Ein Reisebericht über ein ungewöhnliches Museum in Taiwan.
Es ist eine Geschichte, die filmreif wäre, nach der Devise: vom „Tellerwäscher zum Milliardär“.
Im Pazifik tobt der Krieg, Taiwan (damals: Formosa) ist japanische Kolonie seit 1895 und unter vollständiger Kontrolle. In diesen Kriegszeiten wuchs Wen-Long Shi in einer armen Familie mit zehn Geschwistern in Tainan auf. Der Vater ist fast zwei Jahrzehnte lang arbeitslos und kann die Familie nur schwer durchbringen. Der kleine Junge vertreibt sich die Zeit in einem nahegelegenen kleinen Museum – der Eintritt ist frei.
Damals sagte er sich: ein Museum möchte er auch einmal haben. Und Shi arbeite an seinem Traum...
Der heute 91-jährige Milliardär (laut Forbes 2018: Platz 23 der reichsten Menschen der Welt), der durch die Gründung und den Aufbau des Petrochemie-Unternehmens Chi Mei Group – eine der größten Kunststofffirmen Asiens – ein Vermögen gemacht hat, hat sich seinen Traum längst erfüllt.
Das 1992 im Verwaltungsgebäude der Chi Mei Corporation untergebrachte Museum wurde 2014 in den Tainan Metropolitan Park verlegt und 2015 in einem neuen Gebäude und neuem alt-wirkenden Glanz eröffnet.
„Mein Museum dient nur einem Zweck: für jeden zu existieren", schreibt der Philanthrop auf der Homepage seines Museums. Und auch die folgenden Aussagen passen zur Geschichte von Herrn Shi. „Viele Menschen in Taiwan fragen uns, warum wir fast ausschließlich westliche Kunstwerke statt chinesischer oder taiwanischer Kunst sammeln“, erklärt Patricia Liao, stellvertretende Direktorin der Chimei Museum Foundation und antwortet auch gleich: „Der Grund liegt darin, dass unser Gründer die Vorstellung hat, dass es für arme Leute (wie er es einst war) sehr schwierig wäre, nach Europa, nach Großbritannien, Deutschland, Italien, Frankreich oder in die Vereinigten Staaten zu reisen, um all diese verschiedenen Werke sehen zu können. Deswegen sind sie nun hier in Taiwan zu sehen."
Von außen erinnert der Museumsbau an europäische Vorbilder und überhaupt hat der Museumsgründer eine augenscheinliche Liebe zur europäischen Kultur. Architektonisch angesiedelt zwischen dem Schloss von Versailles und dem Bundesverwaltungsgericht in Kassel.
Innen wirken Foyers, Hallen, Aufgänge, Flure und viele der Ausstellungsräume gewaltig. In der hellen Skulpturenhalle mit Oberlicht wirken die Antiken Standbilder wie zuhause.
Wie bei den meisten großen privaten Sammlungen sind nur wenige Menschen an den Entscheidungen beteiligt, unter welchen persönlichen Prämissen gesammelt wird, wie eine Sammlung aufgebaut ist und wie sie schließlich ausschaut. Das ist das Vorrecht eines Sammlers, nach seinen Vorlieben zu gehen. Selten geht es um Vollständigkeit, aber es geht um Beziehungen, Bezüge und Kommunikationen und da nimmt die Chimei Museum Foundation eine positive Sonderstellung ein, denn in allen aufgezählten Bereichen, insbesondere in der Art und Weise der Präsentation, hat die Stiftung hervorragendes geleistet.
Die Sammlung des Museums umfasst ungefähr 4.000 Objekte, hauptsächlich europäische Kunst, historische Musikinstrumente und Waffen und Rüstungen aus europäischer und orientalischer Produktion.
Eine eigene Abteilung setzt sich auch mit Naturgeschichte auseinander, Räume voller Tierpräparate und Fossilien, sowie (dem) Fischen (als Kreatur und als persönliches Hobby verstanden).
Besonders bedeutungsvoll sind die Sammlungen von Gemälden und Skulpturen von der Frührenaissance bis ins frühe 20. Jahrhundert.
Auch hier gilt der bemerkenswerte Reiz von Einzelwerken, die in den Räumen mit anderen Gemälden in einen Dialog treten, der in anderen Museen so nicht stattfinden würde. Das Meisterwerk von Lucas Cranach d.J. (1515-1586): „Christus segnet die Kinder“ (1540) korrespondiert mit Werken von Hans von Aachen und anderen Gemälden des europäischen Barocks. Chronologie und nicht Themen sind der Führungstenor durch die Sammlungsräume.
