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Bildende Kunst

Die Hinterglasmalerei, häufig als bäuerliche Volkskunst belächelt, hat eine Jahrhundert alte Tradition, die auf die Antike zurückgeht und sich durch alle kunsthistorischen Epochen zieht. Jäger erweckt diese alte Kunstform zu neuem Leben und stellt sie in einen modernen Kontext. Seine leuchtenden, farbintensiven Figurationen sind sozusagen die zeitgenössische Variante der tradierten Hinterglasmalerei mit ihren häufig sakralen Motiven.

Der in Köln lebende Künstler hat anlässlich der Ausstellung in Lübeck sechs, etwa 60 x 280 cm hohe abstrakte Hinterglasbilder konzipiert. Eine wichtige Komponente war für ihn das Zusammenspiel, der Dialog von Kirchenraum und Bildern. Wie ist die visuelle Präsentation der Exponate? Harmonisieren Raum und Malerei miteinander? Oder divergieren sie?

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Seine abstrakten Kompositionen bestehen aus geometrischen Mustern von Rechtecken und Rauten, Gittern und Streifen, die er mit kräftigen Farbflächen und -schleifen kombiniert. Mit Lack- oder Ölfarben auf Acrylglaspaneele aufgetragen, bleiben die spiegelverkehrt von vorn nach hinten konstruierten Farbgründe entweder sichtbar oder verschwinden hinter vorgelagerten Schichten. Somit ist der erste Farbauftrag zugleich die Sichtfläche des Bildes. Die schmalen Exponate zeigen ein Feuerwerk von Farben, die sich entweder kaskadenartig über die Bildfläche ergießen oder in Flächen von berstender Farbigkeit gefangen sind. Assoziationen an Eva und die Schlange kommen in den Sinn, schlängelt sich doch bei einem Bild eine braun geschuppte Farbschlange aus einem gitterartigen Muster heraus. Neben diesen Abstraktionen sind vier großformatige, monochrome Bilder ausgestellt.

Ein faszinierender Aspekt von Jägers Hinterglasmalereien ist, dass die bis zu 18 aufgetragenen Farbschichten bei Lichteinfall einen tiefgründigen und spiegelnden Effekt auf der Sichtfläche der Bilder erzeugen. Spiegelungen, die den realen Kirchenraum oder Menschen wiedergeben.
Die nach bekannten Musikern benannten Arbeiten hängen nicht, vielmehr lehnen sie an Pfeilern und Wänden des weiß gestrichenen Kirchenraums. Wie Gläubige des Mittelalters, denn zu jener Zeit war der Kirchenraum noch unbestuhlt.

Jäger und sein Kollege und Freund Wilhelm Mundt – beide studierten in den 1980er-Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie – waren bereits auf mehreren Ausstellungen gemeinsam vertreten. Gleichwohl ist die Ausstellung in einer mittelalterlichen Kirche eine Premiere für beide Künstler.

Aus Mundts Werkkomplex „Trashstone“ präsentiert die Schau klein- und großformatige Skulpturen. Darunter sein 1000 kg schweres, silberfarbenes Objekt Nr. 553, welches erstmals in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen war und jetzt den Lübecker Kirchenraum dominiert. Mit seiner zerklüfteten Oberfläche und amorphen Form erinnert der Stein an Findlinge oder an einen vom Himmel gefallenen Meteoriten. Abenteuerlich ist der Herstellungsprozess, denn die Skulpturen sind, wie der Name es bereits verrät, aus Müll hergestellte Produkte. In einem intensiven Arbeitsprozess wird Müll jeglicher Art und Form - bis auf organischen Abfall - nach einem vorher festgelegten Schema durch Pressung komprimiert, gebunden und verklebt. Anschließend mit Lagen von farbigem Kunststoff oder Polyesterharz ummantelt, geschliffen, poliert und mit einer Produktionszahl nummeriert. Letztendlich kann nur der Künstler anhand der Seriennummer feststellen, welche Art von Müll im Inneren verborgen ist.

