Film

Wieder riskiert Kevin Costner viel, -als Regisseur, Produzent, Co-Autor und Hauptdarsteller. Er setzt mit der bildgewaltigen Tetralogie „Horizon: Eine amerikanische Saga“ ähnlich wie damals 1990 bei „Der mit dem Wolf tanzt“ Karriere und Vermögen aufs Spiel. Sein Ziel: Die Perspektiven aller Beteiligten gleichermaßen einzufangen, Authentizität bis ins letzte Detail.

 

So nah kam selten ein Western der historischen Wirklichkeit, ohne das eigene Genre zu sabotieren. Die Schauplätze wechseln ständig zwischen Montana, Wyoming, San Pedro Valley, verschneiten Gipfeln, herbstlichen Wälder, endlosen Prärien. Von der Presse oft kritisiert das Zerrissene, Episodenhafte der Erzählweise, aber grade die ständig alternierenden Handlungsstränge sind die Stärke des Monumental-Epos. 

 

1861, New Mexiko kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs: Skrupellose Makler haben gutgläubigen Einwanderern ein Stück von jenem verlockenden Ort namens Horizon versprochen. Fruchtbare von einem Fluss durchzogene Prärielandschaft. Angekommen, entpuppt die Siedlung sich als Illusion, Realität ist nur der Friedhof mit seinen vielen Kreuzen. Die Indigenen sind nicht gewillt, ihre Jagdgründe zu teilen mit jenen Fremden, die den Ozean überquerten in der Hoffnung auf eine sichere Zukunft. Aber es gibt kein Zurück für die Siedler, und so entstehen wieder neue Farmen – und neue Gräber. Im nächtlichen Dunkel greifen die Apachen an. Das Holzhaus der Familie Kittredge wird bald schon in Flammen aufgehen, sich zum gigantischen Flammenmeer über die Hügel hinaus entwickeln. Drinnen weigert sich der Sohn zu fliehen, will an der Seite des Vaters kämpfen- und sterben. Versteckt in einem Erdloch unter dem Wohnraum überleben Frances (Sienna Miller) und ihre Tochter. Einzige Luftzufuhr: ein Gewehrlauf nach draußen. Mit den wenigen geretteten Habseligkeiten finden die beiden eine Bleibe im nahegelegenen Fort der US-Kavallerie. First Lt. Trent Gephardt (Sam Worthington) resigniert, der Armee wird es nie gelingen, die Siedler-Trecks zu schützen. "Wir bewachen hier eine der letzten endlosen Weiten. Diese Leute glauben, wenn sie nur zäh genug, klug genug und skrupellos genug sind, wird all das eines Tages ihnen gehören. Keine Armee dieser Welt kann diese Wagen aufhalten, so unerwünscht sie auch sein mögen.“ 

 

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Apachen-Häuptling Tuayeseh (Gregory Cruz) hatte zu einem friedlichen Nebeneinander geraten, sein Sohn Pionsenay (Owen Crow Show) aber will die die Fremden mit Waffengewalt vertreiben. Nach der Rückkehr seiner Krieger kritisiert Tuayeseh den Überfall. Er fordert Pionsenay und sein Gefolge auf, das Dorf zu verlassen, um es vor einem Vergeltungsschlag der Weißen zu schützen. Während Sacaton, der jüngere Sohn des Häuptlings, sich Pionsenay anschließt, bleibt Ralston (Amos Little), der weiße Ziehsohn, bei Tuayeseh. Auch Pionsenays Bruder Taklishim (Tatanka Means) muss sich entscheiden, wie weit seine Loyalität gegenüber dem Vater geht. Derweil macht sich Fährtensucher Janney (Scott Haze) mit einer Handvoll Männer auf die Suche nach den White-Mountains-Apachen. Sie wollen Rache nehmen, Skalps- und die damit verbundene Belohnung kassieren. So beginnt der endlose Kreislauf der Gewalt.

 

Kevin Costner selbst taucht erst nach einer Stunde auf. Hayes Allison, der lonesome Cowboy par excellence, ein wortkarger stoischer Einzelgänger, lebt zurückgezogen, ist müde, ein Mann, der in einer gefährlichen Welt nach Ruhe sucht, sich nach einem Ort sehnt, wo er dazu gehört. Die Werbebroschüren von Horizon beflügeln seine Fantasie, er kann nicht lesen, was dort geschrieben steht, aber wir spüren, es zieht ihn dorthin. Er verfügt über Fähigkeiten, die er lieber nicht mehr einsetzen möchte, die aber zum Überleben notwendig sind und er, der keinen Konflikt scheut, findet sich nur zu oft in Situationen wieder, die er eigentlich meiden wollte. Und so gerät er in der Bergbausiedlung Watts Parish in eine blutige Auseinandersetzung, als er Überlebenskünstlerin Marigold (Abbey Lee) vor der Rache der brutalen Sykes-Brüder zu schützen versucht. Von nun an ist er auf der Flucht in Begleitung jener eigenwilligen Schönen plus Kleinkind. Es ist nicht Liebe, was die beiden verbindet, sie braucht ihn, und er, der Pferdehändler, kann es nicht übers Herz bringen, nein zu sagen.

