Meinung

Es gibt diese musikalischen Einspielungen, die bereits bei der ersten Note aufhorchen lassen. Weil man spürt, dass diese Interpretation mit Varianten aufwarten wird, die einem bei anderen Darbietungen bislang nicht begegnet sind.

 

Diesen Fall sehe ich in dem Zusammenspiel der japanischen Violinistin Sayaka Shoji, der russischen Cellistin Tatjana Vassiljeva mit dem Ural Philharmonic Orchestra unter der musikalischen Leitung Kazuki Yamadas realisiert. Vor circa acht Jahren brachte dieses Ensemble das Doppelkonzert a-Moll für Violine, Violoncello und Orchester op. 102 von Johannes Brahms zur Aufführung. Diese zwei Jahre nach der 4. Sinfonie entstandene Arbeit ist das letzte Orchesterwerk des Komponisten.

 

Die bei YouTube abrufbare Einspielung (s.u. den angefügten Link) hat übrigens den unschätzbaren Vorteil, nicht von lästigen Werbeunterbrechungen zerfasert zu sein. Ein Beispiel dafür, wie hilfreich es ist, wenn Anstalten des öffentlichen Rechts (in diesem speziellen Fall ARTE) Konzerte ausgestrahlt haben.

 

Was ganz besonders auffällt, das ist die Intensität des Dialogs zwischen den beiden solistischen Streichinstrumenten. Die ein ums andere Mal tönend heraufbeschworene Spannung ist immens. Besänftigend und begütigend bringt sich die Violine ins Spiel, wenn das Cello sich widerspenstig, herausfordernd und provokativ zeigt, auf seinem Nicht-Konsonieren-Wollen starrköpfig auftrumpfend beharrt. Entscheidend freilich ist, dass beide Instrumente in ihrem Spiel, sie mögen sich noch so sehr voneinander entfernen, letztlich doch immer wieder zueinander finden, wobei es der verschwebende Zauber des Klangs der Violine ist, der die Rebellion des Cellos in friedvoll-harmonische Bahnen des Zusammenklingens überführt und dadurch mäßigt.

 

Es setzt in Erstaunen, dass und wie die beiden Solistinnen dieses spannungsgeladene Gegen- und Miteinander mit einer Eindringlichkeit sich entfalten lassen, die dem Dissens und dem unentwegt gesuchten Konsens dieses musikalisch weit ausholenden Zwiegesprächs wie auf den Leib geschneidert ist. Ein mit äußerstem musikalischem Fingerspitzengefühl, mit einem Höchstmaß an Sensitivität unternommener Versuch ist Realität geworden, die stets lauernde Gefahr des endgültigen Auseinanderdriftens in einem letztlich liebevollen Einverständnis zweier widerstrebender musikalischer Pole zu befrieden.

 

Johannes Brahms 1889 F C Brasch

Johannes Brahms. 1889. Foto C. Brasch, Berlin. Quelle: New York Public Library Archives. Public Domain

 

Ist es verwegen, die Behauptung aufzustellen, dass dieses letzte Orchesterwerk von Brahms eine musikalische Reminiszenz an die beiden Schumannschen literarischen Phantasiefiguren Florestan und Eusebius ist? Florestan und Eusebius haben, wie bekannt, ihr Vorbild in den beiden Protagonisten von Jean Pauls 1804 veröffentlichtem Roman Flegeljahre. Das ungleiche Zwillingspaar Vult und Walt, die, ihrer Gegensätzlichkeit zum Trotz, die Untrennbaren sind, weil und insofern der Eine ohne den jeweils anderen nicht er selbst wäre und sein könnte.

Die Nähe zum Brahms‘schen Doppelkonzert ist frappierend: Das Spiel des Cellos repräsentiert den sich an keine Konventionen haltenden, rebellierenden, extrovertierten und Sturm laufenden Grenzgänger Vult (Florestan); die Geige gibt dem ruhigen und bedächtig-liebevoll ermahnenden, elegisch-kontemplativen Walt (Eusebius) eine musikalische Kontur.

 

Es ist das Lebensmotto eines mit sich selbst Entzweiten, das Robert Schumann in einem weh-frohen Sechszeiler zum Ausdruck gebracht hat:

Florestan den Wilden,/ Eusebius den Milden,/ Tränen und Flammen/ Nimm sie zusammen/ In mir beide/ Den Schmerz und die Freude. (Schumann in den Liebeszeiten an Clara)

 

Den Schmerz und die glückhafte Freude in ihrem Mit- und Gegeneinander und ihrem immer wieder auch gelingenden liebenden Einklang musikalisch nachempfinden zu lassen, ist in dieser exzeptionellen Einspielung mit den beiden tief in die Komposition hineinhorchenden Solistinnen mit einer ungeheuren Intensität gelungen. Weil die in Zwietracht Vereinten in ihrem – und vor allem in diesem speziellen und ganz besonderen – Zusammenspiel aber schließlich doch zueinander gefunden haben, hat Brahms seinem Förderer Schumann, der seinerseits den Jüngeren für einen ‚Berufenen‘ gehalten hat, in seinem letzten Orchesterwerk postum und über das Grab hinaus einen musikalischen Weg gewiesen, dass und wie das Zerrissensein – Zwey Seelen wohnen, ach! in meiner Bruſt, J.W. Goethe, Faust I)– in die Harmonie der Liebe zu überführen ist oder zu überführen gewesen wäre.

 

Das Leid des qualvollen Nicht-mit-sich-eins-Seins eines Robert Schumann hat eine der Komposition kongeniale Antwort in dieser Einspielung gefunden. Erneut und beschließend gefasst in Dichters Wort: Tropftest Mäßigung dem heißen Blute,/ Richtetest den wilden irren Lauf,/ Und in deinen Engelsarmen ruhte/ Die zerstörte Brust sich wieder auf;…/ Fühlt‘ sein Herz an deinem Herzen schwellen,/ Fühlte sich in deinem Auge gut,/ Alle seine Sinnen sich erhellen/ Und beruhigen sein brausend Blut! (J.W. Goethe, Warum gabst du uns die tiefen Blicke)


Johannes Brahms: Doppelkonzert a-Moll für Violine, Violoncello und Orchester op. 102

 

YouTube-Video:

Sayaka Shoji and Tatjana Vassiljeva play Brahms: Double Concerto in A minor, Op.102 (34:38 Min.)

 

 

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