Bildende Kunst

Werke der Schweizer Künstlerin Hannah Villiger (1951-1997) sind zurzeit im Museum für Moderne Kunst Weserburg, auf dem Werder am Zusammenfluss der Kleinen Weser mit Weser, zu sehen.

Der Titel der Ausstellung „Ich bin die Skulptur“ lenkt gleich in mehrerer Hinsicht die Aufmerksamkeit auf den Begriff „Werk“ denn künstlerische Ideen der 1960er bis 1980er Jahre fokussierten die Kombination von Objekt, Künstler und Betrachter/Benutzer als eine Einheit.

 

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Franz Erhard Walther betitelte einige seiner Werkzeichnungen in den 1960er Jahren identisch und verwies auf seinen Ersten Werksatz, einer Reihe von Einzelarbeiten, die in einem Werksatz zusammengefasst waren und benutzt werden sollten. Der menschliche Körper – das heißt jede/jeder – war Teil des Werks und erst durch die Benutzbarkeit sollte sich so etwas wie Werk überhaupt erst einstellen. Gleiches gilt für Walthers Schreibahnen, Standstellen und Wandformationen der 70ger und 80ger Jahre, die für sich Sockel waren und erst durch eine oder mehrere Personen partizipativ zur Vollendung gelangten.

 

Ob Hannah Villiger Walthers Oeuvre so kannte oder darin begrifflich eingetaucht war, sei dahingestellt – ihr Ansatz war ein anderen, deutlich selbstreferenzieller.

Die 1951 in Cham im Kanton Zug geborene Künstlerin studierte an der Kunstgewerbeschule in Luzern und zog 1977 nach Basel.

 

Ihre frühen Arbeiten und Skizzen aus dieser Zeit sind in der Tat auf Dreidimensionales, auf Skulpturales fokussiert, sie fertigt verschiedene kleine Modelle an, die erst später „groß und im öffentlichen Raum“ umgesetzt werden sollten. Sie experimentiert mit Licht und Spiegelungen, verschiedenen Materialien, um eine neue „Körperlichkeit“ zu bewirken, die die eigene Gestalt zum begehbaren oder zum umrundenden Werk in direkte, unmittelbare Verbindung setzt.

 

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Ab 1983 nimmt sie ihre bildhauerischen und skulpturalen Ideen mit in die Fotografie. Oder andersherum gesagt: sie benutzt Fotografie für ihre skulpturalen Forschungen. Sie fotografiert mit Polaroidtechnik, einem Sofortbildsystem, dass innerhalb weniger Minuten sich selbst entwickelt und Unikate schafft. Üblicherweise dient das Polaroid Profifotografen als Orientierung, als Überprüfung, ob Licht, Objekt, Raum in das Verhältnis gesetzt sind, das danach taugliches Foto werden darf. Villiger jedoch ließ das Polaroid selbst vergrößern, als mittelformatigen C-Print drucken und mit anderen Aufnahmen kombinierte sie teilweise diese zu Blöcken.

 

War sie im Arbeitsprozess zunächst Suchende, Tastende und Forschende wird sie in der Präsentation klar und strukturiert. Sie fasst Ihre auf dünnes Aluminium aufgezogene Fotobilder zu Blöcken zusammen und verteilt diese rahmenlos und abstandsgleich auf eine Wand. Die einzelnen Bilderzählungen scheinen kompromisslos zu sein, sie sind in ihrem repräsentativen Ergebnis auf den Punkt gebracht. In der Bremer Ausstellung wird diese Konsequenz ganz und gar deutlich, da die Räume, mit ihrer Nüchternheit, dem künstlerischen Interesse entgegenkommen.

 

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Blick in die Ausstellung. Foto: Claus Friede

 

Die südafrikanisch-britische Kunsthistorikerin Griselda Pollock schreibt in ihrem Katalogtext: „Der Körper, mein Körper. Ihr Körper“, Hannah Villiger sei schnell als eine der großen Künstlerinnen ihrer Generation gefeiert worden. Das kann man so nicht unterschreiben, schon gar nicht, dass sie „gefeiert“ wurde. Die emeritierte Professorin der University of Leeds hatte jedoch bereits seit den 1980ern mit ihren Feminist Interventions in Art's Histories einen anderen Blick auf die Kunst und deren Rezeption gesetzt, der essenziell und nachhaltig auch das Werk von Hannah Villiger einordnet.

 

Einen heute weiteren Blick, mit anderen, neuen Gesichtspunkten auf das Werk von Villiger zu richten ist vielversprechend. Gelungenerweise lässt sich dies zurzeit und noch bis 10. September in Kombination mit einer Ausstellung in der Bremer Kunsthalle überzeugend verifizieren: „Generation*. Jugend trotz(t) Krise“ heißt die Ausstellung, die vergleichbare Themen aufgreift nur eben aus heutiger Sicht. Hier wird u.a. die Entdeckung des Selbst mit der Entdeckung der Welt als Entwicklungs- und Findungsprozess kuratorisch-künstlerisch thematisiert und lässt im Zusammenspiel beider Ausstellungen, Hannah Villiger in diesem Kontext als Vorreiterin und Kontrapunkt eintreten. Die Hypermedialisierung der Körper von jungen Menschen – vor allem in Sozialen Medien – und deren Inszenierungen mit teilweise fragwürdigen Identitäten konterkariert die analoge Körperhaftigkeit im Werk Villigers. „Body Positivity“ ist der neue Begriff und eine Bewegung, die sich für die Abschaffung unrealistischer und diskriminierender Schönheitsideale einsetzt und psychische Gesundheit damit proklamiert. Hannah Villiger ging trotz ihrer Krankheit, Lungentuberkulose und wiederkehrenden Beschwerden, recht natürlich mit ihrem Körper um. Und bis heute strahlen die Fotografien, ob Einzelwerke oder Blöcke, „Body Positivity“ aus, mehr noch, sie sind nachhaltige kulturelle Werte geworden.
Eine überaus sehenswerte Erweiterung, die die Besucher beider Ausstellungen entdecken können. Die Ausstellungspraxis von Hannah Villiger in diesem Kontext könnte sich verstärken.

