Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
1980/83 hat Marek Janowski in Dresden den „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner in einer bestechenden Ost-West-Kooperation aufgenommen. 2012/13 wiederholte er das Großprojekt in Berlin mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit der Aufnahme von vier konzertanten Aufführungen. Sein Konzept äußerster Transparenz geht meist auf, wirkt stellenweise aber etwas steril.
Er hat es noch einmal getan. 1980 bis 1983 schon stand Marek Janowski am Dirigentenpult, als der VEB Deutsche Schallplatten und Ariola in einer Ost-West-Koproduktion Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ erstmals digital aufgenommen haben. In der Lukas-Kirche in Dresden. Die fabelhaften und hinreißend harmonierenden Sänger – Theo Adam als Wotan, René Kollo (Siegfried), Peter Schreier als Loge und Mime, Matti Salminen (Fafner/Hagen) Jeannine Altmeyer (Brünnhilde), Ortrun Wenkel (Erda), Siegfried Jerusalem (Siegmund) und Jessye Norman (Sieglinde) – und die großartige Staatskapelle Dresden unter Janowski haben diese „Ring“-Gesamtaufnahme zu einer bis heute gültigen Referenzaufnahme des gewaltigen Opern-Vierteilers gemacht.
32 Jahre später und inzwischen im 77. Lebensjahr steht Janowski in diesem Jahr nicht nur zum ersten Mal für Aufführungen vom Castorf-„Ring“ am Pult im gedeckelten Orchestergraben des Bayreuther Festspielhauses, wo er Kirill Petrenko abgelöst hat. Es ist auch eine „Ring“-Aufnahme neu erschienen, die unter seiner Leitung entstanden ist. Diesmal in der Multi-Kanal-Technik SACD – und das Premium-Label Pentatone Classics hat sie in einer schweren Nobel-Box von altem LP-Format herausgebracht – 13 SACDs und ein 250-Seiten-Großformat-Booklet mit dem gesamten, dankenswert lesbar gedruckten Text und informationsreichen erläuternden Aufsätzen. Aufgenommen bei vier konzertanten Aufführungen 2012 und 2013 in der Philharmonie Berlin.
Janowski setzt auf Präzision, Transparenz statt auf Pathos
Damals war Janowski schon zehn Jahre lang Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, das ihn zum Chefdirigenten auf Lebenszeit machen wollte (was er klug ablehnte). Diese enge Verbundenheit mit seinen Musikern ist in der „Ring“-Aufnahme zu spüren, wenn die Janowski-typische Ultra-Präzision gefordert wird, wenn kleinste Veränderungen in Tempo und Lautstärke absolut selbstverständlich ausgeführt werden. Und natürlich im Befolgen von Janowskis Credo: der Transparenz, die seine Zuhörer tief in das Getriebe des Wagnerschen Klangzaubers hineinhören lässt. Janowski lotet darin viele Details aus, auf die man in anderen „Ring“-Aufführungen vergeblich wartet, weil sie in einem Klangbrei untergehen, wie er meist auch im Festspielhaus von Bayreuth entsteht, wenn die Töne unter dem Deckel hervorquellen.
Janowski schafft das vor allem durch zurückgenommene Lautstärke und durch Präzision – er holt die Streicher im Gesamtklang weit nach vorn und reduziert die Wucht Wagnerscher Blechtutti, was manchmal wohltut, manchmal aber auch recht schaumgebremst klingt. Beim Anhören auf einer Multikanal-Anlage wird man aber schnell eingefangen von seiner rasch vorantreibenden Klangwelt. Seine Aufnahme ist mit 14:05 Stunden zwar gute 17 Minuten länger als die von 1980/83; sie liegt aber gut im Mittelfeld von in Bayreuth dokumentierten Aufführungsdauern, die von 13:09 bis 15:20 Stunden reichen.
Das gibt seinem „Ring“ einerseits treibende Kraft und lässt waberndes Pathos gar nicht erst aufkommen, es bleibt andererseits genügend Zeit, um auch poetische Passagen auszukosten.
