An der Nacht mit ihrer Ambivalenz zwischen rauschenden Festen, Lust und Zärtlichkeit wie auch dem Schlaf, dem „Tod des Lebens“ und des Lichts, dem Ungeheuren und Unheimlichen hat sich die musikalische Phantasie zu allen Zeiten entzündet. Mit ihrer neuen Einspielung „Night Music“ fasst Dorothee Oberlinger, gemeinsam mit den Sonatori de la Gioiosa Marca, die vielen Facetten der Nacht mit unterschiedlichsten europäischen Nachtmusiken in diesem Konzeptalbum zusammen.
Von den Gesichtern der Nacht hat sich Antonio Vivaldi vielfach inspirieren lassen. Um Werke wie sein Concerto RV 104 „La Notte“, das Concerto RV 270 „Il Riposo“, die opulente Eingangssinfonia zu seiner Serenata La Senna Festeggiante und dem schattenhaften Concerto in c-Moll RV 441, das nebenbei eine Kostprobe der Blockflötenkunst mit dem wohl virtuosesten Musikstück des Barocks gibt, rankt sich Oberlingers raffinierte Dramaturgie.
Jedem Werk Vivaldis hat sie ein nächtliches Prelude vorangestellt. Lieder, Diminutionen, Motetten, Madrigale, Sommeils und Chaconnen aus Spanien, den Niederlanden, Frankreich, England, Italien, Deutschland und Österreich bilden ein europäisches Kaleidoskop von ganz unterschiedlichen Nachtmusiken. Sie erzählen von rauschenden Festen, nächtlichen Liebesdramen und Sehnsüchten, zärtlichen Wiegenliedern, Gespenstern, Nachtvögeln oder der Heiligsten aller Nächte. Dazu gehören Raritäten wie das sephardische Schlaf- und Wiegenlied „Nani Nani“ aus dem mittelalterlichen Spanien, ein Lied von Fratre Gerardo aus dem Veneto des 16. Jahrhunderts „L´altra nocte m´insomniava“, Ignaz Bibers Ciaconna aus seiner berühmten Nachtwächterserenade oder das zauberhafte „Sommeil“, eine Schlafszene aus Jean-Baptiste Lullys tragédie mis en musique „Atys“.
Für ihre Reise durch die Nacht hat Dorothee Oberlinger erneut die Sonatori de la Gioiosa Marca als engste musikalischen Weggefährten und Spezialisten für das venezianische Repertoire eingeladen. Dem Ensemble hat Luigi Mangiocavallo (geb. 1959) ein Arrangement von Thelonios Monks zeitlosem Jazz-Standard "Round Midnight" (1944) gewidmet, das die Einspielung in einer Hommage an die genreüberschreitende improvisatorische Kraft der Musik beschließt. Als weitere Gastsolisten des Ensembles sind Lorenzo Cavasanti (Blockflöte), Elisabetta de Mircovich (Sopran, Viella und Drehleier) und Thomas Hansen (Bass, als Nachtwächter) zu hören.
Die Blockflötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger ist auch Intendantin der Potsdamer Musikfestspiele und Professorin an der Universität Mozarteum. Als Spezialistin für das barocke Repertoire widmet sich die dreifache ECHO-Klassik Preisträgerin in Konzerten, Einspielungen und Opernaufführungen insbesondere der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts.
Einführungstext Booklet (Dorothee Oberlinger):
Die Phänomene der Nacht in europäischen Musiken
Für die Griechen war die Nacht (griech. Nyx) die Tochter des Chaos und die Mutter des Himmels und der Erde. Sie zieht mit einem dunklen Schleier in einem von vier schwarzen Pferden gezogenen Wagen über den Himmel und wird von ihren Kindern, den Erinnyen und Parzen eskortiert. Aus sich selbst brachte Nyx weitere mit der Nacht in Zusammenhang gebrachte Phänomene hervor, darunter Hypnos, den Schlaf, Oneiroi, die Träume, aber auch eine Reihe personifizierter Übel wie Ker, das Verderben oder Nemesis, die Rache.
