Film

An einem verregneten Tag im indischen Ahmedabad stieß Isabel Herguera in einer Buchhandlung auf den Science-Fiction-Band „Sultanas Traum“, geschrieben 1905 von Rokeya Hossain, ein Pionierwerk feministisch-utopischer Literatur. Sofort wusste die spanische Regisseurin, dies würde ihr nächster Animationsfilm.  

 

„Sultanas Traum“ entwickelt sich zur künstlerisch frappierende Vision weiblicher Selbstbehauptung. Unterschiedliche Animationstechniken spiegeln die miteinander verflochtenen Handlungsebenen und deren kulturellen Ursprung.

 

Unsicherheit, Angst, das ist der Ausgangspunkt von Isabel Hergueras Social-Fiction-Epos: Ein 11jähriges Mädchen im roten T-Shirt Abends allein auf einer Parkbank, sie wartet auf den Vater, ein seltsames Geräusch im Dunkel lässt sie zusammenzucken, aufgescheucht flattern zwei Vögel davon, die Blicke eines fremden Mann taxieren die Elfjährige, sie fühlt sich allein, hilflos, spürt zum ersten Mal etwas, das fast alle Mädchen und Frauen im Laufe ihres Leben immer wieder durchmachen müssen, das Gefühl „Ich habe Angst, weil ich eine Frau bin“. Ein Gefühl, das nie ganz verschwindet. 

 

Die Ich-Erzählerin aus dem Off, Protagonistin und Alter-Ego der Regisseurin, ist Inés, eine junge spanische Künstlerin, ein wenig verloren, ohne Leidenschaften oder langfristige Ziele. Dann aber entdeckt auch sie in einer Buchhandlung „Sultanas Traum“ von Rokeya Hossain, oder Begum Rokeya genannt (1880 - 1932). Fasziniert von den kühnen Visionen der muslimischen Feministin und Sozialreformerin aus dem damaligen Bengalen, beginnt Inés eine Reise quer durch Indien auf der Spuren der Schriftstellerin und ihrem sagenumworbenen „Ladyland“. Die Novelle erzählt von einer Gemeinschaft, wo nach den verheerenden Folgen des Krieges die Frauen sich entschlossen haben, in Zukunft selber zu regieren, die Männer werden zum Wohle aller ins Haus verbannt, dort kümmern sie sich um die Babies, kochen und erledigen alle anderen häuslichen Pflichten. So braucht keine Frau mehr einen Schleier tragen, um sich vor unzüchtigen männlichen Blicken zu schützen. Eine logische und eigentlich naheliegende Lösung, es ist das Ende von Kriminalität und Kriegen, in „Ladyland“ bestimmen Gerechtigkeit und Harmonie den Alltag. Die Frauen leben in Einklang mit der Natur, haben gelernt Sonnenenergie und Wasserkraft zu nutzen, gleiten in Flugvehikeln über ihr Land.

 

Sultanas Traum Still 01 C Luftkind Filmverleih

Sultanas Traum. © Luftkind Filmverleih

 

Die Magie und audiovisuelle Kraft von „Sultanas Traum“ liegt in der künstlerischen Umsetzung seiner unterschiedlichen Animations-Techniken. Die Gegenwart von Inés, gemalt im Aquarellstil der frühen Moderne, ist eine traditionelle 2D Animation, fast fühlt es sich an, als würden die Zeichnungen der Protagonistin ein eigenständiges Dasein entwickeln. Bestechend die fast transparenten meist nur schemenhaften Hintergründe, sie wurden komplett analog mit Aquarell gemalt, die Figuren digital. Beneidenswert jene Freiheit, die in diesem Genre steckt mit seinen vielen ironischen Details, ob ein Hund gähnt, sich kratzt, mit jeder Faser seines Körpers Missfallen signalisiert oder weiße Languren mit scheinbar wutverzerrten Gesichtern plötzlich einen Wagen verfolgen. Das vielschichtige Nebeneinander, Gegeneinander von Eindrücken ist überwältigend und hat doch zugleich die humorvolle Lässigkeit des beiläufig Zufälligen, des sich Treiben Lassens. Ein Spiel von Schatten und Licht, wundervoll die gebrochene Farben, die filigranen Äste der Bäume, das Gewirr alter Leitungen auf den Landstraßen, jeder Stacheldrahtverhau ist für sich ein Meisterwerk. Chaos und Schönheit liegen dicht beieinander, Geräusche und Stimmen vermischen sich, während die Protagonistin im Voice-over über Patriarchat und eigene Beziehungen reflektiert. Ihr Vertrauter ist der spanische Philosoph und Queer-Theoretiker Paul B. Preciado, der die Rolle für den Film auch eingesprochen hat. Noch gelingt es Inés nicht selber zu träumen, aber sie lässt die Eindrücke auf sich einwirken, von Unsicherheit ist bei ihr wenig zu spüren, aber vielleicht hat sie als Kind schon gelernt, Gefühle wie Angst zu verbergen, auch das wird diese Reise zu sich selbst vielleicht verändern. 

