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Neue Besetzung, neues Album: Sängerin und Gitarristin Dagmar Lauschke veröffentlicht am 11. Oktober 2024 mit ihrem mittlerweile vierköpfigen Hamburger Indie-Folk-Projekt Roods & Reeds das zweite Album "Who Would Have Thought".

 

Die Songs des Albums speisen sich im Wesentlichen aus zwei Quellen: Sechs Titel stammen aus Dagmar Lauschkes eigener Feder und fünf sind Adaptionen anglo-irischer und traditioneller Stücke, die durch die Band einen modernen Anstrich erhalten.

 

Da wird aus dem im Folk oft üblichen 6/8-Takt schnell ein jazziger 5/4-Rhythmus oder ein überraschender 9/8-Takt. Auch vor der ursprünglichen Melodie und den Harmonien wird nicht haltgemacht. Lauschke nimmt sich die Freiheit, sie ihrer eigenen Interpretation anzupassen. Balladen voller Melancholie und Sehnsucht wechseln sich dabei mit lässig groovigen Stücken ab. So fügen sich neue und Coversongs musikalisch, inhaltlich und atmosphärisch mühelos zusammen.

 

Großen Anteil an dem besonderen Klangerlebnis hat auch die neue Besetzung von Roods & Reeds. Sei es der warme Unterton des Cellos, der Einsatz von E-Bass, Akkordeon sowie die raffinierten Streicherarrangements – alles zusammen beschert dem Album einen ganz eigenen Indie-Folk-Sound voller Pop- und Jazzanklänge. Und über allem liegt Lauschkes unverwechselbare Stimme, die mal klar und hell klingt, gelegentlich in ungeahnte Tiefen hinabgleitet und dann zart und berührend wirkt.

 

Roods Reeds Who Would Have Thought COVERDas Album Who Would Have Thought ist Ergebnis eines Teamworks dieser neu aufgebauten Bandbesetzung. Karsten Deutschmann (Bass, Bratsche, Akkordeon, Keyboard), weiterer Koproduzent des Debütalbums und Multiinstrumentalist, kam als erstes an Bord. In seinem Studio Gentle Art wurde schon das erste Album aufgenommen. Zeitnah folgte die gemeinsame Freundin und Cellistin Anne Maren Falk. 2022 stieß schließlich der Schlagzeuger Michael Muth dazu und komplettierte Roods & Reeds als Band – und als kreatives Kollektiv: Lauschke schreibt ihre Texte jeweils mit Gesangsmelodie und Akkordstruktur und schlägt traditionelle Folksongs mit manchmal ungewöhnlichen Arrangement-Ideen vor. Beim gemeinsamen Proben und Arrangieren beginnen die Stücke dann ihr ganzes Potential zu entfalten. Ein sehr kreativer, aber auch intensiver Prozess: Mitunter wird um den Sound oder die Struktur auch emotional gerungen, bis er für alle stimmt. Heraus kommen dann Lieder mit Tiefe und mit Humor, die berühren und hinter denen die gesamte Band steht.

 

In ihren Texten lässt Dagmar Lauschke ihre Hörern sehr nah an sich heran: Sie erzählt von Gewalterfahrungen in der Kindheit („One Little Boy“), zerstörerischen Selbstzweifeln („In Doubt“) und den Enttäuschungen eines WG-Zusammenlebens („Bitter Queen“). Von unerfüllter Sehnsucht („If I Only“), vom Sich-selbst-im-Weg-stehen („Who Would Have Thought“). Und doch – fast immer ist spätestens am Ende des Stückes textlich und musikalisch der Ausblick auf Neues, Helleres sichtbar. Oder die Erkenntnis, den tiefsten Punkt vielleicht schon überwunden zu haben: „All The Stars“ handelt vom aufkeimenden Bewusstsein, dass Hoffnung und Heilung manchmal erst sichtbar werden, wenn man mit dem Gefühl am Boden liegt, alles verloren zu haben.