Die Nacht steht für die Unbestimmtheit, Heimlichkeit, die dunklen Seiten des Lebens. Bedrohlichen Wesen können in unseren Albträumen auftauchen und Unbewusstes macht in unseren Träumen auf sich aufmerksam. Die Zeit der Nacht ist die Zeit der Triebe und der unbändigen Lustbarkeiten, aber auch der Zärtlichkeit, Intimität und Liebe. Der nächtliche Schlaf ist eine Art vorübergehender „Tod des Lebens“. Man fürchtet den Tod besonders in der Nacht, auch, weil unzählige Gefahren und Bedrohungen lauern. Durch die Abwesenheit von Licht, Lebens und Bewusstseins steht die Nacht gleichzeitig auch für den Wendepunkt zum Neubeginn und ist ein Raum der noch nicht entfalteten neuen Möglichkeiten. Sie geht schon schwanger mit dem Tag, aber was im neuen Entstehen ist, bleibt noch geheim.
Diese Einspielungen fasst mit ganz verschiedenen europäischen Nachtmusiken die Facetten der Nacht in einem Kaleidoskop zusammen. Sie erzählt von rauschenden Festen, nächtlichen Liebesdramen und Sehnsüchten, zärtlichen Wiegenliedern, Gespenstern, Nachtvögeln oder der Heiligsten aller Nächte. Antonio Vivaldis Musik bildet dabei die Basis der Aufnahme. Zwischen seinen Werken fungieren Lieder, Diminutionen, Motetten, Madrigale, Sommeils und Chaconnen aus Spanien, den Niederlanden, Frankreich, England, Italien, Deutschland und Österreich als Brücken und Interludien.
Unser Nachtalbum wird mit Vivaldis Sinfonia zur Serenata (von it. sereno, „klarer Nachthimmel“) „La Senna festeggiante“ (die feiernde Seine) eröffnet. Die Reise beginnt ungefähr dort, wo wir die Aufnahme gemacht habe: im Veneto. An einem Abend im barocken Venedig, wo man sich sich zeitgenössischen Berichten zufolge abends kaum durch die Stadt bewegen konnte, ohne Musik zu hören und wo man wegen der Hitze um die Mittagszeit zu Hause blieb und das gesellschaftliche Leben auf den Abend zu verlegte. Deshalb war Venedig ein wichtiges Zentrum der Serenata-Praxis. La Senna festeggiante, bei weitem die Schönste von drei erhaltenen Serenaten Vivaldis, entstand zwischen 1722–1725 zu Ehren des Königs Ludwig XV. Das Libretto zeugt von besten Beziehungen auf musikalischer und diplomatischer Ebene zwischen Frankreich und Venedig. Das „goldene Zeitalter“ und „die Tugend“ machen sich auf die Suche nach dem verlorenen Glück, welches sie an den Ufern der Seine, auf dem Weg zum Sonnenkönig in Versailles, wiederfinden. Die prächtige Eröffnungssinfonia beginnt mit einem Allegro in der Form einer einer franzöischen Ouverture. Es folgt ein echtes „Notturno“, ein Andante molto mit der delikaten Spielanweisung „tutti gl’Istromti d’arco di Violini devono suonare sempre Pianissimo / Senza cembalo“ (alle Streichinstrumente müssen immer sehr leise spielen/ohne Cembalo). Es ist eine melancholische Arie mit galant ornamentiertem Double. Ein rustikales Finale mit Buffocharakter im schnellen 2/4 Takt beschließt die Sinfonia.
Antonio Vivaldis berühmtes Nachtkonzert „La Notte“ existiert in zwei Versionen. Wir haben uns für die reizvolle erste Concerto-da Camera-Fassung RV 104 mit obligater Fagottstimme (hier vom Cello gespielt) entschieden. Vivaldi hat dieses Concerto eigentlich der Violine oder dem Flauto traverso zugedacht, doch kann ein Flauto dolce problemlos ohne Adaptionen den Part übernehmen. Eine spätere Version des Concertos g-Moll findet sich in der in Amsterdam bei Michel-Charles Le Cène gedruckten berühmten Sammlung op.10, hier ohne obligaten Bass und mit Bratschenstimme. Das Konzert ist eines der zahlreichen Konzerte des prete rosso mit starkem tonmalerischen Impetus. Vivaldi beschwört die düsteren Seiten der Nacht herauf, die im Venedig des 18. Jahrhunderts von leuchtenden Festen und Opernaufführungen verdrängt wurden. Das einleitende Largo beginnt tief und dunkel mit einem pochenden Herz im Unisono der Flöte mit den Streichern mit Punktierungen. Schon bald stürmen die Gespenster (Fantasmi) der Nacht herein. Allegro- und Adagio-Abschnitte gehen unerwartet abrupt ineinander über. Erst das Adagio mit dem Titel „Der Schlaf“ (die gleiche Komposition widmet Vivaldi übrigens dem schlafenden Hirten im Frühling der „Vier Jahreszeiten“) bringt ein Ruhemoment für den Schlafenden, doch die herben Harmonien verraten, welch beunruhigender Art seine Träume sind. Im Finale kehren die Gespenster wieder. Der Ausgang der Geschichte bleibt auf raffinierte Weise offen.
