Klartext

Mit Häme gegen ein Meisterwerk: Paolo Sorrentinos Film “La Grande Bellezza” sei “leider großer Mist”, dieser Überzeugung ist zumindest Autor Wolfgang Höbel und verkündet auf SPIEGEL ONLINE: “Ein wenig Sex, ein wenig Philosophie und sehr viel großkotzige Banalitäten”.

Wer die Printausgabe des Nachrichtenmagazins erstanden hat, wird mit einer (völlig zu Recht) begeisterten wie differenzierten Kritik von Lars-Olav Beier belohnt: “[...] 'La Grande Bellezza' erzählt mitreißend von der Sinnsuche inmitten ewiger Schönheit”. Ein Beweis von Meinungsvielfalt? Eher nicht. Es geht weniger um das vernichtende Urteil selbst als um die Form. Eine besondere Ironie liegt in der Tatsache, dass Sorrentinos Protagonist selbst Journalist, Kunstkritiker ist, zwar ein ziemlich überheblicher, selbstgefälliger, sein Sarkasmus kann verletzend sein, aber banal, das ist er nie.


Um die Unfähigkeit des Filmemachers zu illustrieren, hat Wolfgang Höbel in seinem reichen Anekdotenschatz gekramt: Die Wahl fällt auf einen hämischen Kommentar des Schriftstellers Thomas Mann aus dem Jahre 1948 über seinen Konkurrenten Lion Feuchtwanger nach einem Besuch in dessen Villa Aurora am Pacific Palisades: “All die schönen Erstausgaben, die exquisit ausgesuchten Romane aus allen Kontinenten, das Wissen der Welt aus zweieinhalbtausend Jahren! Und was kommt dabei raus? Die reine Scheiße”. Höbel wirft Regisseur Sorrentino vor, sich durch eine “gut sortierte Filmbibliothek” geschaut und dann mit den Dreharbeiten des zweieinhalb Stunden-Epos begonnen zu haben.

 

 

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Die Anekdote hat es dem ehemaligen Kulturchef angetan, am 18.08.1997 musste schon der italienische Autor Antonio Tabucchi dran glauben und sein Kriminalroman “Der verschwundene Kopf des Damasceno Monteiro”. Aufhänger wieder Thomas Mann, nur dieses Mal hat sein junger Begleiter einen Namen: George Tabori. “... 18.000 ledergebundene Bände, alle von ihm (Lion Feuchtwanger red.) gelesen und im Gedächtnis behalten.” Dann wieder die gleiche vernichtende Schlussfolgerung. Höbel scheinen Filme oder Erzählungen mit literaturinteressierten mitteilsamen Helden Höllenqualen zu bereiten. Offensichtlich hält er Gelehrsamkeit per se für einen Makel, eine Art unüberwindliche Barriere, ein Kuriosum, das sich mit Dramaturgie und Spannung nicht vereinbaren lässt.

 


Wer das Interview mit George Tabori im Tagesspiegel vom 24.08.2005 über diese Episode liest, stellt fest, dass bei dem SPIEGEL-Autor einige entscheidende Fakten fehlen, falls sich die Begebenheit denn überhaupt je zugetragen hat, darauf verweist auch Höbel jedes Mal ausführlich. Wenn schon eine Diffamierung, dann doch journalistisch vorschriftsmäßig zitiert mit “angeblich”, “historisch ungesichert” etc. Jetzt sind es 30.000 Bücher und Tabori erinnert sich: “...hat er (Thomas Mann red.) mich freundlich zur Seite genommen und auf Feuchtwangers tolle Villa, die wertvolle Einrichtung, den herrlichen Garten gedeutet: “Alles von ihm verdient, alles erschrieben. Mit nichts als Sch....”. Es ging also nie um einen Künstler der trotz ungeheurem Wissen über Literatur dem eigenen literarischen Anspruch nicht gerecht werden kann. Es geht lediglich um einen älteren durch die Emigration verbitterten Schriftsteller, der einem Kollegen den Reichtum neidet. Und was hat das mit Sorrentino und seinem Film zu tun? Nichts.