 

Der Western bedient Grundelemente des ältesten Genres der Filmgeschichte. Costner und sein Co-Autor Jon Baird schildern Gewalt in ungeschönter Brutalität genau wie den harten ermüdenden Alltag der Siedler, die Auseinandersetzung innerhalb der Indigenen, Familienstreitigkeit auf den Trecks, den Widerwillen der Ehefrauen, die zu diesem tristen entbehrungsreichen Dasein von ihren Männern gezwungen werden. „Horizon“ ist vielschichtig, sehr charakterbetont, ausdrucksstark. Es geht weniger um die Ereignisse, die den Figuren widerfahren, sondern primär um deren Sicht der Dinge. Die Frauen, die Kinder, die Indigenen, alle haben ihr ganz eigene Stimme. Aus ihrer Perspektive wird die Geschichte erzählt. Es gibt keine einfachen Wahrheiten, kein Richtig und kein Falsch. 

 

Was ist die ewige Anziehungskraft des Western-Genres und der Frontier-Mythologie? Zu Beginn der gemeinsamen Arbeit zeigte Kevin Costner seinem Co-Autor Dutzende alter Western. Seiner Überzeugung nach bietet dieses Genre die bestmögliche Bühne für die Inszenierung und Dechiffrierung menschlicher Konflikte, die Beurteilung des Wertes jedes Einzelnen: „Ein Mann steht vor seinem Haus. Ein anderer am Horizont und nähert sich ihm. Ob diese Person mit guten oder bösen Absichten kommt, ob sie Hilfe braucht oder hier ist, um Schaden anzurichten, ob sie ehrlich oder heimtückisch ist, das müssen die Figuren selbst herausfinden. Die einzige Gewissheit besteht darin, dass sich ihr Entscheidungs- bzw. Handlungsfenster zum Schluss schließt. Und wir, das Publikum, entscheiden, auf welche Seite wir uns schlagen. Dieses System deklinieren faktisch alle Western auf unterschiedlichste Weise durch. In einer guten Story, da sind sich die Autoren einig, sehen wir stets Männer und Frauen, die ständig auf die Probe gestellt werden- von ihrer Umwelt, der Natur, ihren Mitmenschen. Miteinander, gegeneinander, stets unter Umständen, bei denen es um Leben und Tod geht. Ums Wesentliche also- und das macht die Gattung unsterblich.“

 

Kevin Costner über die Situation der Ureinwohner Amerikas: „Man konnte das Land, in das die Siedler vordrangen, nicht teilen. Also beschlossen sie, es sich einfach zu nehmen. Sie taten zwar so, als wären sie bereit, es zu teilen, aber nur um zunächst Fuß zu fassen. Die sogenannten Pioniere verdrängten die indigenen Einwohner, rotteten die Angehörigen der rund 500 Indianervölker fast aus. Das ist die Wahrheit. Die erkunden wir in „Horizon“. Auch aus dem Blickwinkel der Indigenen. Im Zentrum steht die Kollision der unterschiedlichen (Werte-)Welten. Auf der einen Seite die Siedler, auf der anderen die Ureinwohner… Ich wollte zeigen, wofür die Indigenen kämpften. Um ihre Tradition, ihre Existenz. Sie kämpften nicht für eine Flagge, sie kämpften für ihre Nachbarn, die Kinder, mit denen sie aufgewachsen waren, deren Mütter und Großmütter.“  Auf der anderen Seite der (Aus-)Verkauf des Amerikanischen Traums. „Uns werden ständig Dinge verkauft. Das war für die Menschen im 18. Jahrhundert nicht anders. Damals wie heute träumen die Immigranten den Amerikanischen Traum. Die Männer kamen, um ihr Glück zu machen. Mit ihren Kindern und Frauen, die nur widerwillig folgten, – und sich mitten in einem Land wiederfanden, das ihnen unbekannt war“. 