Das Concerto „Il Riposo per il Santissimo Natale“ RV270 (ca. 1724 als RV270a noch einmal überarbeitet für Vivaldis Muse, die virtuose Geigerin Anna Maria) ist eines der berühmten Konzerte zum Anlass der Heiligen Nacht. Sordinierte Streicher ohne Tasteninstrument („con tutti gli strumenti sempre sordini“ und „senza Cembali sempre“) begleiten die Solostimme wie sanft rieselnder Schnee. Die Kombination dieser Eigenheiten läßt, zusammen mit einem öfters in der Bratsche und im Baß auftauchenden „schläfrigen“ Orgelpunkt, der leisen Chromatik am Ende des ersten Satzes und der warmen Farbe der Tonart E-Dur eine intime Atmosphäre entstehen. Diese friedliche Idylle wird im Finale durch wieder wiegende kleine, sich wiederholende Zweiunddreißigstelfiguren im 3/8-Takt noch gesteigert. Vivaldi scheint dieses Konzert evtl. erst später als ausgesprochenes Weihnachtsstück mit dem Zusatz “per il Santissimo Natale“ verwendet zu haben. Vielleicht war es ursprünglich für eine Aufführung in Rom bestimmt. Die zarte Solostimme der Violine in E-Dur (Rameau schreibt 1722 über die Wirkung von E-Dur: „geeignet für zärtliche wie freudige Gesänge; das Große und Erhabene hat ebenfalls Raum“) haben wir für eine Sixthflute mit süßem pastoralem Klang arrangiert. Der zweite Satz mit freier selbst zu improvisierender Kadenz ist ein instrumentales Accompagnatorezitativ mit liegenden Akkorden der Streicher. Die hier gespielte Kadenz über dem stammt zu großen Teilen aus dem rezitativischen Mittelsatz in Vivaldis Violinkonzert „Grosso Mogul“ RV208 und passt zufälligerweise perfekt zur Harmoniefolge der Streicher.
Antonio Vivaldis Concerto in c-Moll RV441 wurde vermutlich für die Mädchen des Ospedale de la Pieta geschrieben, wo Vivaldi als Maestro dei Violino von 1703 bis 1718 lehrte. Es gibt uns Auskunft über die ungeheure Virtuosität der Musikerinnen, denn das Konzert in nächtlich-nebulöser dunkler Tonart erfordert viele Gabelgriffe und weist umfangreiche Arpeggio-Sequenzen und viele aufeinanderfolgende Registerwechsel auf. Vielleicht handelt es sich neben den Flautino-Konzerten RV 443–445 und der Triosonate für Flöte und Fagott RV 86 um das virtuoseste Werk der barocken Ära. Das Wort „Concerto“ stammt von „conserere“ (zusammenbringen) und auch vom mehr oder weniger entgegengesetzten „concertare“ (einander bekämpfen). Vivaldi hat die letztere Idee zu einem Duell zwischen Solist und Orchester weiterentwickelt. Es macht den Eindruck, Vivaldi wolle mit seinem Concerto RV441 ein deutsches Konzert im neuen empfindsamen Stil eines Carl Phillip Emanuel Bachs schreiben, das den emotionalen Geist des Sturm und Drang atmet. Die galante Melodik mit ihren vielen Vorhalten und Vorschlägen, aber auch die unerwarteten Harmoniewechsel und die Stimmungswechsel, vor allem beim Eintritt der Soloteile, sprechen dafür. Im langsamen Mittelsatz, einem Largo, folgt nach einer pathetischen Einleitung im Stil einer ehrwürdigen Sarabande eine klagende f-Moll-„Arie“ der Flöte, bei der die Violinen unisono und als „Bassettchen“ geführt für einen metronomischen Puls sorgen. Die Flöte hingegen kann sich ganz der Kunst des Profis widmen, wie es auch Quantz 1752 beschreibt – dem Timing und Rubatospiel über einer pulsierenden Begleitung im langsamen Satz. Vivaldi komponiert für Blockflöte prinzipiell genauso wie für Violine; das Instrument hatte kein eigenes Idiom. Im Fall von RV441 handelt es sich um die Überarbeitung von Vivaldis Violinkonzert RV202 derselben Tonart (vgl. Federico Maria Sardelli: Vivaldi’s Music for Flute and Recorder [Ashgate, 2007]), geschrieben für Georg Pisendel in Dresden. Im Manuskript finden sich recht kühne und exzentrische Kadenzentwürfe von Georg Pisendel, die er vermutlich bei einer der Aufführungen des Konzerts RV 202 zum Einsatz brachte. Eine dieser Kadenzen erklingt auf dieser Aufnahme als Brücke zwischen dem ersten und zweiten Satz von RV441.
