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Bildende Kunst


Die größte Arbeit betitelte Nowak „The Experience of Fliehkraft”. Seit 2007 sammelt der Künstler Filmsequenzen von Fahrgeschäften von Jahrmärkten verschiedener Städte und manipulierte diese. Das Werk besteht aus sieben einzelnen kurzen Videoclips von physikalischen Unmöglichkeiten, die allerdings so wirklichkeitsnah dargestellt sind, dass der Betrachter staunend davor steht. Katapultartige und schleudende Dinge sind da zu sehen, ein Riesenrad, welches in einer scheinbar unendlich windenden und himmelwärtsstrebenden Weise den Fahrgast Stunden, wenn nicht Tage dort oben halten würde. Medizinisch-physikalisch würde das wohl kein menschlicher Körper überleben, dennoch stehen wir davor und halten alles für machbar, baubar und vertretbar.
Auf sieben älteren Röhrenmonitoren gezeigt, erhalten die Videos dadurch einen Retro-Charakter, der der eigentlichen Arbeit zu Gute kommt, denn Inhalt, Farbigkeit und Form sind Aufnahmen der 1960er-Jahre vergleichbar. Kirmesmusik und Retro-Schlager ergänzen in diesem Sinn auch akustisch.

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Unweigerlich werden wir, wenn schon nicht physisch, so doch emotional mitgerissen und der Künstler zaubert mit diesen Arbeiten ein Schmunzeln auf unsere Gesichter.
Sieben große Pläne der einzelnen Phantasiegebilde ergänzen den Zyklus. Schon seit seiner Kindheit faszinieren den Künstler die Fahrgeschäfte, die sich nun in einem eigenen Kunstwerk katalysiert haben. In modernen Vergnügungsparks verbinden sich gigantische Industriemaschinen mit oberflächlich blinkender Unterhaltungsfassade zu einem bizarren Gemisch. Zwei Facetten unserer Zivilisation treffen bei “The Experience of Fliehkraft” besonders intensiv aufeinander und erzeugen eine Gefühlsmischung aus Faszination, Belustigung, Angst und Staunen. „Für mich sind diese Maschinen Ausdrucksformen des Verlangens dem Alltag zu entkommen und Glücksgefühle zu generieren“, sagt Till Nowak dazu.


Für die Pläne sollte man sich genügend Betrachtungszeit nehmen, denn in den Details steckt ein vergleichbarer Humor, wie in den Videoarbeiten. Die vermeintlichen Konstruktionszeichnungen scheinen auf internationalen Ingenieursleistungen zu basieren. Auch die Ästhetik der Pläne verweist auf die 60-Jahre, sie sind vergilbt, gefaltet, benutzt und auch verknickt zwischen zwei Acrylgläsern präsentiert.
Das Spiel von Analog zu Digital manifestiert sich in der Präsentationform im Raum sehr deutlich als Gegenüber.


So lag es für den Künstler nahe, zu dieser rein künstlerischen Arbeit das filmische Pendant zu setzen. Auf einem Flatscreen ist der mehrfach preisgekrönte Kurzfilm “The Centrifuge Brain Project“ zu sehen. Wer keine Möglichkeit hat nach Atlanta zum Film Festival, zur IndieLisboa nach Portugal oder zum Las Palmas Film Festival zu reisen, hat in der Ausstellung die Möglichkeit diesen wunderbar gemachten Film zu sehen. Hier folgt der Künstler nun einem sematischen, roten Faden und man kann sein Denken durch die Kombination Kunstwerk und Kurzfilmgeschichte noch besser verstehen.


Im abgedunkelten Entree des Kunstforums wird „Sus” projiziert. Das Musikvideo zum gleichnamigen Stück der norwegischen Ambient-Elektronik-Band “Pjusk” fährt in ruhigen Kamerafahrten über die schneebedeckte Berg- und Fjordwelt Norwegens, allerdings in einer manipulierten, traumartigen Version. Die Oberflächen der Landschaft verflüssigen sich als ob sie chemischen und physikalischen Prozessen unterzogen würden. Zudem wird bewusst mit der Verzerrung von Größenverhält-nissen und der zeitlupenhaften Verlangsamung realer Zeitabläufe gespielt. Riesige Formen und schwarze Partikel erscheinen plötzlich mikro- und makroskopisch, wodurch der Mensch als winziges Wesen in Bezug auf unsere Umwelt thematisiert wird – einer Idee, der sich die norwegische Nationalromantik bereits vor 200 Jahren widmete.


Das sechs Minuten dauernde Autofahrtvideo “Roadtrip to Babel” entpuppt sich als babylonisches Stimmengewirr, in einer Zeit der Führung durch Navigatoren. Till Nowak setzt sich und uns einer Vielzahl von ‘Navis’ aus, und wir merken schnell, dass “Ziel führend” etwas ganz anderes bedeuten muss...


