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Mit einer Doppelausstellung feiert Lübeck Thomas Manns Meisterwerk „Der Zauberberg“, dessen Erscheinen sich im November zum hundertsten Mal jährt.

 

Mit seinen fast eintausend Seiten und seinen einprägsamen Gestalten ist „Der Zauberberg“ ein gewaltiger Roman, an dessen Episoden und Figuren sich die meisten Leser oft noch Jahrzehnte später erinnern können. Ein schwieriges, weil gehaltvolles Buch, und doch auf jeder Seite unterhaltend – die Lektüre dieser machtvoll dahinströmenden Prosa ist ein schierer Genuss, und so wurde der Roman trotz seines Anspruchs und Umfangs ein großer buchhändlerischer Erfolg.

 

Wahrscheinlich ist „Der Zauberberg“ für sein Publikum das wichtigste unter Thomas Manns Büchern, mehr noch als der berühmte Erstling „Buddenbrooks“, als „Joseph und seine Brüder“ oder der düstere „Dr. Faustus“.

 

Wie kann ein Museum einen Roman feiern oder auch nur vorstellen? Eigentlich muss man ihn doch lesen… Es ist durchaus eine Frage, ob eine Ausstellung, sei ihre Konzeption noch so durchdacht, seien ihre Ausstellungsstücke noch so spektakulär, einem Roman auch nur halbwegs gerecht werden kann. Im St. Annen-Museum können wir uns jetzt anschauen, wie das Arbeitszimmer Thomas Manns ausgesehen hat, welche Bücher für den Autor wichtig gewesen sind und wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts versucht wurde, die Tuberkulose zu bekämpfen. Es überrascht nicht, dass die Ausstellung sich auf kulturgeschichtliche und historische Aspekte konzentriert, indem sie das Geschehen veranschaulicht und uns im Roman erwähnte Utensilien vor Augen führt, Geräte, von denen wir oft genug keine rechte Anschauung haben werden. Wie sah zum Beispiel ein Röntgengerät vor dem 1. Weltkrieg aus, und wie dürfen wir uns Röntgenbilder dieser Zeit vorstellen? Nach dem Besuch dieser Ausstellung wissen wir das.

 

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Die Zahl Sieben besitzt im Roman leitmotivischen Charakter; sieben Jahre sind es, die der nette Hamburger Jung Hans Castorp, ein frischgebackener Schiffbauingenieur, in den eigentlich gar nicht so gewaltigen Höhen von Davos verbringt, und diese Zahl taucht in allen möglichen Zusammenhängen immer wieder im Strom des Geschehens auf. So ist es nur konsequent, dass es sieben Kapitel sind (oder sieben Räume), in denen uns der Roman vorgestellt wird. Im ersten Raum bekommen wir einen Eindruck von der Schreibstube des Meisters, im zweiten finden wir den Kurort Davos in Schwarzweißfotos, und dazu lässt sich ein Arztkittel betrachten (so viel anders als heute nun auch wieder nicht…), das bereits angesprochene Röntgengerät (aus Holz!!) steht stramm, und unter Glas können wir etwas betrachten, das sich „der blaue Heinrich“ nennt, ein Sputumfläschchen, das den Kranken als Taschenspucknapf diente. Die Tuberkulösen sollten nicht auf den Boden spucken, von wo aus sich die hochansteckenden Tuberkel sehr leicht weiter verbreiten konnten.

 

Im dritten Raum wird es dann hanseatisch, unter anderem, weil dort ein „Mühlstein“ ausgestellt wird, also eine für Hamburger und Lübecker Pastoren typische Halskrause (anstelle des Bäffchens). Nebenbei: Das entsprechende Kapitel, das im Eingang des Buches das Verhältnis des kleinen Hans zu seinem Großvater vorstellt, ist schon für sich ein Meisterwerk: Der alte Mann erläutert dem kleinen Jungen vor einem Schrank einige Erinnerungsstücke, und in wenigen Sätzen lässt Mann eine ganze Welt vor unseren Augen auftauchen. In diesem Raum findet sich auch ein sehr schönes Ölbild von Max Slevogt, das uns mit dem Großvater bekannt macht.

 

Der vierte Raum, in rötliches Licht getaucht, präsentiert dann nicht ganz unerwartet allerlei Phallisches, wozu auch Castorps Lieblingszigarren („Maria Mancini“) und ein Drehbleistift gehören. Bei der Zigarre bin ich mir nicht sicher, ob sie wirklich in diesen Zusammenhang gehört, aber der Drehbleistift ja nun zweifellos, schon weil er Hans Castorp an die Objekte seines Begehrens denken lässt, seinen slawischen Mitschüler Hippe und an Madame Chauchat.