Um französische Musik im italienischen Gewand und um ein echtes Plagiat handelt es sich bei der Sonate RV59, die einer Sammlung entstammt, die als 13. Opus Vivaldis 1737 unter dem Titel Il Pastor Fido in Paris erschien. Als ihr wahrer Komponist ist inzwischen Nicolas Chédeville identifiziert worden, ein berühmter Oboist und Musette-Spieler in der französischen Hauptstadt. Die vierte Sonate A-Dur beginnt mit einem Largo, das den Eindruck erweckt, es wäre jemand kurz vor dem Einschafen und würde doch immer wieder aufschrecken. Zwei virtuose und heitere Allegri umrahmen nach der Introduktion das Herzstück der Komposition, eine Pastorale mit Couplets und Ritornellen mit obligatem Bass, mit der Oberstimme häufig in Sexten geführt. Wir haben auf dieser Aufnahme für diesen Satz in den Ritornellen eine Drehleier als rustikalen Tuttieffekt hinzugefügt, um den pastoralen Charakter zu unterstreichen und eine der Besetzungsmöglichkeiten, die Chédeville angibt (die Ausführung mit Drehleier) als Farbe hinzuzufügen.
Mit einem sephardischen Schlaf- und Wiegenlied „Nani Nani“, einer Romanze der Juden aus dem mittelalterlichen Spanien, führt die zeitliche Reise durch die nächtliche Musik gleich 1000 Jahre zurück. Die sephardische Musik entstand im mittelalterlichen Spanien, wo die Juden eine wichtige Rolle als Mittler zwischen arabischer und christlicher Kultur spielten. Seither hat sie Einflüsse von Marokko, Argentinien, der Türkei und Griechenland und verschiedener spanischer Volksmusikstile von Spanien und anderswo aufgenommen. Die meisten Kompositionen wurden über lange Zeiträume nur oral tradiert und erst im 20. Jahrhundert aufgezeichnet, aus dem Mittelalter sind uns keine schriftlichen Zeugnisse dieser Musik erhalten. Eine populäre traditionelle Liedgattung der Sepharden war die ‘romanza’ in jüdisch-spanischer Sprache, oft von den Frauen unbegleitet vorgetragen. Sie wurde ursprünglich als Volkslied gepflegt und erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts am spanischen Hof eingeführt. Viele neue musikalische Elemente, wie das modale Tonsystem, rhythmische und metrische Merkmale, melodische Verzierungen und Kadenzformeln flossen durch den Kontakt mit den verschiedenen Sprachen und Musikkulturen der Länder, in denen die Sephardim lebten, in das traditionelle Repertoire ein.
Die 4-stimmige Barzeletta „Altra Nocte m’insomniava“ von 1502 eines gewissen Fratre Gerardo aus dem Veneto erzählt von einem Liebenden, der träumt, im Bett mit seiner Angebeteten zu sein. Doch er erwacht, will die Liebende ertasten und das Bett ist neben ihm leer. Sie hat ihn verlassen. Wir haben dieses Strophenlied für Flöte, Fiedel und Gesang arrangiert: Letzte Nacht träumte mir, es war drei Stunden vor Morgen, dass meine Hand dich berührte und ich neben dir im Bett läge. Als ich daraufhin erwachte, lagst du nicht neben mir. Du bei mir und ich bei dir, dann treiben wir ein süßes Spiel. Mit meinen Armen suchte ich dich und verirrte mich min meinem Bett. Ich hoffte, dich zu finden, doch du hattest mich verlassen. Und angesichts dieses Verlustes starb ich fast vor Kummer. Du bei mir und ich bei dir, dann treiben wir ein süßes Spiel.