 

Als Hannah Villiger 1994 – gemeinsam mit Pipilotti Rist – die Schweiz auf der 22. Internationalen Biennale von São Paulo vertritt, kombiniert sie ihre anfängliche dreidimensionale Arbeit mit ihrer dreidimensional gedachter Fotografie. In einem großen Iglu-Zelt-artigen Ausstellungspavillon von Herzog & de Meuron ließ Villiger einen 13 x 16 Meter großen sternförmigen Holzkörper errichten, um daran ihre Werke zu zeigen. Das Objekt verschmolz mit der Fotografie und wurde zu einer intensiven, ganzheitlichen Installation.

 

Hannah Villiger denkt räumlich, bei allem, was sie tut. Mal überwindet sie diese durch Nähe, mal durch Distanz, mal, indem sie Sehgewohnheiten aushebelt und Orientierungen aufhebt. Ein Baukörper steht nur scheinbar auf dem Kopf, bei längerem Betrachten wird der Wohnblock zum skulpturalen Objekt. Die zurückgenommene Farbigkeit unterstützt die Anatomie der Architektur. Das Laubdach eines Baumes füllt die Fläche, scheint an seinen Spitzen zu glühen und schiebt sich ins Eigenleben.

 

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Hannah Villiger: Skulptural, 1985/85 und Platz / Square, 1985, C-Print ab Polaroid auf Aluminium. © Foundation The Estate of Hannah Villiger

 

Psychologisch ist Villiger konsequent in ihrem Werk: „Ich benutze mich selbst, um von mir wegzukommen“ und „Ich steige selbst in mich hinein“, analysierte sie ihre Vorgehensweise. In über 50 Arbeitsbüchern ihres Nachlasses, der im „The Estate of Hannah Villiger“ zusammengefasst ist, lassen sich ihre inneren und äußeren Befindlichkeiten herausfiltern. Intuition, formales Geschick, inhaltliche Konsequenz sind die Zutaten, die überzeugen. Sie verweigert sich eigenen intellektuellen, philosophischen Interpretationen, schließt sie aber damit auch nicht aus oder ein.

 

Der eigene Körper ist Landschaft oder Skulptur, aus der sie fragmentiert und später neu zusammensetzt. Licht und Schatten spielen wie bei einem Gemälde der „clair-obscur“-Malerei in der Zeit der Spätrenaissance eine bedeutsame Rolle. Räumlichkeit und Ausdruck werden so gestaltet, und die Körperelemente werden herausgehoben.

 

Gestische Formen, Haltungen von Extremitäten, die an Gebärdensprache, an tänzerischen Ausdruck oder Filmstills erinnern können. „Ich habe mein Arbeitsmaterial immer bei mir“ sagt sie in einem Interview, „mein Körper, meine fleckige Haut wirken auf den Polaroids wie Malerei.“ Ihre unbestrittene Leistung ist, dass sie es schaffte, das Medium Fotografie künstlerisch neu zu definieren, integrieren und unabhängig zu machen von der Dokumentation und dem Abbild.

 

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Hannah Villiger: Block XXX, 1993/94, 6 C-Prints ab Polaroid auf Aluminium. Kabinett Herzog & de Meuron. © Foundation The Estate of Hannah Villiger

 

Ein besonderes Merkmal der Ausstellung in der Weserburg ist, dass neben Janneke de Vries (Direktorin des Hauses), der Schweizer Künstler Eric Hattan einen eigenen Beitrag und damit eine eigene Annäherung an Villgers Werk vorlegt. Sie waren nicht nur befreundet, Hattan ist Vermittler und später Co-Kurator für die Stiftung „The Estate of Hannah Villiger“.

Durchaus behutsam und respektvoll addiert Eric Hattan auf die Rückwände alter brasilianischer Transportkisten als Projektionsort seine im Atelier Villigers aufgenommene Videos sowie auf grüngestrichenen Holzobjekten und unter Glasplatten eine Auswahl von farbigen Kopien aus den Arbeitsbüchern der verstorbenen Künstlerin. Subjektiv und etwas willkürlich wirken Auswahl und Gesamtaddition dennoch, unterscheiden sich jedoch glücklicherweise deutlich von den Auffassungen Hannah Villigers, sodass Verwechslungen eher ausgeschlossen sein dürften.

 

Hannah Villiger starb zu früh, zu jung an den Folgen einer Tuberkulose, Lungenentzündungen und schließlich an Herzversagen 1997.


Hannah Villiger: Ich bin die Skulptur

Zu sehen bis 8. Oktober 2023 in der Weserburg, Museum für Moderne Kunst, Teerhof 20, 28199 Bremen

Geöffnet: Di.-So. 11-18 Uhr, Mo. geschlossen

Weitere Informationen und Veranstaltungen (Museum)

 

Weitere Informationen zur Ausstellung Generation*. Jugend trotz(t) Krise in der Kunsthalle Bremen.

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