Eine Anzahl von früheren Arbeiten aus den Jahren 2005 bis 2007 sind Fotos und digital-veränderte und gebaute Bilder. „Dishes“, ein Hochhaus mit unzählbar vielen Satellitenschüsseln, ist mittlerweile zu einer Ikone für die Medienwelt geworden. Basierend auf einem Foto animierte Nowak zwölf unterschiedliche 3D-Modelle von Satellitenschüsseln um das digital vergrößerte Gebäude herum. Die Arbeit ist weder eine Kritik am Fernsehkonsum, noch an einer vermeintlichen Überfremdung. Satellitenschüsseln sind für den Künstler ein „Blick in die Welt“. Pointiert ist das Werk ein selbstironischer Kommentar, im Grunde eine Karikatur, die Lachen anstatt Erschrecken produziert. Nowak selbst arbeitet eben genau in diesem medialen Segment und man kann soweit gehen und von einem Selbstportrait sprechen.


„Habitat“, die neuste Arbeit, ist die Extremform einer zivilisatorischen Schichtung. Sowohl architektonisch-urbane als auch sozio-kulturelle Schichten unterschiedlicher Epochen sind in ihr zu sehen. Von den Villen und Kuppeln in der Oberstadt über einen breiten ‚Äquator’ bis hin zu schattig-grauen Wohnungen, Rohr- und Antennengärten und der Kanalisation der Unterstadt.


„Was in einem sozialwissenschaftlichen Diagramm eine Pyramide wäre, ist in meinen Träumen eine Kugel“, sagt der Künstler. „Die Kugelform fasziniert mich seit Jahren und ich gehe experimentelle Wege mit ihr. Auch die Kugelstadt „Habitat“ kann als gesellschaftsironischer Kommentar des Baubooms der globalen Mega-Cities gesehen werden, während sie gleichzeitig Ausdruck utopischer Phantasie ist.“
Der Dreiklang der Arbeit zeigt immer das gleiche Modell, einmal in Form einer Konstruktionszeichnung, einmal lasierend auf Holz gedruckt und schließlich als realistisch anmutender Farbdruck.
Abgesehen davon, dass die Baustile und Epochen auf Kunstgeschichte und Historie verweisen, ist die Kugelstadt auch mit Architekturen unterschiedlicher Orte und Auffassungen versehen. Zu finden sind Renaissancegebäude neben Bauhaus-Architektur, fensterlose Dienstleistungsgebäude mit Parkhauscharme, morbide Seebadhäuser konfrontiert mit dem Flair Hongkonger Einheitswohnungen.
Nowak bedient sich aus unserem historischen und kunsthistorischen Fundus. Beispielsweile aus der Renaissance: Um ein Auftragswerk der Maler wie Raffael oder Tizian aus des Künstlers Studio zum Empfänger zu transportieren, bauten die Ate-lierhandwerker einen Rahmen um die Stoff- oder Holzleinwand und schützten das Werk durch eine eingeschobene Holzplatte. Diese wiederum wurde häufig bemalt, nicht durch den Meister selbst, sondern meistens durch einen seiner Schüler. Mittlerweile sind diese Holzplatten selbst Sammlerobjekte und Museen wie der Louvre stellen diese ganz selbstverständlich aus. Genau hierauf spielt die Holzversion von Nowaks „Habitat“ an.


Der farbige Druck hingegen wirkt wie ein großes detailliertes Suchbild. Der Betrachter kann sich lange von Haus zu Haus, von Gebäude zu Gebäude auf visuelle Entdeckungstour bewegen und findet immer wieder selbstreferenzielle Verweise und kleine Überraschungen.


Mit viel Augenzwinkern navigiert uns der Künstler in seine digitale und reale Welt.


Till Nowak: "A Lot of Civilisation"

Zu sehen bis 26. April zu sehen im Kunstforum Markert Gruppe, Droopweg 31 in 20537 Hamburg

Weitere Informationen: www.kunstforum-markert.de
Öffnungszeiten nach Vereinbarung. Der Künstler ist am 5. April zwischen 17 und 19 Uhr in der Ausstellung anzutreffen.

Finissage in Anwesenheit des Künstlers: Donnerstag, 26. April 2012 von 19:00 bis 21:30 Uhr.

 


Bildnachweis: (c) Till Nowak
Header: Einladungsmotiv - Detail aus "Habitat"
Galerie:
01. Videostill von "Steam Pressure Catapult" aus "The Experience of Fliehkraft", 2011
02. Konstruktionsplan "Speroton" aus The Experience of Fliehkraft", 2011, Comutergrafik, Architekturplot, 60 x 84 cm
03. Videostill von "Speroton" aus The Experience of Fliehkraft", 2011
04. Videostill von "High Altitude Conveyance System" aus "The Experience of Fliehkraft"
05. Videostill aus "Sus", 2011
06. Videostill aus "Sus", 2011
07. "Kelvin", Lichtkunstwerk am historischen Wasserturm in Neumünster, 2010
08. Videostill aus "Roadtrip to Babel", 2011
09. "Multinavigator", 2010, Navigationssysteme auf Rollgestell, 170 x 50 x 50 cm
10. "Dishes", 2007, Comutergrafik, Druck auf Forex, kaschiert, 120 x 60 cm
11. "Treppenhaus", 2004, Computergrafik,m Druck auf Forex, kaschiert, 75 x 100 cm
12. "Habitat", 2012 (Plan, Holz, Druck), 100 x 100 cmalt

Till Nowak Filmemacher

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