Jacob van Eyck war ein blinder Flöten-und Glockenspieler, zu Lebzeiten galt er schon als der „Orpheus von Utrecht“. Von ihm stammt der berühmte „Fluyten-Lusthoff“, vermutlich die größte Sammlung für ein Solo-Blasinstrument überhaupt, die zwischen 1644 und 1654 erschien. Er ist umfangreiches Kompendium europäischer Lieder, Tänze und Arien, die von van Eyck kunstvoll im italienischen Diminutionsstil verziert wurden: Der liebliche, meist laute und komplexe Gesang der nachtaktiven Nachtigall, der häufig den Frühling und die Liebe symbolisiert, wird unter allen Vogelgesängen als der Schönste und Wohlklingendste empfunden. Die Nachtigall zeichnet sich vor allem durch ihr außerordentliches Gedächtnis aus, so beherrscht sie 120 bis 260 unterschiedliche Strophen. Der Gesang ertönt nur von den männlichen Nachtigallen, die nachts zum Anlocken einer Brutpartnerin die schönsten Lieder von sich geben. „Gal“ bedeutet „Gesang“, wovon sich der Name der Nachtigall ableitet. Jacob van Eycks Variationen über das englische Lied „The Nightingale“ – in seiner Sammlung „Engels Nachtegaeltje“ (die englische Nachtigall) genannt – ahmen kunstvoll das Gezwitscher dieses Singvogels nach. Van Eyck benutzt in den Variationen Terztremoli, Accelerandi, Echoeffekte, Tonrepetitionen und dialogische Passagen durch Oktavtranspositionen, um den Ruf des Vogels zu imitieren.
Eine weitere kunstvolle barocke Nachtigallenweise findet sich in der Sammlung von Airs et Brunettes A Deux et Trois Dessus […] de M.rs Lambert, Lully, De Bousset, & Les plus convenables a la Flute Traversiere Seule, Ornez d’Agremens par M.r Hotteterre le Romain von 1721. Hier ziert Jaques Hotteterre Le Romain, der Flötist, Musettespieler und Komponist am Hof Ludwig des XIV. und XV. war, das zärtliche Brunette „Pourquoi doux rossignol“ von Jean Baptiste de Bousset (1662–1725) über einem Chaconnenbass mit kunstvollen agréments aus.
In vielen Opern taucht oft an wichtigen Wendepunkten der Handlung eine Schlafszene auf. In Frankreich nannten sich diese Szenen „Sommeil“. Ein besonders schönes Beispiel dafür findet sich in Jean Baptist Lullys Tragédie lyrique „Atys“ von 1676, mit zwei zarten Flûtes douces wie für Lully typisch im dichten 5-stimmigen Streichersatz instrumentiert. Es weist die idiomatischen wiegenden Zweierbindungen auf, wie sie auch Johann Sebastian Bach im sommeilhaften zweiten Satz seines Brandenburgischen Konzerts Nr. 4 verwendet. Der Gott des Schlafs „Le dieu du Sommeil“ nähert sich in dieser Szene in Begleitung von angenehmen und düsteren Träumen sowie seinen Söhnen Morphée, Phobetor und Phantase dem schlafenden Atys. Den darauffolgenden Arienteil des Morphée haben wir in einer Instrumentalversion mit Soloflöte aufgenommen.
Heinrich Ignaz Biber ist für seine programmatischen Kompositionen bekannt, zu ihnen zählt auch die „Serenada à 5“ C-Dur A 877a von 1673 mit einer kleinen Ciacona (der „Nachtwächter“). Ein Bassist soll hier den Ruf des Nachtwächters übernehmen und singen: „Lost Ihr Herrn Undt last euch sagn, der Hammer der hat Neyne (Zehne) gschlagn, Hüets Feyer, hüets wohl Undt lobet Gott den Herrn und Unser liebe Frau!“ Biber gibt folgende Spielanweisung für die Streicher: „In der Ciacona kombt der Nachtwächter, wie man jetziger Zeit die uhr alhier ausrueffen pflegt. Und die andern Instrumenta werden alle ohne Bogen gespielt wie auf der Lauten auch in der Gavotte, es kombt schön heraus, nemblich die geigen unter die Armen.“
Um Mitternacht schlägt die Stunde der Erkenntnis. Der neue Tag beginnt sich langsam aus dem Nichts zu entfalten.In der tantrischen Tradition ist dies die Zeit der absoluten Stille und Ruhe. Unser Bonustrack ist der Mitternacht gewidmet. Luigi Mangiocavalloden hat den berühmten Jazzstandard „Round Midgnight“ von Thelonius Monk für die Sonatori de la Gioiosa Marca neu arrangiert. Die improvisierte Introduktion beginnt nach einem Kontrabass-Solo mit einem Zitat der berühmten Schlüsselszene „Possente Sprirto“ aus „L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi. Orfeo bringt hier Caronte am Ende zum Schlafen, damit er über den Fluss Styx übersetzen und in den Hades gelangen kann, um seine geliebte Euridice im Reich der Toten wiederzusehen.