 

Dazu stellen die adaptierten Folksongs mit ihren rebellisch-humorvollen und feministischen Anklängen eine perfekte Ergänzung dar. Im kapitalismuskritischen „The Raggle Taggle Hippie“ entscheidet sich die Frau eines reichen Gutsherrn spontan für ein Leben mit den umherziehenden Hippies. Die Bauernmagd in „The Maid That Sold Her Barley“ widersteht dem lukrativen Verführungsangebot des Edelmanns und bleibt lieber unabhängig. „Lanigan’s Ball“ beschreibt die Vorfreude und den Verlauf eines Festes mit allen dazugehörigen Köstlichkeiten, welches am Ende in grotesker Manier inklusive Massenprügelei im Chaos versinkt.

 

Politisch wird es mit der Umdeutung des Piratensongs „High Barbary“. Im ursprünglichen Ballade aus dem 16. Jahrhundert sind es Seeräuber, die vor der nordafrikanischen Küste dem Ertrinken überlassen werden. In ihrer Version wollen Roods & Reeds den Text als Metapher für die Situation der heutigen Flüchtenden im Mittelmeerraum verstanden wissen – und setzen durch eine Textergänzung am Ende ein klares Statement zum Recht auf Flucht und Asyl.

 

Mit der folkig-traurigen Ballade „Es Geht Ein Dunkle Wolk Herein“ fügt sich das einzige deutsche Stück am Ende des Albums wunderbar ein. Es ist ein Gruß in die Vergangenheit, denn es stammt aus dem Live-Repertoire der vorherigen Formation von Roods & Reeds als Duo mit dem Gitarristen Leonard Poppe, der in diesem Track mit zweiter Gitarre und Background-Gesang zu hören ist.

 

Hintergrund:

Dagmar Lauschkes Affinität zur anglo-irischen Folkmusik und zur englischen Sprache stammt zum einen aus einer frühen Banderfahrung als Sängerin in der Hamburger Polit-Folkband The Roving Bottles. Zum anderen verschlug es sie nach dem Abitur für anderthalb Jahre u. a. als Straßenmusikerin nach Irland, später folgte ein einjähriges Auslandsstudium in Belfast/Nordirland.

Nach einer leichten Übersättigung, was die Folkmusik betraf, probierte sie in den Jahren danach diverse Genres zwischen Rap, Funk, Soul und Jazz aus. 2015 gründete sie, einer wieder aufgeflammten Sehnsucht folgend, das Folkprojekt Roods & Reeds (roods = Tuchellen/altmodische Maßbänder; reeds = Webkämme) mit Fokus auf einem akustischen Sound. Sie begann, eigene Songs zu schreiben und Traditionals neu zu arrangieren, die es bis ins irische Radio schafften. Das Debütalbum The Loom Goes Click (Labelship/Broken Silence) brachte sie gemeinsam mit ihrem damaligen Duopartner Leonard Poppe heraus, der das Projekt jedoch 2020 verließ, um andere musikalische Interessen zu verfolgen.

 

„Mich erinnern Roods & Reeds an die frühen Siebziger, als mit Pentangle, Bert Jansch oder John Martyn die Folk-Avantgarde in England einen deutlichen Bezug zum Jazz hatte. Die Verbindung von Melancholie und Groove ist angenehm zu hören. Feine Musik für einen ‚Summer in the City‘“ schrieb Celtic-Rock zum ersten Album, Sounds&Books fand in ihm „filigranen Folk“, gaesteliste.de die „zuweilen recht komplex strukturierten Songs, die vielschichtig akustisch garniert werden und zuweilen mit angenehmen Melodiebögen zu überzeugen wissen“ und der Terrorverlag meinte: „handgemacht und einfach schön für alle Liebhaber der anglo-irischen Folktradition“.


Roods & Reeds: Who Would Have Thought

Label: Roods & Reeds / Vertrieb: RecordJet

CD, digital

EAN: 4068992115450

VÖ: 11.10.2024

Weitere Informationen (Band)

 

Tourdaten:

12.10.2024 Hamburg / HausDrei (Releasekonzert)

18.10.2024 Insel Baltrum / Haus des Gastes

30.11.2024 Magdeburg / Volksbad Buckau

27.12.2024 Engerhafe/Ostfriesland / Folkfestival zwischen den Jahren

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