Helmut Eisel: Rhapsody for an Unknown Klezmer
- Geschrieben von Claus Friede -
Wenn eine Begegnung mit einem anderen Menschen etwas ganz besonders hinterlässt, kann das einen Lebensweg verändern. Für Helmut Eisel war es die Begegnung mit dem Klarinettisten Giora Feidman. Dies war im Jahr 1986 – sieben Jahre später widmet sich der Mathematiker und Informatiker Eisel ausschließlich der Musik.
Sein Instrument, sein Spiel darauf wird als „Talking Clarinet“ bezeichnet und umspielt den so-geliebten-so-ungeliebten Klezmer. Und nun ein ganz neues Album davon. Eisel trifft auf die Württembergische Philharmonie Reutlingen und auf eine Musik, die wohl immer und ewig mit dem Jüdischen in Verbindung gebracht werden wird. Zudem ist fast jeder Dokumentar- und Spielfilm, der sich mit der Shoa, mit jüdischem Leben beschäftigt, mit diesem Musik-Typ unterlegt. Und insbesondere die Klarinette spielt mit ihrer allzu oft klagenden Abwärtsmelodik eine zentrale Rolle. Deshalb ist sie vielerorts und auch bei vielen Juden und insbesondere bei Anhängern des Zionismus so ungeliebt.
Wenn man aber in sie verliebt ist, dann voll und ganz und total; dann gibt es keine Grenzen, dann fließen die Tränen, dann ist diese Musik als „Symbol höchster Menschlichkeit“ (Eisel) auf ihrem ultimativen Höhepunkt und berührt tief alle Punkte des realen und fiktiven Weltschmerzes und der Lebenslust.
Das Album „Rhapsody for an Unknown Klezmer“ kontrastiert das historische und heutige Gewissen. Es kettet einen weltlich ausgelassenen Freilach (fröhlicher Tanz) an das Gelübde des in den Gemeinden umstrittenen „Kol Nidre“, am Abend vor dem höchsten jüdischen Feiertag (nach dem Schabbes), dem Jom Kippur (Versöhnungstag) auch mit unliebsamen Menschen gemeinsam im Tempel zu beten sei.
Helmut Eisel bezieht sich in seiner Interpretation auf Max Bruchs Komposition aus dem Jahr 1880.
Gemeinsames feiern versus innenwohnendes Gottesgespräch, alles ist möglich und nötig, es darf sein. Insofern durchschwimmt Eisel mit „seinen“ Musikern das Meer der Gefühle in jegliche Richtung. Er interpretiert, arrangiert neu – oft sind die Melodien oder Fragmente der gleichen uns geläufig wie im Stück „Two Sides of Jerusalem“ ein bekanntes Zitat aus „Jerusalem of Gold“. Dieses 1967 von Naomi Schemer komponierte Lied steht symbolisch für die immerwährende Sehnsucht nach Jerusalem und wurde zum Schlachtlied der israelischen Truppen im Sechstagekrieg. Die schnell wiederzuerkennende sephardisch anmutende Melodie wird vom Orchester im Stil einer Nationalhymne interpretiert und von Eisel ‚klezmeresk’ umspielt, oft luftig gehaucht und mit arabisch-orientalischen Rhythmen konfrontiert.
Dem Gedenken an die „Unknown Klezmorim“ (Mehrzahl von Klezmermusiker) wird wie beim militärischen ‚Unbekannten Soldaten’ all jener gedacht, die kein eigenes Grab haben. Hier ist der Ort nicht der Arc der Triomphe in Paris, der Eingangsbereich von Westminster Abbey in London oder die Neue Wache in Berlin... Es ist auch nicht die Gedenkstätte für die Ermordeten Juden oder Yad Vashem in Jerusalem, obwohl Eisel im Auftrag eine Komposition dafür kreierte. Hier, auf dem Album ist der Ort ein fiktiver, ein musikalischer Raum, der im (Mit-)Gefühl existiert. Die Dramaturgie des Unvorstellbaren ist zielgenau in jenen beiden Stücken zu finden, die der CD den Namen gab.
Helmut Eisel: „Rhapsody for an Unknown Klezmer“
Helmut Eisel, Klarinette; Württembergisches Philharmonie Reutlingen. Leitung: Daniel Huppert; „choories“ des Liederkranz Reutlingen; „sing kids“ und Caopda“ des Gesangvereins Raidwangen. Einstudierung: Thomas Preiß
Animato
CD EAN 4012116615838
VÖ: 18.11.2016
Hörprobe
Abbildungsnachweis:
Headerfoto von Helmut Eisel: Astrid Karger. Quelle: Helmut Eisel
CD-Cover (Bauer Studios Ludwigsburg)
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