Meinung
Nebels Welt XXX

Anton Pawlowitsch Tschechow: "Kein Zynismus kann das Leben übertreffen."
Theatergeschichte, die sich international bedingt; Wurzeln, die in höchste Adelskreise reichen und bleibender Erfolg, der auch heute seinen Stellenwert hat.


3. Januar 2016 in Hamburg. Onkel Wanja von Anton Tschechow. Inszeniert von der neuen Intendantin des Schauspielhauses Karin Beier. Das Haus knülle voll. Nun würde eine weitere Besprechung des Stückes nicht mehr auf allzu großes Interesse stoßen, denn im Internet steht dazu schon viel, um nicht zu sagen alles. Interessant wäre jedoch das Drumherum zu betrachten, was mit diesem Stück so alles zusammen hängt.

1896 wurde das Drama erstmals aufgeführt und - obwohl der Autor schon bekannt war – mit mäßigen Erfolg. Man tingelte recht trübe durch die russische Provinz. 1899 dann der Durchbruch und das in Moskau, der kulturell verwöhnten Metropole. Konstantin Stanislawski inszenierte es neu und brachte es an dem gut beleumundeten Moskauer Künstler Theater, dessen Leiter er war, heraus. Ein Riesenerfolg; heute heißt es übrigens Tschechow Theater. Was war denn nun anders? Stanislawski war ein großer Theaterreformer. Er stellte u.a. die Identifikation des Schauspielers mit seiner Rolle in den Mittelpunkt und auch die Arbeit mit einem festen Ensemble. Es sollte so sein, wie im wirklichen Leben – man nennt das auch Naturalismus. Kleine Anekdote am Rande, die aber über die gesellschaftliche Entwicklung viel aussagt: Stanislawski stammt aus einer wohlhabenden, angesehenen Familie und hieß eigentlich Alexejew. Er wollte aber durch seine künstlerische Tätigkeit dem Ruf der Familie nicht schaden und legte sich einen anderen Namen zu. Heute ist das völlig anders – und dies ist auch gut so. So trägt die Schauspielerin Furtwängler mehr zum Ruhme des Gatten Burda bei, als der zu ihrem. Burda ist ja auch „nur“ ein Großverleger (Bunte, Focus etc).

Ähnliche Beklemmungen trieben auch Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen. Und nun sind wir beim Hochadel. Mehr als Herzog geht eigentlich nicht. Denn die Könige des heiligen römischen Reiches deutscher Nationen wurden von den sieben Kurfürsten gewählt, zum Kaiser wurde man danach vom Papst gesalbt – sicher eine Frühform der heute industriell betriebenen männlichen Gesichtspflege. Im 19. Jahrhundert änderte sich das. So setzte sich Napoleon Bonaparte den kaiserlichen Zacken selbst uff´n Kopp. Zurück zum Schorsch, den Zweiten, wohl bemerkt. Sein Land war zwar pupsig klein, aber er war ein großer Theaterinspirator. Das Meininger Theater, das er 1866 übernahm, gelangte zu Weltruhm und war das erste Tourneetheater, das die neuen Eisenbahnen konsequent nutzte. Es hieß bald, die Meininger kommen. Da Georg II sich aus Standesgründen nicht traute, das Theater auch formal selbst zu führen, musste ein fremder Direktor her. In 16 Jahren bereisten die Meininger 38 europäische Städte. Und sie verdienten damit sogar Geld. Sie hatten hervorragende Schauspieler wie Karl August Devirient und Ludwig Dessoir. Die Namen weisen auf gelungene Integration hin und zeigen, dass auch die sächsische bzw. thüringische Provinz davon profitieren kann. Und sie hatten die 12 Meininger Prinzipien, die die Form des neuen Schauspiels fixierten. Auf einer Moskauer Tournee lernte Stanislawski diese Form des Theaterspiels kennen. Die Folgen sind bereits beschrieben und weiter oben noch einmal unter den Stichworten Wanja, Onkel; Teschchow, Anton und Stanislawski, Konstantin nach zu lesen.
Auch in London hinterließen die Meininger bleibenden Eindruck. 1879 gründete Charles Edward Flower das Shakespeare Memorial Theatre, aus dem später die Royal Shakespeare Company hervor ging.

Der Staffelstab dieser speziellen Theaterentwicklung wurde weitergegeben. 1901 wurde ein unter dem Namen Lee Strasberg später berühmt gewordener Schauspieler und vor allem Schauspiellehrer in Badzanow geboren. Dies war damals in Österreich- Ungarn, heute liegt es in der Ukraine. 1909 wanderte die Familie nach New York aus; sein Vater war Baruch Meyer Strassberg, was auch einen Hinweis auf die religiöse Präferenz gibt.
1923 sah Strasberg in New York Aufführungen von Stanislawskis Künstlertheater. Und das war es. Er nahm Schauspielunterricht bei Ryszard Boleslawski, der aus Warschau stammt und bei Stanislawski in Moskau Schauspiel studiert hat und bei Maria Quspenskaya, die aus Tula/Russland stammt und wiederum am Konversatorium in Warschau studiert hat und danach am Künstlertheater in Moskau war. Bei dem schon erwähnten Gastspiel in New York blieb sie praktischer Weise gleich da.
Strasberg gründete wenig später das American Labaratory Stage Theatre, aus denen dann die Actor´s Studios hervorgingen. Seine Schauspielmethode nannte er method acting. Hier leben die Meininger Prinzipien weiter. Und es sind berühmte Künstler aus seinem Studio hervor gegangen: James Dean, Marlon Brando, Dustin Hoffman, Paul Newman, Robert de Niro, Marcheline Bertram, Dennis Hopper, Al Pacino. Und auch Marylin Monroe war als Gast da und nach seiner Methode lernten Johnny Depp, Angelina Jolie und Jack Nicolson.

Wenn man einmal sieht, was internationale Verbindungen für nachhaltige Leistungen bewirken können, so müsste doch so mancher nationale Nabelbeschauer nachdenklich werden. Aber dies ist dann wieder eine ganz andere Geschichte...

Ihr Klaus Peter Nebel


Prof. Dipl.-Bibl. Prof. h.c. Klaus Peter Nebel ist Leiter des Studiengangs Kultur- und Medienmanagement an der Lettischen Kulturakademie in Riga/Lettland. Von 2007 bis 2010 arbeite er als Professor für Marketing- und Unternehmenskommunikation an der UMC (University of Management and Communication), Berlin, Potsdam; In den Jahren 2007 und 2008 war er als Direktor der Konzernkommunikation der maxingvest AG, Hamburg tätig (Holding für Beiersdorf AG, Tchibo GmbH, tesa AG) und Leiter der Unternehmenskommunikation der Tchibo GmbH, Hamburg. Über 20 Jahre, von 1983 bis 2007 war er Leiter Presse & Public Relations der Beiersdorf AG in Hamburg.

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