 


Übrigens, das Statement von Tabori erschien auch bei SPIEGEL ONLINE unter “Heute in den Feuilletons”. Höbel entschied sich also ganz bewusst am 25.07.2013 für seine Version. Seit 1995 ist die Villa Aurora Künstlerresidenz und “deutsches Kulturdenkmal des Exils”. Einer der Stipendiaten war Klaus Modick, selbst in seinem Feuchtwanger-Roman “Sunset” taucht die unvermeidliche Anekdote wieder auf, doch hier ist sie nicht mehr Kolportage sondern Teil einer literarischen Erzählung. 22.000 Bände von Feuchtwangers Bibliothek stehen noch immer in der Villa, 8.000 der wertvollsten Exemplare befinden sich in der Memorial Library der University of Southern California.

 


Wer als Filmkritiker hämisch sein will, sollte sich um eigene Pointen bemühen und nicht Thomas Mann dazu missbrauchen, oder den Autor von “Erfolg” und “Exil “ lächerlich machen. “Großer Mist” kann man nach der Pressevorführung mal auf dem Flur zum Kollegen sagen, mit Journalismus hat es wenig zu tun. Erfreulich die Reaktion eines Lesers, der aus dem Verriss schloss, dass es sich genau deshalb garantiert um einen guten Film handle, er werde ihn sich auf jeden Fall ansehen. Auch Federico Fellins “Dolce Vita” und “8 1/8” wurden anfangs von manchen Kritikern recht unglimpflich behandelt.

 


“La Grande Bellezza” erzählt vom Zeitalter der eifrigen Schwätzer. 53 Jahre sind vergangen seit Federicos Fellins “Dolce Vita”. Regisseur Paolo Sorrentino nimmt den Zuschauer mit auf eine atemberaubende imaginäre Reise, offenbart uns die verborgenen Schätze der ewigen Stadt und der klassischem Literatur. Vorweg immer Toni Servillo als Jep Garbardello, der sich selbst zum Re, dem König der schillernden mondänen Welt ernannt hat. Er genießt es mit seinen eloquenten ironischen Diskursen die Feste der Reichen und Möchte-Gern-Schönen zu torpedieren. Als er vor Jahrzehnten nach Rom kam, erlangte er für einen Moment Berühmtheit mit seinen Debütroman “Der Menschliche Apparat”. Es genügte, um sich in der High Society zu etablieren. Seitdem arbeitet Jep mit geringem Enthusiasmus aber dem allseits geschätzten Charme als Journalist.

 


Nun wird er 65 Jahre alt, Ambitionen hat er keine, sein eigentliches Metier war Kunst und Leben zu genießen, den unverwechselbaren brillanten Zynismus zu kultivieren. Für seine verbalen Attacken gab es in Cannes begeisterten Zwischenapplaus. Jeps Mimik, seine Augenbrauen erinnern an einen Pierrot, Habitus und Gestik sind die eines leicht clownesken alternden Verführers aus Neapel. Ennui, eine Spur von Langweile in der Tradition Baudelaires prägt sein bequemes Leben, auf italienisch la noia, und so ist auch der Titel des Romans von Alberto Moravia, den Jep gern zitiert. Gustave Flaubert aus dem 19. Jahrhundert steht dem Protagonisten näher als sein bester etwas trotteliger Freund Romano (Carlo Verdone). Seine Amici gehen ihm alle auf die Nerven, er begegnet ihnen mit milder Herablassung, manchmal auch echter Wärme. Die menschlichen Schwächen, er vergibt sie vielleicht nicht, aber toleriert sie.

