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Thomas Zoglauer: Ethische Konflikte zwischen Leben und Tod. ueber entfuehrte Flugzeuge und selbstfahrende Autos.

Manchmal findet sich der Mensch in Situationen wieder, in denen er sich gar nicht richtig verhalten kann – was auch immer er tut, er wird jemanden verletzen oder gar töten. Der Philosoph Thomas Zoglauer diskutiert tragische Konflikte aller Art und kritisiert die Lösungsansätze seiner Kollegen.

Es sind fast immer Gedankenexperimente, mit denen zeitgenössische Philosophen ihre Überlegungen zur Moral illustrieren oder von denen sie ausgehen. Ein solches Gedankenexperiment stellt den Führer einer hügelab rasenden Straßenbahn vor das Dilemma, mit jeder möglichen Aktion einen unbeteiligten Menschen zu töten. Er will den Zug bremsen, aber er kann das nur tun, indem er den Tod eines Unbeteiligten in Kauf nimmt. Wie diskutiert man ein solches Problem? Ist es legitim, den Tod eines Einzelnen gegen den Tod vieler aufzurechnen? Und kann ein solches Szenario eine Grenzsituation wirklich realistisch abbilden? Lässt sich Moral ausrechnen, kann man einige Zahlen zusammenzählen und dann sagen, hier sterben so und so viele Menschen, auf diese Weise einige weniger, also wäre folgendes zu tun?

Ganz anders geartet ist das Problem der Sterbehilfe, aber auch hier wird zusammengezählt und aufgerechnet – die Schmerzen, die der Todkranke jetzt leidet, gegen die Hoffnungen, die seine Angehörigen hegen, oder die Prognose der Ärzte gegen seinen erklärten Willen. Noch einmal anders will die Frage behandelt werden, ob man es verteidigen kann, einen missgebildeten, sehr wahrscheinlich lebensunfähigen Fötus abzutreiben. Besonders bei diesem Problem beharrt Zoglauer auf der Bedeutung der Menschenwürde, die nach ihm auch einem Menschen ohne Nervensystem oder Gehirn zukommen muss, denn es gehe nicht an, sie biologisch zu begründen: „Nur wenn wir jeden Mitmenschen allein aufgrund seines Daseins und nicht aufgrund seines individuellen Soseins achten und schützen, können wir sicher sein, dass wir auch in Zukunft ein menschenwürdiges Leben führen können.“ Wie man sieht, vertritt er eine sehr strenge Position.

Ist es eine Unsitte, mit der Hilfe von Aufrechnungen aller Art ernsthafte Konflike zu lösen? Tatsächlich wird seit einiger Zeit eben dies von einer Vielzahl von Philosophen getan. Immer wieder werden holzschnittartig Situationen entworfen und durchdiskutiert, Situationen, in denen das Geschehen und die Konstellation der Personen und Umstände mit einigen groben Linien gezeichnet werden. Von der Realität bleibt dabei kaum etwas übrig. Die Theorie, auf deren Grundlage das meistens geschieht, nennt sich Utilitarismus, deren relatives Recht Max Scheler genau gesehen hat: „Sie ist die einzig richtige Theorie über die soziale Bewertung des Guten und Bösen.“ Fragwürdig wird der Utilitarismus aber dann, wenn er im Nützlichen die einzige Grundlage der Moral sieht.

Zoglauer kritisiert die Aufrechnungen scharf. Anders als die Utilitaristen wie überhaupt die Anhänger merkwürdiger Gedankenexperimente betont er die Tragik der von ihm besprochenen Konflikte: „Egal, wie wir uns in dieser Situation entscheiden, werden wir uns schuldig fühlen.“ („Fühlen“, schreibt er ausdrücklich, nicht „schuldig sein“, wie es doch eigentlich heißen müsste.) Und so spricht er sich wiederholt für die Intuition aus, die einem – hoffentlich! – in einer solchen Situation eingibt, was zu tun ist.

Unter Intuition soll man sich eine fast automatisch von festgefügten Ansichten und blitzartigen Situationsbeurteilungen bestimmte, nicht diskursive Erkenntnis vorstellen. Man handelt (muss handeln…), ohne nachzudenken. In einer solchen Lage wird man wahrscheinlich einmal so, ein anderes Mal anders reagieren. Niemals wiederholt sich eine Situation, und vor allem ist man selbst ja auch nicht immer derselbe.

Zoglauer spricht sich also dafür aus, auf seine Intuition zu vertrauen, was deren regelmäßige Überprüfung und Anpassung an die Umstände natürlich mit einschließt. Aber wie könnte die Philosophie hierbei helfen?

