Reisen
Palazzo Ross. Foto: Liguria Digitale

Vom 16. bis 23. Mai finden die sogenannten „Rolli Days“ von Genua Corona-bedingt im Internet statt. Im Rahmen einer ganzen „Rolli Days Digital Week“ können dieses Jahr Kunstliebhaber und Reiselustige auf wunderschönen Filmaufnahmen und Fotos durch die Schlüssellöcher verschlossener Prachtbauten der Aristokratie blicken.
Eine virtuelle Reise durch Genuas Altstadt, ihre Gassen, Innenhöfe und Säle hinter den eleganten Häuserfassaden beginnt: In den kommenden sieben Tagen erwarten den Zuschauer überraschende historische Momente, exklusives südliches Meer- und Kunstflair sowie neue, aufregende Emotionen angesichts sonst nicht zugänglicher Kulturstätten.


Die „Rolli“ sind die Patrizierhäuser der sogenannten Goldenen Epoche der Genueser Architekturgeschichte. Hier lebten einst die Reichen und Schönen der
Kolumbus-Stadt, und hier leben und arbeiten sie auch heute noch in einem kulturell hochwertigen Ambiente, dessen sich die Heimatstadt des internationalen Stararchitekten Renzo Piano rühmt. Der elegante Altstadtkern gehört mit seinen „Rolli“ seit 2006 zum UNESCO Weltkulturerbe. Zwei Mal im Jahr öffnen die Hausherren anlässlich der traditionellen „Rolli Days“ die Türen ihrer eindrucksvollen Adelshäuser, die zu den architektonisch wertvollsten in ganz Europa zählen. Der Name der als „Rolli“ bezeichneten Gebäude leitet sich vom Begriff der sogenannten „rolli“ – zu Deutsch: „Rollen“ – ab. Denn über Jahrhunderte bewahrte man die Dokumente „zusammengerollt“ auf. Auf diesen Rollen waren alle Herrschaftshäuser „gelistet“, die von den Stadtherren als würdig, vornehm und edel genug befunden wurden, um Staatsbesuche oder hochrangige Geschäftsleute, die von außerhalb in den republikanischen Stadtstaat kamen, empfangen zu dürfen.

 

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Anstatt einem königlichen Hof einen Besuch abzustatten, konnten auf Grund dieser Regelung Botschafter, Bischöfe oder Fürsten während ihrer Genua-Aufenthalte in den kultiviertesten Kreisen der reichsten Familiendynastien der Handelsstadt verkehren. In der autark regierten Republik „networkten“ bereits Europas berühmteste Staatsmänner, Geschäftsleute und Künstler der Renaissance direkt an den Schaltzentralen der Macht in den Sälen und Fluren der Entscheidungsträger, während sie in den wechselnden repräsentativen Räumlichkeiten logierten und im urbanen Zentrum den Blick über kultivierte Gärten schweifen ließen und von herrschaftlichen Terrassen aus das glitzernde Meer genossen.

Durch die Einführung der „Rolli“ verordnete die „Herrliche“ Stadt – auf Italienisch: „La Superba“ – ihrer betuchten Oberschicht quasi per Dekret jene ehrenvolle Gastfreundschaft, die sich heute noch in den „Rolli Days“ widerspiegelt. Während dieser Tage ist alljährlich in besagter Tradition jeder Tourist eingeladen, die privaten, z.T. auch privatwirtschaftlich für Betriebe, kleine Büros oder Speditionsfirmen tagtäglich noch genutzten, historischen Stätte aufzusuchen und öffentlich zu bewundern. In die Liste der Ligurien-Fans reihen sich auch deutsche Kulturgrößen der Geschichte ein, die in und rund um Genua Station machten: So besuchten Klaus und Erika Mann San Remo, Christian Morgenstern und Franz Werfel Portofino, Heinrich Heine hinterließ uns seine „Tagebuchnotizen aus Genua“, bevor es Jacob Burckhardt, Paul Heyse und Friedrich Nietzsche in die „Superba“ verschlug, und der Deutschschweizer Heinrich Leuthold Genua, Nervi und Recco, und Hermann Hesse La Spezia poetisch beschrieben.

Die mediale Reise im Rahmen der „Rolli Days Digital Week“ hingegen bietet im digitalen Zeitalter sieben Tage lang – von einem Samstag bis zum nächsten – von morgens bis abends im Zwei- bis Drei-Stunden-Takt täglich bis zu insgesamt neun bislang unveröffentlichte Online-Videos an. Zu dieser Armsesselreise ist jeder eingeladen, der kunstvolle Fresken, historische Säle und atemberaubende Architektur liebt und für ein paar erholsame Minuten zwischendurch in die wechselvolle Geschichte der ehemaligen Seerepublik eintauchen möchte. Zwölf junge Wissenschaftler inszenieren für den Zuschauer unter der Ägide des Kurators Giacomo Montanari in den Filmsequenzen einen Gang durch die fürstlichsten Gemächer, die sich hinter den Fassaden der Prunkbauten von Genua verbergen, erläutern die geschichtlichen Hintergründe und erzählen oftmals unbekannte und kuriose, historisch überlieferte Anekdoten zu den einzelnen Häusern. In kurzweiligen „Takes“ versuchen die Moderatoren aus der Ich-Perspektive den Wissensdurst des Publikums zu entfachen und – zumindest bis zum nächsten Video – zu befriedigen. Zudem werden ab dem 16. Mai eigens für die „Rolli Days“ gedrehte, ca. 8-10 Minuten lange, neue Trailer gezeigt, die den Digitalreisenden mit Hilfe von Musik und Bilderwelten durch die traumhaften Innenräume der Paläste entführen.