 


Als seine Jugendliebe stirbt, holt die Vergangenheit Jep ein. Niemandem zuvor gelang es die strenge Schönheit Roms so einzufangen wie Paolo Sorrentino und seinem Kameramann Luca Bigazzi. Sie entdecken immer neue verblüffende Perspektiven. Dunkel, Dämmerung und Sonnenaufgang wechseln ständig. Die Stadt ist real und unwirklich zugleich. Ihre Magnificenza lässt die Bewohner noch skurriler scheinen. Jede Figur hat ihre eigene Geschichte, ist ein fein ziseliertes Kunstwerk für sich, ein Original. Die alte Principessa, die nachts im menschenleeren Palazzo, heute ein Museum, die Relikte ihres eigenen Lebens betrachtet, vor ihrer Wiege stehend lauscht sie über Kopfhörer den Ausführungen des Tourguide. Das Gesicht bewegungslos, Contenance wird immer gewahrt. Es gibt sie überall im Land, die verarmten Adligen, kleine zarte Gestalten von ausgesuchter Höflichkeit und Bildung, eine aussterbende Spezies, im Luxus geboren, nur um ihn zu verlieren. Sie sind schon lange nicht mehr die Feudalherren des Landes, diese Rolle haben andere übernommen, ihre Skrupellosigkeit kennte keine Grenzen.

 


Manches mag dem Zuschauer grotesk, surreal erscheinen, doch vieles davon ist für die Römer völlig normal, Teil ihres Alltags. Der nuschelnde alte Kardinal (Roberto Herzlitzka), einst Exorzist, will nichts mehr mit dem Teufel zu schaffen haben, seine Hingabe gilt nun allein der Cucina Alta, das Jenseits betreffende Fragen beantwortet er mit einem Kochrezept, schwärmt vor sich hin. Manche der Akteure suchen noch nach dem Sinn des Lebens, andere haben schon längst aufgegeben. Sie zelebrieren nur sich selber, brauchen keine Papparazzi wie in “Dolce Vita” mehr, sie richten die Kamera des Smartphones permanent auf sich, werden zum Archivar ihrer eigenen Spuren.

 


An diesem Leben ist nichts mehr süß, nur noch alles frenetisch. Die Angst vor dem Tod ist spürbar. Antworten nach dem tieferen Sinn des Daseins hat allein die winzige Santa (Guisi Merli), eine Nonne zu Besuch aus Afrika, 104 Jahre alt. Sie ernährt sich nur von Wurzeln, erträgt stumm und trotzig das gesellschaftliche TamTam und legt sich am Ende heimlich schlafen auf dem Bettvorleger von Jep. Sie verkörpert mit ihrer Verachtung für den glitzernden Reichtum der Capo del Mondo die Ära von Papst Franziskus. Mit Ausnahme der Santa verbindet alle nur die unentwegten Chiacchierate, jene endlosen lebhaften Gespräche, laut, ernst, leise, wütend, pathetisch. Die riesige Dachterrasse von Jep mit Blick aufs Colosseum ist die perfekte Bühne für rauschende Feste, elegante Dinner und jede Art der Selbstinszenierung. Der Protagonist steht daneben wie ein desinteressierter Theaterkritiker, um dann zum entscheidenden vernichtenden Schlag auszuholen und einen seiner Gäste mit dessen Lebenslügen zu konfrontieren. Wenig später tanzt man friedlich Wange an Wange. Alles, fast alles ist nur ein Spiel.

 


Als die Gäste verschwunden sind, landet eine riesige Schar Flamingos auf der Dachterrasse. Die Heilige sagt: “Schönheit kann nicht jeder begreifen”.

 

 

 

Ihre Anna Grillet

 

 

 


Anna Grillet ist Journalistin und Dokumentarfilmerin. Nach dem Volontariat arbeitet sie als Filmkritikerin beim Hamburger Abendblatt, Münchner Abendzeitung, dpa/hku u.a. Jurastudium, 17 Jahre in Rom gearbeitet (“Venezia: Acqua Pietre Parole” RAI Due), freie Autorin u.a. für die Financial Times Deutschland, seit 2013 für KulturPort.De.

 

 

 

 

 

(ca. 1.42 Min.) Filmausschnitt


Originaltitel: La Grande Bellezza
Regie: Paolo Sorrentino

 


Hinweis: Die Inhalte von "Klartext" geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen.
Darsteller: Toni Servillo, Carlo Verdone, Sabrina Ferilli, Isabella Ferrari
Herstellungsland: Italien 2013
Verleih: DCM Filmverleih
Länge: 150 Min.
Kinostart: 25.07.2013

 


Copyright Fotos/Video: DCM Filmverleih

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