„Hilde Domins Dichtung ist Spiegelbild ihres Lebens. Werk und Leben sind eng miteinander verknüpft. Das eine ohne das andere nicht denkbar“, schreibt Marion Tauschwitz, Hilde-Domin-Expertin und Gefährtin, auf ihrer Webseite.
Wer sich mit dieser vielfach preisgekrönten Dichterin näher befassen möchte, sollte Marion Tauschwitz‘ Buch über die 1909 in Köln und 2006 in Heidelberg verstorbene große Dichterin der Nachkriegszeit lesen. „Das unverlierbare Leben“ enthält persönliche Erinnerungen der Autorin an Hilde Domin, die darüber hinausgehen: sie sind von allgemeinem Interesse. So ist dieses Buch eine wunderbare Ergänzung und Erweiterung des literarischen Wissens über Hilde Domin.
Es ist nicht das erste Buch, das die Heidelberger Autorin Tauschwitz über Hilde Domin verfasst hat, die ihren ersten Literaturpreis 1968 von der GEDOK erhielt. Ein weiteres ist die Hilde Domin-Biografie „Dass ich sein kann, wie ich bin“. Das Buch erschien 2009 im Palmyra-Verlag (Hardcover) und 2015 beim zu Klampen Verlag (Paperback). Hier sind inzwischen alle Bücher von Marion Tauschwitz erhältlich, auch das Buch „Hilde Domins Gedichte und ihre Geschichte" (2016), in dem sich die Autorin mit zwanzig Gedichten ihrer großen Kollegin auseinandersetzt. Domin-Biografin und -Vertraute Marion Tauschwitz stellt hier eigens ausgewählte Gedichte den zugehörigen, oft heiklen Lebenssituationen von Hilde Domin gegenüber und erzählt so die Entstehungsgeschichte der Gedichte. Das ermöglicht eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Werk der jüdischen Dichterin. Hilde Domin selbst wurde nie müde zu betonen, wie eng ihre Gedichte mit ihrem Leben verwoben waren. Sie bezeichnete ihr Werk als „Anthologie ihrer selbst“.
Marion Tauschwitz war fünf Jahre lang enge Vertraute von Hilde Domin und begleitete sie bis zu deren Tod. Wir Leser begleiten die beiden in „Das unverlierbare Leben“ vom ersten Kennenlernen bis zum letzten Augenblick. „Hilde Domins Tod kam schnell und sanft. War ein Fingerschnippen. „Auf der Höhe eines Augenblicks: leicht hinüber.“ Wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie scheint nur zu schlafen. Ist rosig, warm, friedlich. Ich halte sie bis Mitternacht im Arm […].“ - Wie kam es zu dieser unverhofften Begegnung? Wie entwickelte sich das gegenseitige Kennenlernen? Wie begründete sich die tiefe Freundschaft der beiden Frauen? Tauschwitz erzählt von den intensiv gelebten Jahren mit der Schriftstellerin und Lyrikerin aus ihrer ganz persönlichen Sicht. Sie spürt den Gedanken und Eigenheiten Domins nach, weiß Anekdoten zu berichten, erzählt von Empfindlichkeiten und Eitelkeiten der kapriziösen alten Dame, berichtet vom Alltag und von Domins Umgang mit der Prominenz. Sie berichtet von abenteuerlichen Begebenheiten, von großen Festen und erzählt von der großen Liebe der Dichterin, erzählt von Erwin Walter Palm, den Hilde Löwenstein 1931 kennenlernte, den sie 1936 heiratete, mit dem sie 1939 ins Exil floh und dem sie für immer verbunden war – auch über dessen Tod 1988 hinaus: „Sie hatte nie von Erwin gelassen. Nicht einmal der Tod hatte das Lebensgespräch beendet. Wenn ich mit Hilde unterwegs war, hatten wir Erwin immer im Schlepptau“, schreibt Marion Tauschwitz.
Die Autorin lernte Hilde Domin bei einer Lesung im Kurpfälzischen Museum ihrer Heimatstadt Heidelberg kennen. Das war am 1. Mai 2001. Gleich nach dem ersten Blickkontakt lud Hilde Domin die junge Kollegin zum Essen ein. Und wenig später zu sich nach Hause: „Sie müssen mich in meinem Dichterturm besuchen. Ein Turm, wie ihn die Droste hatte. Ach.“ Ach, dieses ›Ach‹. Ich sollte es noch so oft hören. Mal sehnsuchtsvoll gehaucht, mal nicht mehr als ein kleiner Atemstoß, dem eine dramatische Geste der Hand Auftrieb gab. Immer wieder setzte Domin diesen Atemhauch ein. Er war Rufen und Hoffen. Er unterstrich oder verwarf das Gesagte. In ihren Kurzbriefchen verstand er sich oft als Schlussformel.“ So wie Autorin Tauschwitz es beschreibt, glaubt der Leser, er höre dieses „Ach“ in diesem Augenblick. Er glaubt, in die Augen der Dichterin zu blicken, wenn es zu Beginn des Buches heißt: „Neugierige Augen musterten mich. Intensiv und rastlos zugleich. Eigentlich wie die alte Dame selbst, wie sie immer schon gewesen sein musste. Hungrige Augen, die sich an ihrer Umwelt nicht sattsehen konnten, die nach Eindrücken dürsteten […]
„…Vielleicht sind wir nichts als Schalen womit der Augenblick geschöpft wird…“ heißt es in dem Gedicht „Indischer Falter“ (aus: Gesammelte Gedichte, S. Fischer Verlag) von Hilde Domin, deren dichterisches Werk bis heute nichts verloren hat an Kraft. „Wenn du warten willst,/bis ich bin, wie ich war,/mußt du warten, bis ich sterbe./Die Toten, sagt man, haben ein glattes Gesicht/und erfüllen uns jeglichen Wunsch./Sie sind heiter/wie der Himmel im Frühling.“ Was uns bleibt, ist die Erinnerung. In diesem Fall ist es die Erinnerung an die große Nachkriegslyrikerin Hilde Domin, deren lyrisches Werk in über 20 Sprachen übersetzt wurde, die eigentlich Hilde Palm, geborene Löwenstein hieß und die sich den Dichternamen Domin gab aufgrund des langjährigen Exils in der Dominikanischen Republik. Marion Tauschwitz hilft uns, diese Erinnerung wachzuhalten und zu vertiefen. Es lohnt sich. Denn Gedichte wie dieses, das eingangs von „Das unverlierbare Leben“ zitiert wird, sollten als bleibende Erinnerungen eingehen in unser kulturelles Erbe.
Hilde Domin, Das unverlierbare Leben. Erinnerungen an Hilde Domin
zu Klampen Verlag
ISBN 9783866745964
200 Seiten, Paperback
Leseprobe
Weitere Publikationen:
Hilde Domin – Dass ich sein kann wie ich
Biografie
zu Klampen Verlag
ISBN 9783866745162
630 Seiten, Hardcover
Hilde Domins Gedichte und ihre Geschichte.
zu Klampen Verlag
ISBN 9783866745230
234 Seiten, kartoniert
Abbildungsnachsweis:
Portraitfoto Marion Taschwitz: Gudrun-Holde Ortner / Buchumschlag (c) zu Klampen Verlag
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