Vier dieser privaten Räume, die online zu sehen sein werden, sind bislang noch nie zuvor für die öffentliche Besichtigung freigegeben worden und feiern jetzt 2020 ihre mediale Eröffnung im Netz. Drei dieser Premieren wären – würden die „Rolli Days“ dieses Mal nicht exklusiv im Internet stattfinden – der Öffentlichkeit unter normalen Bedingungen nicht zugänglich gewesen, und der Zutritt wird dem Massentourismus wohl auch in Zukunft verwehrt bleiben. Die digitale Reise erschöpft sich somit nicht darin, eine Nachahmung der rein physischen Erfahrung zu sein, sondern erweist sich auch als veritable Ressource, die uns Orte erschließt, die man andernfalls nicht zu Gesicht bekäme. Das Videomaterial steht teilweise auch auf Englisch zur Verfügung und stößt ein Fenster zum suggestiven Interieur der Residenzen aus Genueser Glanzzeiten auf. Von unterschiedlichen Blickwinkeln aus entdeckt der Zuschauer die Familiengeschichte der Hausbesitzer, deren Schicksale und Reichtümer: digitaler Anschauungsunterricht über die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen Genuas, die außergewöhnliche Begabung der Künstler dieser Stadt, die Mythen und Legenden, die sich auf den Wänden und Zimmerdecken abbilden, sowie die versteckten Gärten und wertvollen Kunstgegenstände, die sich seit Generationen im Besitz hier ansässiger norditalienischer Adelsfamilien befinden.

Die „digitale Woche“ erzählt die Geschichte der Genueser „Rolli“ in den unterschiedlichen Sprachen der Künste: Musikalisch interpretiert Andrea Cardinale die „Capricci“ von Paganini im atmosphärischen Paganini-Saal des Palazzo Tursi. Igor Chierici widmet den Worten von Künstlern und Schriftstellern, die die Stadt und das ligurische Meer zu ihrem Thema gemacht haben, eine eigene Performance-Reihe, und auch im Tanz finden die Geräusche und Farben der Hafenstadt ihren Ausdruck. Zu guter Letzt unternimmt eine Gruppe junger „Genueser Gourmet-Chefs in Quarantäne“ einen Streifzug durch die lokale Küche, indem sie ein innovatives „Rolli-Menü“ beisteuert, das sich reichhaltiger Zutaten aus der Region bedient.

Um dem Internetpublikum eine Woche lang die Schönheit Genuas direkt frei Haus zu liefern, führt diese etwas andere „Reise“ im Rahmen der „Rolli Days Digital Week“ nicht nur durch insgesamt 12 „Palazzi“, sondern auch ins städtische Diözesanmuseum und durch die Kunstsammlung der ortsansässigen Carige-Bank. Außerdem richten zwei Videofolgen ihr Augenmerk auf eine „Ausstellung, die es gar nicht gibt“ – auf Italienisch: „La mostra che non c’è“. Diese virtuelle Ausstellung des Palazzo Ducale zeigt Genueser Meisterwerke, die sich nicht mehr vor Ort in Genua befinden, und präsentiert Kunstwerke, die die Besitzer einiger der denkmalgeschützten Wohnhäuser, die zu den „Rolli“ gehören, ihr Eigen nennen.

Zu den vier Altbauten, deren Inneres die „Rolli Days Digital Week“ erstmalig einem breiten Publikum als Neuheit vorstellt, zählt zunächst der Palazzo Interiano Pallavicino (Piazza Fontane Marose 2), der den Reiz einer Wohnstätte versprüht, die ohne Unterbrechung bis heute bewohnt geblieben ist. Dann der Palazzo Squarciafico (Piazza Invrea 5): Er trumpft mit einer bemalten Fassade auf, die zeitweise für das Werk Raffaels (1483-1520) gehalten worden ist. Und während sich der Palazzo Spinola Pessagno (Salita Santa Caterina 3) durch einen außergewöhnlichen Freskenzyklus aus dem 16. Jahrhundert auszeichnet, der Szenerien aus Genua und Spanien darstellt, gilt der Palazzo Sinibaldo Fieschi (Via San Lorenzo 17) als eines der beeindruckendsten und am besten erhaltenen Architekturbeispiele der Spätrenaissance in Genua.

Die elektronische Live-Zeitreise der diesjährigen „Rolli Days“ verspricht mehr als eine Sonderausgabe der jedes Jahr im Frühling und Herbst stattfindenden „Öffnung der Paläste“ in Genua zu werden. Vom UNESCO-geschützten Architektur-Ensemble Genuas bis hin zum kulinarischen Exkurs in die ligurische Küche katapultiert das Videoprogramm den deutschen Italienliebhaber und diesen Sommer Daheimgebliebenen von seinem „Balkonien“ auch in die Privatsphäre des Lebens hinter den Mauern von vier Genueser Palästen, die für das kunstinteressierte Publikum noch nie einsehbar gewesen sind. Somit wartet das Programm der „Rolli“ dieses Jahr nicht nur mit einigen virusfreien Überraschungen auf, sondern auch mit der einen oder anderen kunsthistorischen Neuigkeit. Dieses Novum und diese Botschaft schickt uns die sich langsam wieder dem öffentlichen Leben zuwendende Hafenstadt nun über eine ganze Woche verteilt virtuell in die Wohnzimmer als Augenschmaus und Gruß aus dem Süden herüber: Genuas kultureller Reichtum und Erfindungsgeist sind noch lange nicht ausgeschöpft, geschweige denn, versiegt.


„Rolli Days Digital Week“

16. bis 23. Mai 2020 – Surfen durch Genuas Paläste

Weitere Informationen (engl.)
Liste der Rolli (dt.)

YouTube-Video:
Rolli Days Digital Week 16 - 23 maggio 2020 - Cosa sono i Rolli (ital.)

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