige Zeit. So verwundert es nicht, wenn sich die Protagonisten in ihren Gefühlen verirren, ihre Umwelt verachten und nicht wissen, was zu tun ist, wenn die Liebe sie überfällt oder der Hass übermächtig wird.
Brian McNeill gilt schon lange als einer der kreativsten Erneuerer der traditionellen Musik seiner Heimat. 1989 war`s, als er seinen bisherigen Rollen als Sänger, Musiker, Komponist, Songschreiber, Musikproduzent, Dozent, musikalischer Direktor und Bandleader noch die des Romanautors hinzufügte. Seinen ersten Roman „The Busker“ schrieb er im Flugzeug auf dem schnellsten Weg von einem wichtigen Termin zum anderen. Eine andere Möglichkeit gab´s fürs Romanschreiben nicht, McNeills Terminkalender war prall gefüllt. Sein zweiter Roman „To Answer the Peacock“ erschien 1995 und hatte mit Herumtreiber und Straßenmusiker Alex Fraser denselben Protagonisten wie der erste Roman. 2006 folgte der erste Krimi des Autors mit „…in the Grass“ („Schlange im Busen“, Edition Narrenflug 2014), übersetzt von Gabriele Haefs.
Die vielfach ausgezeichnete literarische Übersetzerin Haefs kennt McNeill seit „urältesten Festivalzeiten“. Da war es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis sich eine literarische Zusammenarbeit ergab. Das war erstmals 2014 der Fall, als der Krimi „Schlange im Busen“ erschien. Jetzt hat Gabriele Haefs (erstmals gemeinsam) mit ihrem Neffen Julian Haefs Brian McNeill`s Geschichten ins Deutsche übertragen. Gleich die erste, titelgebende Geschichte „The Horseman`s Word – das Wort des Pflügers“ erfordert die ganze Aufmerksamkeit des Lesers, der auch persönlich angesprochen wird. „Ihr würdet die Stelle aber auch in der Dunkelheit erkennen“, heißt es gleich im zweiten Absatz dieser Geschichte, die vom Geruch des Bauernhofs erzählt, vom süßlichen Geruch des Komposthaufens, vom Regen, der den Wind getötet hat, von den Geräuschen, die durch die stille Luft aufgestiegen sind, vom Wiehern und Schnauben der angeschirrten und vorgespannten Pferde.
Erzählt wird aber auch von den Menschen, die an diesem so schön beschriebenen und doch auch unschönen Ort leben und lieben. Bei aller Schönheit der Sprache, in der diese Geschichte erzählt wird, ist es nicht ganz einfach, zum Kern der Geschichte vorzudringen und zu wissen, von welchem Protagonisten gerade jetzt die Rede ist. Wer ist in wen verliebt? Wer verschmäht wen und warum? Von wem ist das Baby, das im Bauch der Mutter schon zu spüren ist? Wer der Vater? Wer der künftige Ehemann? Also: von Anfang an aufgepasst, damit die versteckt auftauchenden Namen richtig zugeordnet werden können. Dann klappt`s auch mit dem Verständnis, dann liest sich diese Geschichte rasch und rauschhaft und ist einfach nur gut!
In „Bitte auffordern“ lernen wir gleich im ersten Satz Marly kennen. „Sie war die beste Tänzerin… Sie war nett, diese Marly – wenn mannse erstmal richtig kannte –, aber sie hätte öfter mal die Klappe halten können.“ So locker geht es weiter im Ton der 11jährigen Ich-Erzählerin Joan. Doch rasch werden Klassenunterschiede deutlich in dieser Geschichte, in der Freundschaft und Familie, Neid und Missgunst, Liebe und Hass, Schmerz, Ausgrenzung und der Wunsch nach Zugehörigkeit und Anerkennung wichtige Rollen spielen. Denn die Erzählerin hat einen Makel, der sie von allen anderen unterscheidet. Und das betrifft ausnahmsweise mal nicht die Klassenunterschiede: Ihr Hals ist vom rechten Schlüsselbein bis zum Ohr verbrannt. Passiert ist das, als sie als Fünfjährige den Topf mit heißen Pommes vom Herd holen wollte. Und nun, als Elfjährige, naht der erste Tanzabend. „Niemand würde mit einem Mädchen mit verbranntem Hals tanzen wollen…. Die Brandnarbe an meinem Hals war wie eine lange, dicke Schlange, dunkelrot, wütend, mit braunen Flecken, als ob sie platzte.“ Würde wirklich niemand mit ihr tanzen wollen? Es ist großartig, mit welcher Sanftheit es Sprache hier gelingt, Probleme wie diese zu vermitteln. Das liegt natürlich auch an der einfühlsamen Übersetzung.
Und so gekonnt wie hier geht es weiter in den folgenden Geschichten, selbst dann, wenn sie „nur“ von „Flash Gortons Bein“ handelt, oder wie in „The Auld Argyll“ von Bauarbeitern und Studenten auf einer schottischen Baustelle, die noch nicht zum inneren Kreis gehören, und wie der Ich-Erzähler vielleicht gerade mit besoffenem Kopf „das unversöhnliche Blau des Himmels anstarren, dann das prosaische Braun, und Grau der Straße, menschenleer, als sie nach dem nächsten Regen trocknete.“ Es lohnt sich, diese Geschichten zu lesen, mit den erzählten Menschen eine Weile zusammen zu leben, lesend einzutauchen in die schottische Gegend rund um Falkirk, Geburtsort des Autors und Musikers Brian McNeill.
Übrigens: Weitere gemeinsame Streiche von Mc Neill & Haefs sollen folgen. Darauf dürfen die Leser sich schon jetzt freuen.
Brian McNeill: „The Horseman`s Word“
Songdog Verlag, Bern 2020
172 Seiten
Taschenbuch
978-3-903349-02-5 (deutsch) deutsche Übersetzung von Gabriele Haefs und Julian Haefs
978-3-903349-03-2 (englisch/schottisch)
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