 

Jeder träumt in dieser Saga. Träume, die schon einen Kompromiss mit der Realität einzugehen, bereit sind, aber noch immer die Kraft der Sehnsucht besitzen. Nur irgendwann kollidieren die Träume untereinander, scheitern als enttäuschte Erwartungen oder an der Übermacht des Gegners. Vom ersten Tag an bestimmen Spekulanten und Geschäftemacher den Wert des jeweiligen Traums, -und die Stunde des Scheiterns. Eine Welt im Umbruch, nie zuvor hat ein Western das Ausmaß so schmerzhaft radikal umgesetzt. Was jenes Jahrhundert überlebte, war die raue majestätische Schönheit der Natur. Kameramann James Michael Muro kreiert ästhetisch überwältigende Tableaus der verschiedenen Landschaften, ihre Schönheit liegt in der rauen Ursprünglichkeit. 

 

Der 69jährige Regisseur und sein Team drehten „Horizon“ vor Ort in ländlichen Gebieten Utahs, darunter im Shivwits-Reservat westlich von St. George in der Nähe des Santa Clara River, in Moab, im Apple Valley und in der Umgebung des Zion-Nationalparks. Atemberaubende Ausblicke von den Ebenen über Tafelberge und die ikonischen roten Felsen bis hin zu den Gebirgen und Flüssen, die an die Zeit und Orte des Western-Epos erinnern. Bei der Suche nach geeigneten Schauplätzen spielte Costner im Vorfeld verschiedene Rollen aus dem Drehbuch durch, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob der jeweilige Ort für die Szene geeignet war. Utah blickt auf eine lange, reiche Filmgeschichte zurück. Seit den 1920er-Jahren entstanden dort Tausende von Produktionen. Die staatliche Filmkommission - eine der ältesten der Welt- wurde bereits 1949 gegründet. Regisseure wie John Ford („Der Schwarze Falke“, 1956) drehten dort mit Stars wie John Wayne.

 

„Horizon“ ist Costners Passion Project. Seit vierzig Jahren arbeitet er an dieser Western-Chronik, gab seinem Sohn den Namen des Protagonisten: Hayes. Er spielt übrigens den Sohn der Familie Kittredge, der sich weigert zu fliehen, an der Seite des Vaters gegen die Apachen kämpft. Störrisch, unbeugsam sind sie diese Menschen, ob Siedler, Rancher, Marshals oder Outlaws, Glücksritter, Prostituierte oder Armeeangehörige. Ihre Wege kreuzen sich, die Schicksale sind untrennbar miteinander verbunden. Eine Mär voller Blut, Schweiß und Tränen. Über einen Zeitraum von 15 Jahren spannt sich die Handlung, sie prägten Amerika.

 

Die Monumental-Saga polarisiert. Sieben Minuten Standing Ovation gab es bei den diesjährigen Filmfestspielen für den ersten Teil der Western-Epos und einige begeisterte Reviews. Wenig später schon brach ein Sturm der Kritik los. Man überbot sich an hämischen Formulierungen. Während Taylor Sheridan Neo-Western-Serie „Yellowstone“ mit Costner in der Rolle des Ranchers und Patriarchen John Dutton über fünf Staffeln die Fernsehzuschauer begeisterte, fielen die amerikanischen Box-Office-Ergebnisse für „Horizon“ kärglich aus, in Deutschland liegt der Film auf Platz 3 der Programmkino-Charts. Vielleicht haben viele verlernt, den imposanten Spannungsbögen eines solchen Western-Epos zu folgen. Costner ist ein Meister des Cross-Cuttings, erst das Nebeneinander der verschiedenen Welten, ihre unterschiedlichen Perspektiven erweckt die Vergangenheit. „Für mich ist Geschichte, auch unsere lebendig“, sagt der Regisseur, „Ich wollte einen Teil davon erzählen. Unsere Historie ist tragisch. Sie ist peinlich. Sie ist beschämend.“ Der zweite Teil von „Horzon: Eine amerikanische Saga“ feiert seine Premiere auf den Filmfestspielen in Venedig. 

 

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Horizon: Eine amerikanische Saga – Kapitel 1

Originaltitel: Horizon: An American Saga - Chapter 1

Regie: Kevin Costner

Drehbuch: John Baird, Kevin Costner

Darsteller: Kevin Costner, Sienna Miller, Sam Worthington, Luke Wilson, Isabelle Fuhrman, Ella Hunt, Will Patton, Tatanka Means, Owen Crow Shoe 

Produktionsland: Vereinigte Staaten, 2024

Länge: 181 Minuten

Kinostart: 22. August 2024

Verleih: Tobis Film GmbH

 

Fotos, Pressematerial & Trailer: © Tobis Film

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