Kultur, Geschichte & Management

Den weltweit verschiedenen Formen der Bestattung ist eine anregende Sonderausstellung im Industriemuseum Herrenwyk gewidmet.

 

Das Museum befindet sich in einem ehemaligen Kaufladen, der aus heutiger Sicht eher ein Tante-Emma-Laden war. Aber noch heute steht deutlich sichtbar über seiner Eingangstür „Kaufhaus“.

 

Industriemuseum Geschichtswerkstatt Herrenwyk ehem Kaufhaus

Industriemuseum Geschichtswerkstatt Herrenwyk in Lübeck Kücknitz. Ehemaliges Kaufhaus. Foto: Thiemo Schuff

 

In seiner Dauerausstellung dokumentiert das kleine Haus nicht allein die schwere Arbeit im Hochofenwerk und auf der Flenderwerft, sondern zugleich die Arbeiterkultur. Es ist schon ziemlich eigentümlich: Wer durch die Straßen um das Museum wandert, wähnt sich manchmal im Ruhrgebiet, denn die bescheidenen Doppelhäuser reihen sich aneinander wie in einer Bergarbeitersiedlung. Und immer wieder lugt die gewaltig in den Himmel ragende Silhouette der Werksruine über die Dächer… An derselben Stelle also, an der mit Schwarzweißfotos und altmodischen Geräten an das Hochofenwerk erinnert wird, sind nun drei Räume mit 75 bunten Exponaten aus 25 größtenteils weit entfernten Ländern bestückt. Der Kontrast zum eigentlichen Industriemuseum könnte kaum größer sein!

 

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Der Ausstellungsrundgang beginnt mit einem Vorraum, in der wir einer Frauenstimme lauschen können, die aus dem tibetischen Totenbuch vorliest, und dann folgt eine bunte und interessante Mischung aus Bildern oder Masken, Urnen oder Särgen, mit denen das Bestattungswesen Afrikas, Asiens und Amerikas dokumentiert wird. Aber es sind nicht allein die exotischen Gegenden, die sich bei einem solchen Thema vordrängen, sondern vorgestellt wird auch die heimische Begräbniskultur – die Vielfalt der Lübecker Friedhöfe wird auf Fotos präsentiert, auf denen sich außer christlichen und jüdischen Gräbern auch muslimische Grabstätten finden. Auf die (natürlich nur fotografisch mögliche) Vorstellung der Grabplatten in den alten Lübecker Kirchen wurde dagegen verzichtet. Sie stammen zu einem großen Teil aus dem 17. Jahrhundert, als das Vanitas-Motiv, das uns Sterbliche an den Tod erinnern soll, nicht nur die bildende Kunst, sondern auch die Dichtung durchzog (hier das zweite Quartett aus dem berühmtesten aller Gedichte des Andreas Gryphius):

 

Was itzund prächtig blüht/ sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein/
Nichts ist/ das ewig sey/ kein Ertz/ kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück vns an/ bald donnern die Beschwerden.

 

Die alten und oft prunkvollen Familienbegräbnisse in den Kirchen oder auf den Friedhöfen des 19. Jahrhunderts sind schon ziemlich merkwürdig: Die Menschen jener Zeit glaubten, um die Bedeutungslosigkeit des Irdischen zu wissen, aber dennoch war es ihnen wichtig, sich selbst, also ihrem Reichtum und ihrer Bedeutung, ein Denkmal zu setzen. Hier bewährt sich der für Gryphius und seine Zeitgenossen so offensichtliche Doppelsinn von Eitelkeit! Wahrscheinlich liegt sie in der menschlichen Natur – ähnlich wie die Furcht vor dem Tod und dem, was nach ihm kommt. Vielleicht, denke ich manchmal, vielleicht ist es ja gar nicht das große leere Nichts, auf das wir Atheisten ganz fest vertrauen, vielleicht ist da doch noch etwas, eine große Abrechnung und eine ganz schreckliche Bestrafung? Wie schrieb doch Arno Schmidt? „Wenn ich einmal tot bin, und mir kommt einer mit Unsterblichkeit: dem hau‘ ich eine rein!“

 

Aus dieser Ausstellung wird mir besonders ein chinesischer Teppich im Gedächtnis bleiben, der – vielleicht unter dem Einfluss christlicher Missionare – uns mit ziemlich drastischen Bildern eben die Art von Hölle vor Augen stellt, deren Besuch wir gerne vermeiden würden. Erinnert er nicht ein wenig an das berühmteste aller Bilder des Hieronymus Bosch? Besonders der streng in ein großes Buch schauende Totenrichter, der die Stelle des Weltenrichters auf altchristlichen Mosaiken einnimmt, deutet auf christliche Vorstellungen.

 

Anders als die meisten Europäer scheinen Mexikaner dem Tod nicht (oder nicht nur) mit einer traurigen Miene zu begegnen – sie kennen sogar eine heilige Tödin („santa muerta“) – und tanzen gelegentlich auf Gräbern. Mit ihrem ein wenig katholischen, ein wenig heidnischen Tag der Toten (Dia de los muertos) kommen nicht alle Europäer zurecht. Die tanzenden Skelette sind ihnen einfach nicht sympathisch! Anders schauen wir auf die Afrikaner, auch wenn deren Sicht jener der Mexikaner ähnlich zu sein scheint. Ihre Trauerzüge sind eher ein fröhliches Fest, aber es fehlen die Skelette... Geradezu spektakulär der „Coffin Dance“ (Ghana), in dem der Sarg von in ein dunkles Grau gekleideten Männern in einer ausgefeilten Choreografie durch belebte Straßen – nein, nicht einfach nur getragen, sondern tatsächlich getanzt wird. Diesen Vorgang zeigt ein Video in der Ausstellung, aber man kann ihn sich auch im Netz anschauen.

