Klartext
Die Theaterlandschaft formiert sich zum Protest

Die Stimmung ist hervorragend! An der Uni Leipzig feiert die Theaterwissenschaft den Widerstand gegen ihre Schließung.
Nach Beschluss des Rektoratskollegiums vom 9. Januar 2014 sollen drei Professuren und zwei Mitarbeiterstellen gestrichen werden. Die Nachricht traf das Institut unvorbereitet. Vor der Pressemitteilung vom 21. Januar gab es kein Gespräch mit Institutsangehörigen. Kaum aber war die Nachricht öffentlich, formierte sich die Theaterlandschaft zum Protest.

Viele Stimmen erheben sich gegen die geplanten Kürzungen. Volker Lösch bezeichnet die drohende Schließung als Alptraum: „Wir brauchen im Osten wie im Wesen eine lebendige Theaterlandschaft.
Und dazu gehört eine Theaterwissenschaft, die gesellschaftliche Strömungen wissenschaftlich begleitet, durchdringt, abbildet und beschreibt. Und deshalb ist das drohende Schließungsszenarium nichts weniger als ein Albtraum.“ „Wenn dies in Deutschland passiert, wo es immer eine größere Aufmerksamkeit für Bildung und Kultur zu geben schien, was wird dann in Europa in den nächsten Jahren passieren?“, so Prof. Alessandro Pontremoli von der Universität Turin.

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Investitionen in Bildung und Forschung hat Angela Merkel im Oktober 2013 als eine der vorrangigen Aufgaben für die nächsten Jahre bezeichnet. Die derzeitigen Entwicklungen an deutschen Universitäten entsprechen jedoch in etwa den Folgen eines Vertrauensausspruchs der Bundeskanzlerin an einen Minister: Etliche Universitäten müssen kräftig Stellen streichen. Und manche Universitäten stellen gleich ganze Studiengänge ein. Beispielsweise stehen an der Universität des Saarlandes Jura, Zahnmedizin und Maschinenbau zur Disposition, an der Uni Magdeburg soll die Lehramtsausbildung gestrichen werden und die Universität Leipzig plant den Wegfall von Klassischer Archäologie und eben Theaterwissenschaft. Insgesamt sollen bis 2020 172 Stellen gestrichen werden.

„2,7 Milliarden Euro hat der Freistaat Sachsen zu tragen für die Pleite der Sächsischen Landesbanken. Zur Kasse gebeten werden die Hochschulen. Und wir weigern uns die Zeche zu zahlen und den Landeshaushalt zu sanieren.“ Die Aussage des Geschäftsführenden Direktors des Instituts für Theaterwissenschaft Prof. Dr. Günther Heeg verweist auf eine Grundlage der drohenden Schließungen: Sie sind ein Phänomen einer gesellschaftlichen Ordnung. Und diese Ordnung scheint in Frage.

Das Schauspiel Leipzig war überfüllt bei der Solidaritätsveranstaltung für das Institut am 7. Februar, einem „Theaterfest des Widerstandes“, bei dem renommierte Wissenschaftler und Künstler die Relevanz der Leipziger Theaterwissenschaft ausstellten. Manche Besucher konnten dabei nur per Bildschirm im Foyer das Geschehen auf der Bühne verfolgen. In der Innenstadt erregen regelmäßig Studenten und Mitarbeiter des Instituts Aufmerksamkeit und Gespräch mit der Aktion „Stühle in der Stadt“. Und die Petition „Für den Erhalt des Instituts für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig“ haben binnen einer Woche mehr als 10.000 Menschen unterzeichnet, das nächste Ziel von 15.000 Unterschriften ist annähernd erreicht. Es ist offensichtlich: Hier soll ein Institut geschlossen werden, das überaus produktiv und international vernetzt ist, das zudem sehr erfolgreich in der Drittmitteleinwerbung arbeitet.

Gleichzeitig verkündet die Rektorin, dass zukünftig wohl nicht nur Institute, sondern auch ganze Fakultäten gestrichen werden müssen. Warum unterwirft sich eine Rektorin derart den Maßgaben des Ministeriums? Weil sie trotz Hochschulautonomie harten Sparzwängen unterworfen ist? Mag sein. Doch warum kommuniziert sie dann nicht im Vorfeld und erklärt sich erst auf massiven Druck solidarisch? Hier zeigt sich, wie fragil die aktuellen Zustände sind und wie fraglich ihre Entwicklungen.

Solcherlei Zustände kann man mit Ernst Bloch und seinen Begriffen vom Nicht-mehr und Noch-nicht begreifen. In der Folge lässt sich ein Geist des „in-Möglichkeit-Seins“ attestieren. Stark verkürzt: Die Möglichkeiten – alle! – gehen der Wirklichkeit voraus, sind in der Situation der Veränderung aber bereits angelegt. Dies ist offensichtlich ein Geist, der durch ganz Europa weht. Und er wird zur Weltveränderung führen. Vielleicht sogar zur Weltverbesserung – wenn wir alle diese Prozesse kritisch begleiten, wenn wir uns einmischen und im Diskurs handeln.

Volker Lösch gibt zu bedenken: „Wenn wir die Theaterwissenschaft aufgeben, dann geben wir das Politische auf. Und dann stellen wir keine Fragen mehr an die Gesellschaft. Dann wird Kritik am Bestehenden auch nicht mehr stattfinden.“ Der Protest ist formuliert. Aufbegehrt wird exponiert.

Dies ist sinnvoll und notwendig. Schließlich sind diese Proteste nicht zuletzt auch Setzungen gegen die ökonomische Haltung unserer Zeit. Dennoch sind starke Haltungen stets zu befragen. Wenn trotz Rufen nach besserer Bildung ganze Studienzweige an Universitäten abgeschnitten werden, wenn kollegiale Kommunikation im stillen Basta erstickt, wenn der monetäre Gewinn immer das letzte Argument sein darf, stellen sich Fragen in den Raum – und sie müssen bearbeitet werden. Im Fall der Sparzwänge an den Universitäten lauten die: können die Universitäten, wie sie heute bestehen, noch Stätten der Bildung sein? Oder brauchen sie eine neue Struktur? Tatsächliche Autonomie oder Arbeit im Dienste der Produktion? Wollen wir weiter unterscheiden zwischen Bildung und beruflicher Ausbildung? Welchen Nutzen können und sollen Universitäten für die Gemeinschaft haben? Und schließlich weist alles immer wieder auf die große Frage: In was für einer Gemeinschaft wollen wir denn leben?

Heißen wir endlich die vielbeschworene Krise willkommen als Moment der Erneuerung!

Ihre Fee Isabelle Lingnau

Fee Isabelle Lingnau lebt und staunt im wilden Leipzig als Publizistin (u.a. zu Herbert Ihering), freie Journalistin und Dozentin. 2013 promovierte sie zu den produktiven Möglichkeiten von Theaterkritik.


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Fotonachweis:
Header: Institut für Theaterwissenschaft, Leipzig. Foto: René Dietz Lingnau
Galerie: Alle Fotos: Ingo Rekatzky
01. Prof. Heeg, Gardi Hutter, Michael Braun
02. Gardi Hutter
03. "Friendly Fire"
04. Trauermarsch von "Mund & Knie"
05. Die Professoren (v.l.n.r.) Heeg, Baumbach, Primavesi

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