Über Dorothee Oberlinger
Dorothee Oberlinger zählt heute zu den namhaften Vertretern ihres Instruments. Ihr Debüt gelang ihr 1997 mit dem 1. Preis im internationalen Wettbewerb SRP/Moeck U.K. in London in der Wigmore Hall. Es folgten zahlreiche Einladungen zu Konzerten und Festivals in ganz Europa, Amerika und Asien. Es folgten seitdem zahlreiche Einladungen an Konzerthäuser wie das Grand Théatre Bordeaux, Teatro Colón Buenos Aires, Grand Théâtre de Genève, Laeiszhalle Hamburg, KKL Luzern, Tonhalle Zürich, etc. sowie zu den Festivals wie den Resonanzen Wien, dem Yehudi Menuhin Festival Gstaad, Schleswig Holstein Musikfestival, London Lufthansa Festival, Rheingau Musik Festival, Beethoven Festival Warschau, oder Beethovenfest Bonn.
Als Solistin spielt sie mit dem von ihr 2002 gegründeten Ensemble 1700 sowie mit renommierten Barockensembles und Orchestern wie den Sonatori de la Gioiosa Marca, Musica Antiqua Köln, der Akademie für Alte Musik Berlin, der Academy of Ancient Music, London Baroque, Melante, Zefiro und L´arte del mondo. Sie arbeitet in verschiedenen Projekten mit führenden Musikern der Alten Musik wie Reinhard Goebel, Giovanni Antonini, Vittorio und Lorenzo Ghielmi, Luca Pianca, Rachel Podger, Giuliano Carmignola, Andreas Scholl, Sandrine Piau oder Max Emanuel Cencic.
Ihre CD-Einspielungen mit barocker Musik des 17. und 18. Jahrhunderts werden von der internationalen Fachkritik mit höchsten Auszeichnungen bewertet. 2008 erhielt sie den ECHO Klassik-Preis in der Kategorie "Beste Instrumentalistin des Jahres", 2013 für die "Beste Konzerteinspielung des Jahres (bis inkl. 18. Jh. / Flöte)" und 2015 für die"Beste Kammermusikeinspielung des Jahres (bis inkl. 18. Jh."). 2012 wurde ihre CD "Flauto Veneziano" mit dem "Diapason d´Or " ausgezeichnet. Ihr erfolgreiches Debüt als Dirigentin gab sie Anfang 2011 in Salzburg, gefolgt von gefeierten Stationen bei den Tagen Alter Musik in Herne 2016, den Göttinger Händel-Festspielen 2017 und den Ludwigsburger Schlossfestspielen mit der historisch informierten Händel-Produktion Lucio Cornelio Silla unter ihrer Leitung.
Neben ihrer intensiven Beschäftigung mit der Musik des Barock widmet sich Dorothee Oberlinger immer wieder auch der zeitgenössischen Musik, so wirkte sie an der jüngsten CD "Touch" des Schweizer Pop-Duos "Yello" mit. Seit 2009 ist sie Intendantin der traditionsreichen Arolser Barockfestspiele und seit 2004 ist sie Professorin an der Universität Mozarteum Salzburg wo sie das dortige Institut für Alte Musik bis 2018 geleitet hat. Für ihre musikalischen Verdienste ist Dorothee 2016 zur Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt Simmern und vom Städte-Netzwerk der Telemann-Städte zur Telemann-Botschafterin ernannt worden. Seit 2019 leitet sie als Intendantin die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci.