 

Der Tod als ein beglückendes Ereignis? Der Buddhismus scheint so zu denken, und via Schopenhauer gelangte diese Vorstellung auch zu Arno Schmidt. In einer seiner lustigsten Erzählungen, in „Tina oder Über die Unsterblichkeit“, schildert der große Misanthrop die endgültige Auflösung der vorläufig Verewigten, nämlich ihren Abgang aus dem Elysium: Also wenn oben ein Name endgültig erlischt, darf sich hier unten der Besitzer ‚auflösen‘: was meinen Sie, wie der jauchzt?“ So bereitet sich der längst gestorbene Mensch auf den Weg ins Nirwana vor: „Er zieht seinen besten Anzug an. Vor dem Nichts wartet schon der Verwaltungsbeamte. Zuschauer stehen diszipliniert im Viereck, alle in frohlockendem Bunt; Freunde und Bekannte drängen sich glückwünschend (und neidisch) herzu.“ Und gleich darauf: „Futsch! Auf ewig verschwunden!“

 

Für den Kurator Lars Frühsorge, einen Ethnologen, ist ein ganz spezieller Sarg aus Afrika, den er für diese Ausstellung herstellen ließ, das wichtigste Exponat. Das Stück stammt aus Ghana, wo es zuletzt üblich geworden ist, sich so bestatten zu lassen, dass es an Leben und Vorlieben der Verstorbenen erinnert. Eine besondere Klientel bilden dabei die Marktfrauen, die zumindest gelegentlich sehr gut zu verdienen scheinen und sich in diesem Fall einen dicken Schlitten anschaffen, um nach ihrer bevorzugten Marke „Mama Benz“ genannt zu werden. Ein solches Möbel hat der Kurator in Ghana speziell für die Lübecker Sammlung der Kulturen von dem „Sargkünstler“ Eric Adjetey Anang herstellen lassen – immerhin 205 Zentimeter lang und deren achtzig breit.

Bestattung: Das Thema ist natürlich unerschöpflich, seiner Bedeutung wegen, die der Tod für uns hat, und dank der Vielfalt der Sitten. Deshalb ist für nicht wenige Reisende der Besuch von Friedhöfen obligatorisch, denn wo, wenn nicht dort, spiegelt sich die Kultur eines Landes? Wie bereits die Fotos der Lübecker Friedhöfe zeigen, sind die Veränderungen der Gesellschaft auch oder vielleicht sogar besonders dort zu beobachten – jetzt finden sich dort nicht allein die christlichen Kreuze, denn Moslems und andere Gläubige schmücken ihre Gräber in ganz anderer Weise.

 

Mit Recht erinnert Frühsorge daran, dass die Vorbereitung auf den eigenen Tod einmal ganz selbstverständlich war. Nicht immer schien der eigene Tod ein Tabu. Kommen wir wieder dorthin, wo seinem Bericht zufolge rumänische Bauern schon oder immer noch sind? Auf manchen rumänischen Bauerndörfern sollen die Särge bereitstehen – sie warten –, und die Alten gehen an ihnen vorbei und wissen, dass sie eines wohl nicht zu fernen Tages in ihnen zur Ruhe gebettet werden… Ich muss, wenn von solchen Vorbereitungen die Rede ist, an ein berühmtes Gedicht Adalbert von Chamissos (1781–1838) denken, an „Die alte Waschfrau“, an das auch in Theodor Fontanes „Irrungen Wirrungen“ erinnert wird.

 

Chamisso

Adelbert von Chamisso, 1831. Grab von Adelbert von Chamisso in Berlin. Fotos: Gemeinfrei

 

Die alte Frau hat ihren Platz eingenommen in einem „Kreis, den Gott ihr zugemessen“, wie es im Gedicht heißt, sie weiß um ihren baldigen Tod, dem sie ruhig entgegensieht, und näht deshalb „mit eigner Hand ihr Sterbehemde sonder Tadel.“ Chamisso lässt seine Ballade mit Worten schließen, die das Vorbildliche der alten Frau aussprechen:

 

Und ich, an meinem Abend, wollte,

Ich hätte, diesem Weibe gleich,

Erfüllt, was ich erfüllen sollte

In meinen Grenzen und Bereich;

Ich wollt, ich hätte so gewußt

Am Kelch des Lebens mich zu laben.


Bestattungskulturen in Deutschland und der Welt. Vom Ruheort zum Coffin Dance.

Zu sehen bis Sonntag, 23. Februar 2025 der Sammlung Kulturen der Welt, Lübeck

In den Räumen des Industriemuseums Herrenwyk, Kokerstraße 1-3, in 23568 Lübeck

Öffnungszeiten: Freitag 14–7 Uhr

Weitere Informationen (Industriemuseum)

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