Herr Shi liebt es, selbst zu malen und so hat seine riesige Sammlung ab und zu den Charakter, als ob er sich mit diesen Werken privat umgibt. Zwischen den puren Ausstellungsräumen, an deren Wänden ausschließlich Gemälde hängen, wird man im nächsten Raum von Mobiliar überrascht, das aus der gleichen Epoche stammt wie die Bildwerke. Die Atmosphäre wird wohnlich und die Bilder scheinen mit dem damaligen Leben zu pulsieren und im Einklang zu stehen.
Besonders stolz – und das ist nachvollziehbar – sind Sammler, Stiftung und Museum auf den Auguste Rodin (1840-1917) gewidmeten Raum. Nicht nur eine Bildhauerwerkstatt – die von Albert-Ernest Carriere-Beleuse – ist dort eingerichtet und es riecht förmlich noch nach Arbeit und natürlichen Materialien, sondern auch berühmte Werke des in Meudon bei Paris gestorbenen Bildhauers Rodin. Neben dem großen und schweren Bronzenachguss „Der Denker“ (Le Penseur), inmitten des Raumes unter einer hohen Kuppel, ist ein weiterer zu sehen „Der Kuss“ (Le Baiser).
Es ist eine der weltweit größten Instrumentensammlungen der Violinenfamilie – mit mehr als 1.370 Geigeninstrumenten – im Museum präsentiert. Nicht alle der wertvollen Stücke sind in den Vitrinen zu sehen: wie das älteste spielbare Cello der Welt, das vom Gründer der Cremona-Tradition, dem Geigenbauer Andrea Amati, um 1566 angefertigt wurde. Dafür aber die „Carlo IX“ (1709), eine Violine von Antonio Stradivari sowie die „Viotti-Marie Hall“ und „The Ole“ (1744) von Giuseppe Guarneri del Gesu zu Klang gebracht.
Eine weitere Besonderheit ist der sogenannte Walk-in-Orchester-Raum. Einem Konzert gleich angeordnet werden einzelene Instrumente vorgestellt, an ihrem üblichen und im Orchester vorgesehenen Platz – so wie Beethoven oder Brahms es gerne gesehen/gehört haben. Auf großen Flatscreens sind Musiker zu sehen und hören, die das jeweilige Instrument im Zusammenspiel mit den anderen vorführen. Wer den Raum betritt hört Musik des späten 19. Jahrhunderts: aus Bedřich Smetanas sechsteiligem Dichtungszyklus' – Die Moldau. Die interaktive Installation von Chimei Museum Music wurde vom Nationalen Symphony Orchester Taiwan eingespielt und technisch von Muse Art and Culture Management CO. und Pauliphonic erlebenswert und brillant umgesetzt.
Chimei Museum – A Museum For All
No. 66, Sec. 2, Wenhua Rd., Rende Dist., Tainan City 71755, TaiwanTäglich, außer mittwochs 9:30-17:30h. An Feiertagen geschlossen
Eintritt für Kinder und Bewohner Tainans frei, sonst Eintrittspreise zwischen 150 und 400 TW$
Weitere Informationen (engl.)
Virtueller Rundgang durch die Gemäldesammlung
Virtueller Rundgang durch die Rodin-Galerie
Virtueller Rundgang durch die Violinen-Sammlung
Google-Maps
KulturPort.De — Follows Art dankt dem „Ministery for Foreign Affairs", Taipeh und der Taipeh Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland, Büro Hamburg sowie den Mitarbeiterinnen des Chimei Museum Foundation in Tainan für die Unterstützung.
Abbildungsnachweis:
Header: Der Apollo-Brunnen vor dem Museum. Foto: Chimei Museum Stiftung, Tainan
Bild 1. Rückfassade des Chimei Museums. Foto: Claus Friede
Bild 2. Skulpturenhall. Foto: Chimei Museum Stiftung, Tainan
Bild 3. Waffen und Rüstungen. Foto: Chimei Museum Stiftung, Tainan
Bild 4. Naturkunde Abteilung. Foto: Chimeei Museum Stiftung, Tainan
Bild 5. Gemäldesammlung. Foto: Chimei Museum Stiftung, Tainan
Bild 6. Lucar Cranach d.J. "Christus segnet die Kinder", 1540, Öl auf Eichenholz. Foto: Claus Friede
Bild 7. Ausstellungsraum mit Mobiliar. Foto: Claus Friede
Bild 8. Auguste Rodin-Skupturen. Links: Der Denker, rechts: Der Kuss (61 cm). Foto: Claus Friede
Bild 9. Violinensammlung. Foto: Chimei Museum Stiftung, Tainan
Bild 10.Orchester-Ausstellung. Foto: Chimei Museum Stiftung, Tainan.
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