Sonatori de la Goiiosa Marca
Das Ensemble stammt aus Treviso, einer in der Renaissance als "Marca Gioiosa e Amorosa" bekannten Stadt bei Venedig. Heute gehören die Sonatori de la Gioiosa Marca zu den renommiertesten Kammerorchestern, die sich seit 25 Jahren einer vertieften Auseinandersetzung mit Werken Alter Musik und deren Interpretation auf historischen Instrumenten widmen. Als Streicherensemble umfasst ihr Repertoire eine Zeitspanne von Ende des 16. Jhr bis in die Klassik, wobei ihr leidenschaftliches Interesse der musikalischen Tradition Venedigs gilt.
Mitglieder der Sonatori de la Gioiosa Marca haben auf zahlreichen international bedeutenden Festivals und Musikstätten gespielt. Ihre Interpretationen werden regelmäßig auf Sendern der europäischen Rundfunkanstalten gesendet.
Europäische Nachtmusiken zwischen Festen und Träumen
Dorothee Oberlinger, Blockflöte und LeitungSonatori de la Gioiosa Marca
Giorgio Fava, Violine 1 / Giovanni della Vecchia, Violine 2 / Judit Földes, Viola
Walter Vestidello, Violoncello / Giampietro Rosato, Cembalo / Giancarlo Rado, Laute / Giancarlo Pavan, Kontrabass
Gäste:
Elisabetta Mircovich, Drehleier, Sopran, Cello / Thomas Hansen, Bass / Lorenzo Cavasanti, Blockflöte II
Label: deutsche harmonia mundi / Sony Music
CD-Veröffentlichung „Night Music“: 05. April 2019
Homepage Dorothee Oberlinger
Trackliste Night Music:
Anonymous (Sephardic Song)
1 Nani Nani
for solo recorder
Antonio Vivaldi
Sinfonia I from “La Sennafesteggiante” (Festival on the Seine) RV 693
2 Allegro
3 Andantemolto
4 Allegro molto
for 2 recorders, strings and basso continuo
Fra Gerardo (Veneto, 16. century)
5 L'altranocte m'insomniava (The other night without sleep)
National Library of France, Paris PN 676 Künstlerbüro Dorothee Oberlinger 26.02.2019
for soprano, recorder and vielle
Antonio Vivaldi
Chamber Concerto in G minor RV 104 “La notte” (The night)
6 Largo
7 Presto (Fantasmi)
8 Presto
9 Largo (Il sonno)
10 Allegro
for recorder, strings and basso continuo
Jacob van Eyck (c. 1590 - 1657)
11 Engels Nachtegaeltje (English nightingale)
for solo recorder
"Antonio Vivaldi" alias Nicolas de Chédeville (1705-1782)
Sonata in A major RV 59 op. 13 from “Il pastor fido”
12 Preludio. Largo (recorder, basso continuo)
13 Allegro ma non presto (recorder, basso continuo)
14 Pastorale ad libitum (recorder, hurdy-gurdy, cello, basso continuo)
15 Allegro (recorder, basso continuo)
Jean-Baptiste Lully (1632-1687)
16 Le Sommeil (The sleep)
from „Atys“(“Lully“), tragédie mise en musique (Paris 1676)
for 2 recorders, strings and basso continuo
Antonio Vivaldi
Concerto in E major “Il riposo” (per il S. Natale) RV 270
arrangement in D major for recorder
17 Allegro
18 Adagio
19 Allegro
for recorder, strings and basso continuo
Jacques Hotteterre le Romain (1674-1763)/Jean-Baptiste de Bousset (1672-1725)
20 Pourquoy, doux rossignol
from "Airs e brunettes" (Paris, 1721)
for recorder, lute and cello
Antonio Vivaldi
Recorder Concerto in C minor RV 441
21 Allegro non molto
22 Largo (Introduction: Cadenza for RV 202 by Georg Pisendel, Manuskript Dresden)
23 Allegro molto
for recorders, strings and basso continuo
Heinrich Ignaz Franz Biber (baptized in 1644-1704)
24 Ciacona “Der Nachtwächter” (The Night Watchman)
from Serenada à 5 A 877a (1673)
for bass and strings
Bonustrack
Thelonious Monk
25 Round Midnight (1944)
arranged by Luigi Mangiocavallo (1959*), dedicated to the Sonatori de la Gioiosa Marca (2005) for flute, stringsand harpsichord
Aufnahmedatum: 7.-10.10.2018
Aufnahmeort: Chiesetta San Vigilio
Produzent der Aufnahme: Peter Laenger
Abbildungsnachweis:
Fotos Johannes Ritter / Sony Music
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