 

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Die Sequenzen über das Leben von Rokeya spielen im Indien des frühen 20. Jahrhunderts und sind in der Cut-Out-Technik ausgeführt, die von dem zu jener Zeit typischen Schattentheater inspiriert ist. Für die Realisierung der biographischen Rückblenden wurde das Filmteam von einer Gruppe von Künstlern und Handwerkern beraten, die auf den Bau von Schattentheater spezialisiert sind. Die Animation fand direkt unter der Kamera auf einer Mulitplane statt. Die Hintergründe sind handgemalt auf Seidenpapier, durch die Beleuchtung dahinter entsteht die charakteristische Transparenz und Lichttextur. Das Schattentheater wird in der Regel von einem Erzähler oder einer Erzählerin begleitet. Daher hatte das Team Wert auf eine Klangbehandlung gelegt, die diesen populären Charakter aufnimmt. Sängerin Moshumi Bhowmik schrieb den Text in Form eines Gedichts, die Musik komponierte Tajdar Junaid. Kerzen beleuchten die Hintergründe, um die Atmosphäre des Schattentheaters authentisch wiederzugeben. 

 

Sultanas Traum Still 02 C Luftkind Filmverleih

Sultanas Traum. © Luftkind Filmverleih

 

Die „Ladyland"-Szenen sind eine freie Adaption von Rokeya Hossain „Sultana’s Dream“. Dieser Teil ist vollständig dem Mehndi-Stil (ornamentale Körperbemalung) nachempfunden, wobei ausschließlich Henna verwendet wurde. Im Laufe der Produktionsjahre hat das Team mehrer Workshops mit Expertinnen dieser Kunst in Ahmedabad, Mumbai, Bangalore und Kalkutta absolviert. „Ladyland" wurde in Zusammenarbeit mit dem Frauenkollektiv und der Genossenschaft Self Employed Women's Association (SEWA) realisiert, die sich vor allem für die Stärkung und Unabhängigkeit von berufstätigen Frauen einsetzt. Während der Workshops entwarfen und gestalteten Mehndi-Künstlerinnen alle Elemente und Figuren, aus denen sich die „Ladyland"-Szenen zusammensetzen. Die Verwendung dieses Stils schien die bestmögliche Hommage an Rokeya Hossain und ihre Traumwelt zu sein. Das temporäre Mehndi Tattoo ist ein Vorrecht der Frau, das traditionell mit Hochzeit oder Festen verbunden ist und Weiblichkeit symbolisiert. Viele Mehndi-Künstlerinnen haben für „Sultanas Traum“ zum ersten Mal auf Papier gemalt. In „Ladyland" mischen sich traditionelle Klänge und Musik, die in einem Studio in Indien aufgenommen wurden (Banshuri, Star, Trommeln, Wiegenlieder) mit Elementen zeitgenössischer Musik. Populäres trifft auf Avantgarde, die Gegenwart auf eine Utopie. 

 

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Sultanas Traum

Originaltitel: El sueño de la sultana

Regie: Isabel Herguera 

Drehbuch: Isabel Herguera, Gianmarco Serra

Darsteller (Stimmen): Miren Arrieta, Mary Beard Roberto Bessi, Paul B. Preciado, Mireia Gabilondo

Produktionsland: Spanien / Deutschland, 2023

Länge: 83 Minuten 

Kinostart: 7. März 2024

Verleih: Luftkind Filmverleih

 

Fotos, Pressematerial & Trailer: Luftkind Filmverleih

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