Ist es nicht eine eigenartige Vorstellung, irgendein Philosoph oder gar eine Ethik-Kommission könnten uns sagen, was moralisch geboten sei? Wer den Philosophen nicht eine solche Autorität zubilligen möchte, kann sich immerhin auf Immanuel Kant berufen, der von derartigen Ansprüchen der Philosophie überhaupt nichts hielt. Vielmehr sprach er ausdrücklich davon, dass „es auch für den gemeinsten und ungeübtesten Verstand ganz leicht und ohne Bedenken einzusehen“ sei, was die Moral fordere; von Fachleuten für Moral wusste einer wie er noch nichts, sondern für ihn konnte und sollte ein jeder selbst erkennen, was seine Pflicht sei.

Buchumschlag ZoglauerIm Einzelnen bespricht Zoglauer Probleme, die in den politischen Diskussionen der letzten fünfzehn, zwanzig Jahre eine wichtige Rolle spielten. Eingangs geht es um Folter, wenn ein Geiselnehmer nicht das Versteck seines Opfers nennen möchte. Ein ausnehmend schlauer Philosoph schlägt vor, anstatt von Folter von „selbstverschuldeter Rettungsbefragung“ zu sprechen – und das ist nur einer der vielen Tiefpunkte, die in diesem Buch ausgelotet werden. Eher unangenehm sind auch die Einlassungen des vor Jahren durch die Welt ziehenden Australiers Peter Singer, der zwar für die Rechte von Tieren eintritt, aber bei lebensunwertem menschlichem Leben etwas weniger skrupulös vorgehen möchte.

Schließlich kommt der Autor in den letzten Kapiteln seines Buches auf das Töten im Krieg, auf Terrorismus und auf „Roboter-Ethik“ zu sprechen – so behandelt er in sämtlichen Partien seines Buches aktuelle Fragen, die ein breites Publikum umtreiben, und in aller Regel tut er das in einer sehr sachlichen Form und in einer nüchternen Sprache unter Verzicht auf überflüssige Fremdwörter. Dabei vertritt er generell eher konservative, gelegentlich sogar rigoristische Positionen – zum Beispiel bei der Abtreibung. Und vielleicht hat er damit ja auch recht.

Ganz schwach allerdings ist das Terrorismus-Kapitel, weil Zoglauer zwar zwischen Terror und Terrorismus unterscheidet, nicht aber die viel wichtigere Unterscheidung zwischen dem Partisanen und dem Terroristen kennt, die noch vor einigen Jahrzehnten von Autoren wie Carl Schmitt besprochen wurde und die eine viel differenzierte Argumentation erlaubt. Dafür aber setzt er sich mit Positionen auseinander, die so extrem sind, dass sie eigentlich gar keine Antwort verdienen.

Zum Abschluss seiner Kritik versucht Zoglauer zu zeigen, wie man mit „Normenkonflikten in der Ethik“, sprich mit tragischen Situationen umgeht. Seine Methode nennt sich die „Methode des Überlegungsgleichgewichts“ und wird mit folgenden Worten umschrieben: „Geht man von den ursprünglichen moralischen Intuitionen aus, gelangt man zu wohlbedachten Urteilen, indem man sich gleichsam auf einen übersubjektiven, unparteiischen Standpunkt stellt, der von allen persönlichen Interessen abstrahiert und auch die Interessen anderer Menschen berücksichtigt.“ Das klingt sehr hübsch, scheitert aber doch schon daran, dass viele der von ihm selbst geschilderten Szenarios – man denke nur an die hügelabwärts rasende Straßenbahn – keine Gelegenheit geben, zu „wohldurchdachten“ Urteilen zu kommen. Und besteht nicht ein Widerspruch zwischen einer Intuition, die schließlich spontan zustandekommt, und längerem Nachdenken? Schließlich können auch die wohldurchdachtesten Urteile, wie Zoglauer immer wieder zeigt, der Ausweglosigkeit vieler Situationen nicht gerecht werden. „Jeder“, so stellt er selbst im ersten Drittel seiner Überlegungen fest, „muss sich in solchen Fällen selbst ein Urteil bilden.“ Eben. Daran kann auch die von ihm geschilderte Methode nichts ändern.

Fazit: Als Kritik moralphilosophischer Gedankenspielereien ist das Buch sehr überzeugend, als Gegenentwurf weniger.

Thomas Zoglauer: Ethische Konflikte zwischen Leben und Tod. Über entführte Flugzeuge und selbstfahrende Autos.

Verlag der blaue Reiter 2017
ISBN-13: 978-3933722539

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Headerfoto: Michael Foran. Quelle: Wikipedia. This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Buchumschlag Verlag der blaue Reiter.

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