Die zwei Janowski-„Ringe“ reizen natürlich zum Vergleich, der so gar nicht zulässig ist. Quasi unter Studiobedingungen entstanden der erste, fängt der zweite den Schwung einer Live-Aufführung ein, mit ein paar Stellen prekärer Intonation, die man mit der Zeit einer Studioproduktion wohl nachgebessert hätte. Es sind nicht wirklich viele.
Ein unverwüstlicher Hagen und ein überzeugender Wotan
Ein einziger Sänger aus der ersten Aufnahme ist auch bei der zweiten noch dabei: der unverwüstliche Matti Salminen, der jetzt langsam seinen Abschied von der Opernbühne plant. Auch mit 71 ist er wie damals ein kraftvoller, gewalttätiger Fafner und ein abgrundböser Siegfried-Meuchler; sein Hagen steht dem von 1983 in nichts nach.
Loben würde man auch gern „Siegfried“-Siegfried Stephen Gould und „Götterdämmerung“-Siegfried Lance Ryan sagen – wobei Stephen Gould mit seinem dunkel tönenden Tenor eine sehr anständige Partie abliefert, in seiner Strahlkraft aber deutlich hinter René Kollo zurückbleiben muss. Bei Lance findet sich eine nicht immer ganz klare Höhe, die manchmal gepresst wirkt und häufig durch ein weitläufiges Vibrato gestört wird, ganz so wie bei der „Siegfried“-Brünnhilde Violeta Urmana.
Jeannine Altmeyer war eine Brünnhilde, die strahlende Höhen nicht forcieren musste, sondern ihr warmes Timbre auch bei Anstrengung halten konnte. Petra Lang legt in „Walküre“ und „Götterdämmerung“ deutlich mehr Drama in ihre Stimme, lotet auch sinnliche Dimensionen aus, bezaubert in tieferen Passagen, bewegt sich in der Höhe allerdings manchmal auch dicht bei ihrer Grenze.
Auch Jessye Normans Sieglinde und Siegfried Jerusalems Siegmund haben die Nase vorn vor Robert Dean Smith und Melanie Diener, wobei deren tief timbrierte Stimme eine Menge überzeugender Emotion in diese unglückliche Liebe legen kann. So wie Iris Vermillion als Fricka ihrem Gemahl Wotan ordentlich die Hölle heiß macht und Christian Elsner als Mime seinen hellen und agilen Tenor optimal zur Geltung bringt.
Überzeugen kann auch Tomasz Konieczny als gar nicht weiser, fast aggressiv und herrisch klingender Wotan und Wanderer – eine starke Stimme mit kräftiger Höhe, die den Obergott auf dem absteigenden Pfad seiner verglimmenden Allmacht gut illustriert.
So bleibt am Ende der Eindruck: Der Janowski-II-„Ring“ kann sich in der Sängerbesetzung nicht ganz mit den Top-Stimmen von Janowski I messen, ist aber ein feine Sache für die Fans von Wagners Instrumentation, die man hier mit vielen Details vorgeführt bekommt. Seine präzise, mehr vom Orchester her als von den Sängern gedachte Coolness lässt zwar manchmal fein gewebten Klangzauber zu, sie verhindert aber über weite Strecken, dass die Gefühle und Motive, die Spannungen, Sorgen und Ängste der Figuren wirklich lebendig werden. Janowski geht einen weitgehend pathosfreien, einen gut kalkulierten Mittelweg mit wenigen Ausrutschern – weder nach unten noch, leider, nach oben.
Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen
Rundfunk Sinfonieorchester Berlin, Leitung: Marek Janowski. Gesamtaufnahme auf 13 SACD + 250-Seiten-Buch in einer Kassette
Pentatone classic
PTC 5186 581
YouTube-Video (engl.):
Marek Janowski on Wagner (Marek Janowski im Interview über Wagner)
Abbildungsnachweis:
Header: Rundfunk Sinfonieorchester Berlin. Foto: Molina Visuals
CD-Box
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