Im Fall der Lübecker Objekte, sind die „Trashstones“ silberfarben. Nach einem Tauchbad in flüssigem Aluminium, wurden sie anschließend mit der Schleifmaschine bearbeitet und auf Hochglanz poliert. In der kalt-glänzenden Oberflächenstruktur spiegeln sich die Malereien Jägers sowie die Besucher und der Kirchenraum mit seinen Terrakotta-Bodenfliesen, den Fenstern, den hohen Pfeilern und dem Kreuzrippengewölbe. Spiegelungen, die anders als in Jägers Bildern, keine reale Bildwelt, sondern eine irrationale, grotesk verzerrte Spiegelwelt zeigen.

Unwillkürlich stellt sich die Frage, ist Mundt, der bereits 1989 seinen ersten Stein mit der Nummer 001 produziert hat, im Sinne der akademischen Bildhauerkunst ein Bildhauer? Nicht natürliche Gesteinsarten wie Sandstein oder Marmor stehen für ihn im Fokus, sondern ein aus recyceltem Abfall gefertigter, künstlicher Stein. Ein Stein, der eigentlich kein Stein ist. Sein von ihm entwickeltes, gestalterisches Konzept bricht damit alle tradierten Konventionen und revolutioniert die Bildhauerei. Als einer der innovativsten zeitgenössischen Bildhauer erhielt der Künstler 2007 für seine Werkgruppe „Trashstone“ von der Royal Academy in London den Jack Goldhill Award for Sculture.

Der Titel der Doppelausstellung „Jetzt nicht“ ist eine zufällige Wortfindung ohne inhaltliche Relevanz. Man sollte die ironisch gemeinte Titulierung nicht wörtlich nehmen, denn diese Schau ist unbedingt sehenswert. Obwohl Michael Jäger und Wilhelm Mundt unterschiedliche künstlerische Positionen vertreten, stehen die präsentierten Exponate mit ihrer Farbigkeit und ihren facettenreichen Spiegelungen in einem kompositorischen Dialog: Bilder und Objekte von ästhetischer Schönheit, die miteinander kommunizieren.

St. Petri zu Lübeck ist eine der renommiertesten Adressen für zeitgenössische Kunst in der Hansestadt. Mit ihrem 108 Meter hohen Turm überragt die Kirche die mittelalterlichen Häuser an der Obertrave. Im 13. Jahrhundert als Hallenkirche in Backstein errichtet, blickt das Bauwerk auf eine bewegte Vergangenheit zurück: Brände, Einstürze und vor allen Dingen die Bombardierung am Palmsonntag 1942 zerstörten das Kirchengebäude. Bei der Restaurierung der Außenfassade 1962, erhielt der Innenraum einen weißen Anstrich. St. Petri ist heute die Universitätskirche der Universität zu Lübeck. Sie ist zudem ein Ort für kulturelle Veranstaltungen und für Ausstellungen zeitgenössischer Avantgarde und moderner Kunst. Moderne und Mittelalter? Kein Widerspruch, wie die aktuelle Doppelausstellung „Michael Jäger und Wilhelm Mundt - Jetzt nicht“
beweist.


Die Doppelausstellung Michael Jäger und Wilhelm Mundt: „Jetzt nicht“ ist bis zum 26. August 2012 in der Kirche St. Petri zu Lübeck, Am Petrikirchhof 1, 23552 Lübeck zu besichtigen.
Kuratiert von Valentin Rothmaler.
Ein Katalog ist erhältlich.
Öffnungszeiten: Di.-So. von 11 bis 16 Uhr
www.st-petri-luebeck.de


Fotonachweis:
Header: Wilhelm Mundt, „Trashstone“, Aluminium. Foto: Christel Busch
Galerie:
01. bis 03. Blick in die Ausstellung. Fotos: Valentin Rothmaler
04. bis 07. Blick in die Ausstellung. Fotos: Christel Busch
08. v.l.n.r.: Michael Jäger und Wilhelm Mundt. Foto: Christel Busch

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