 

Es folgt ein Raum, in welchem mit der Hilfe von Videos das wegen seiner erzählerischen Virtuosität zu Recht berühmte Schneekapitel illustriert wird. Hans Castorp entdeckt für sich das Skifahren und erlebt einen Schneesturm, in dem er jede Orientierung im Raum und vor allem jedes Zeitgefühl verliert. Und endlich, als Zentrum aller zeitgeschichtlichen Bezüge, die „große Gereiztheit“, die Illustration der ewigen Streitereien besonders, aber nicht allein von Settembrini, dem Aufklärer und „Drehorgelmann“, und Naphta, dem Jesuiten von „ätzender Häßlichkeit“. Hier schlägt sich die Ausstellung vielleicht ein wenig zu einseitig auf die Seite des liberalen Schriftstellers, der im Roman nicht nur eine Lichtgestalt ist, so wenig Leo Naphta nur und ausschließlich Dämonisches präsentiert. Den Konnex zur Gegenwart versucht die Ausstellung herzustellen, indem sie allerlei Zitate zum aktuellen Terrorismus präsentiert, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie dem Roman auf diese Weise gerecht wird. Der Terror unserer Tage und die Gewalt der Vorkriegszeit oder auch der Weimarer Republik sind nun wirklich zwei verschiedene Paar Schuhe.

 

Kommen wir zum zweiten Teil der Doppelausstellung, der von Heather Philippson in der Kunsthalle bestritten wird. Die britische Künstlerin ist bekannt dafür, verschiedene Medien in ihren Installationen zu verbinden. Im Eingangsbereich der Kunsthalle herrscht jetzt ein schönes grünes Licht, und wir sehen Krähen – Vögel, die sie offenbar als typisch für Lübeck ansieht –, die auf einem Fußballplatz sitzen oder auf diesen hinunterschauen. Sehr merkwürdig! Aber das Fußballfeld erklärt den Titel ihrer Installation: „Extra time“, also Nachspielzeit – ein kurzer, sich an die korrekte Spielzeit anschließende Zeitraum, von dem sie denkt, dass in ihm die üblichen Regeln Raum ausgesetzt sind. Aber da bin ich mir nicht so sicher…

 

Collage Extra Time Heather PhillipsonCollage „Extra Time" Heather Phillipson © magma design studio

 

Die Assoziation an den Fußball ist wirklich merkwürdig. Ästhetisch nicht ohne Reiz – einerseits des grünen Lichtes wegen, andererseits, weil Krähen etwas Menschliches zu eigen ist, wodurch sie leicht amüsieren können. Aber Krähen, die Flaggen schwenken wie die Herren im Overall, die den Piloten auf dem Flugplatz den Weg zum Gate weisen; Skizzen an der Stirnwand, die wohl taktische Manöver auf dem Fußballplatz beschreiben sollen; Haufen von Orangen und Nüssen… Auf den „Zauberberg“ würde wohl angesichts dieses Arrangements niemand von allein kommen. In den beiden Stockwerken darüber hat die Künstlerin noch zwei Säle mehr bespielt. In dem einen wird eine Art Friedenscamp gezeigt, umtanzt von den leitmotivisch herumgaukelnden Krähen – da können wir natürlich an den 1. Weltkrieg denken, mit dem der Roman endet. Und was mögen wohl die Stromleitungen bedeuten, an denen Krähen im Kreis herumsausen? Die ewige Wiederkunft des Gleichen, also die Begeisterung des Autors Thomas Mann für Nietzsches Metaphysik? Auch hier kann man sagen: Alles nicht reizlos, aber keinesfalls aus sich selbst heraus verständlich. Die von Arnold Gehlen vor Jahrzehnten beklagte Kommentarbedürftigkeit der modernen Kunst lässt sich hier sehr schön belegen.

 

Wer keine Lust haben sollte, den Roman zu lesen – allemal ein Fehler –, mag sich auf den Katalog stürzen, denn in dem sehr textlastigen Paperback wird viel (nach-) erzählt. Hinterher kann man wenigstens so tun, als habe man sich der Lektüre befleißigt. Aber wir lernen aus instruktiven Aufsätzen auch allerlei über die Quellen des selbst ja sehr lesefreudigen Thomas Mann, über die Behandlung der Tuberkulose oder über den Okkultismus, denn auch von einer Séance erzählt uns „der raunende Beschwörer des Imperfekts“.


100 Jahre Thomas Manns „Der Zauberberg“. Fiebertraum und Höhenrausch

Eine Ausstellung zu sehen bis Sonntag, 2. März 2025 im Buddenbrookhaus im St. Annen-Museum, St. Annen-Straße 15, 23552 Lübeck.

Öffnungszeiten: 01.01–31.03.: 11–17 Uhr. 01.04.–31.12.: 10–17 Uhr

Weitere Informationen (Lübecker Museen)

 

Es ist ein Katalog erschienen: 100 Jahre Thomas Manns „Der Zauberberg“. Fiebertraum und Höhenrausch. Eine Ausstellung des Buddenbrookhauses im St. Annen-Museum, Lübeck. Herausgegeben von Barbara Eschenburg & Caren Heuer

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